Am 22. März startet in der ZDF-Mediathek die Serie „Die Affäre Cum-Ex“ über einen der größten Finanzskandale der Nachkriegsgeschichte. Produzent Michael Polle und Showrunner Jan Schomburg sprechen im Interview darüber, wie sie aus den abstrakten Prozessen eine unterhaltsame und internationale Serie machten.

In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche internationale Serien über Finanzskandale. In Deutschland löste diesen Trend „Bad Banks“ aus. Was hat aber Sie beide besonders an der Cum-Ex-Affäre gereizt?
Michael Polle: Die Dimension des Ganzen. Es ist der mit Abstand größte Finanzskandal in der europäischen Geschichte. Als wir mit unserem Projekt anfingen, war der Skandal zwar in den Zeitungen präsent, aber es wurde eher auf Seite 14 als auf Seite 1 darüber berichtet. Durch ihren Agenten Alexander Simon kam ich an die Recherchen der beiden Journalisten Oliver Schröm und Christian Salewski, die den Skandal aufgedeckt haben. Es war schnell klar, dass es ein sehr spannendes Thema war, was aber damals für mich noch mehr ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gehörte. Die anderen genannten Formate spielten dabei weniger eine Rolle, sondern vielmehr die Tatsache, dass nach aktuellen Schätzungen durch diese Finanzgeschäfte knapp 150 Milliarden Euro in Europa gestohlen wurden und wenig darüber geredet wurde. Die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema brachte wiederum immer mehr die europäische Perspektive in den Fokus. Durch Zufall lernte ich Ole Søndberg von True Content kennen, der den Fall bereits von dänischer Seite und mithilfe der Recherchen von dänischen Journalisten aufarbeitete. Bei einem Spaziergang während der Coronazeit kam dann Jan zu dem Projekt, den ich schon seit 20 Jahren kenne und immer mit ihm zusammenarbeiten wollte.
Jan Schomburg: Als mir Michael von der Idee erzählte, hatte ich zu meiner Schande nur so ganz grob in Erinnerung, dass sich da wohl irgendwelche schwerreichen Investoren wieder mal bereichert haben, aber die Details und vor allem das Ausmaß hatte ich überhaupt nicht realisiert. Ich finde Filme und Serien zum Thema Finanzkriminalität oft etwas deprimierend, weil sie meistens in zynischer Resignation enden und dem Gefühl, dass wir in Wirklichkeit nichts dagegen tun können. Aber als ich angefangen habe, über Cum-Ex zu recherchieren, hat mir vor allem die Staatsanwältin Anne Brorhilker eine Art Obama-Moment verschafft. Ihre Ermittlungen bringen ja nicht nur die Schuldigen wirklich ins Gefängnis, sondern haben auch dazu beigetragen, dass der Staat sich zumindest einen Teil der Beute von den Banken zurückholen konnte. Und ich dachte so: Wow. Yes, we can. Wir können sagen: Nein, das geht jetzt nicht immer so weiter.
Bei solchen Formaten ist auch immer die Frage, wenn es thematisch um sehr abstrakte Geldbetrügereien geht, wie man das unterhaltsam und sexy für ein großes Publikum erzählen kann. War das für Sie eine Herausforderung?
Michael Polle: Uns war wichtig, dass wir die Recherchen der Journalisten als Basis und Inspiration nehmen, daraus aber eine fiktionale Serie entwickeln würden. So haben wir uns auch ein Stück weit Freiheit erkauft. Der Ansatz war, die Serie nicht dokumentarisch zu erzählen, sondern vor allem unterhaltsam. Wir wollten unbedingt Interesse an den Charakteren wecken und darüber die Geschichte dieses Skandals erzählen. Parallel war sehr früh klar, dass es dank der Unterstützung und dem Glauben der ZDF- Redaktion an das ganze Thema einen aufwendigen, 90minütigen Dokumentarfilm geben würde, den Thomas Kufus für die die Zero One Film produziert hat. Somit entstand der Zugang zum Thema von zwei Seiten. Beide Projekte erzählen über Landesgrenzen hinweg, da die Dimension des Skandals weit über Deutschland hinaus reicht und diese Art von Finanzgeschäfte, die es immer wieder gibt, ausschließlich international zu betrachten sind.
Jan Schomburg: Die Struktur der Geschäfte ist eigentlich superleicht zu verstehen. Man zahlt eine Steuer einmal und lässt sie sich zweimal erstatten. In den Details wird es dann etwas komplexer, aber ich fand es vor allem wichtig, dass die Menschen verstehen, wie dieser obszön weitreichende Betrug überhaupt möglich war und wer die Menschen sind, die ihn begangen haben. Es gab und gibt ganz konkrete und massive Lobbyarbeit, die darauf hinwirkt, dass die Finanzmärkte nicht reguliert werden, es wurden Gutachten gekauft und die Gesetzgebung ganz konkret dahingehend beeinflusst.

Mit welchen erzählerischen Mitteln bereitet man das dann aber unterhaltsam für das Publikum auf?
Jan Schomburg: Immer, wenn es um Macht und Verrat geht, ist natürlich Shakespeare nicht weit. Und wie Shakespeare habe ich auch versucht, die Komik und die Absurdität in der Geschichte zu finden. Strukturell habe ich den deutschen und dänischen Erzählstrang jeweils wie amouröse Dreiecksgeschichten aufgebaut. Wenn man es weiß, kann man es sehen: Der Meet Cute zwischen dem jungen und dem alten Anwalt. Der Quasi-Heiratsantrag in der Waschanlage. Dann kommt die Staatsanwältin ins Spiel und versucht, einen der Anwälte für sich zu gewinnen. Der wechselt dann irgendwann auch die Seiten und hat so gesehen eine neue Liebhaberin. Er kann aber nicht ganz von seinem alten Mentor lassen – Sex mit dem Ex. Dramaturgisch gesehen erzähle ich also eine Art RomCom.
X Filme hat zuletzt sehenswerte und unterhaltsame Serien wie „Zeit Verbrechen“ oder „Tina mobil“ produziert, die obendrauf auch immer noch einen gesellschaftlichen Mehrwert boten. Wird es in der heutigen Zeit der klammen Geldbeutel schwieriger, solche Formate mit Partnern umzusetzen?
Michael Polle: Ich bin da weiterhin optimistisch, auch wenn sich der Markt zuletzt verändert hat. Wir müssen gemeinsam offen sein für diese Art von Geschichten, denn in diesen politischen Zeiten ist es immer wichtiger, dass sie erzählt werden. Gleichzeitig müssen wir wie bei „Die Affäre Cum-Ex“ auch Partnerschaften erschaffen bzw. eingehen, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat, dabei helfen auch auf Senderseite Netzwerke wie New8 und Northvision und Koproduktion wie jene mit True Content und unseren Partnern der österreichischen Epo- Film. Auch ein starker Weltvertrieb wie Beta Film ist hier besonders zu erwähnen. Bei „Tina mobil“ erzählten wir von einer Frau und einer Gesellschaftsschicht, die leider zu wenig erzählt wird, aber gesellschaftlich sehr wichtig ist. Drehbuchautorin Laila Stieler arbeitete wie auch Jan sehr genau in der Recherche und Stoffentwicklung. Gleichzeitig war auch hier der Ansatz, eine erzählerische Form zu finden, die eben kein Sozialdrama ist, sondern einen positiven Vibe besitzt und zeigt, dass man aus dieser Situation wieder herauskommen kann. Bei „Die Affäre Cum-Ex“ verfolgten wir einen ähnlichen Ansatz, wobei Jan den schönen Satz sagte, er wolle reiche Leute nicht sexy zeigen.
Jan Schomburg: Damit man am Ende der Serie nicht nur denkt, warum man selbst nicht dieses schicke Auto fährt.
„Besonders war hier natürlich auch, dass ein Teil der Drehbücher auf dänisch übersetzt werden musste, was für mich schwer war“
Welche Funktion hatten Sie genau bei der Serie, Herr Schomburg? Creator oder Showrunner? Und wie lief das dann mit der dänischen Seite, bei der es auch Regie und Schauspieler gab.
Jan Schomburg: Da ich die Serie ja praktisch alleine geschrieben habe, war ich schließlich so tief in der Materie, dass wir dachten, es macht Sinn, wenn ich auch während der Produktion dabei bin und als Showrunner gemeinsam mit den beiden Regisseuren Dustin Loose und Kaspar Munk eine Art kreative Zelle bilde. In Deutschland gibt es ja noch nicht sehr viel Erfahrung mit dieser Konstellation, und die Regisseure verstehen sich nicht so sehr als Handwerker, sondern eher als Kreative, womit Konflikte eigentlich vorgezeichnet sind. In diesem Fall aber hat sich diese dreifaltige Zelle wirklich als total fruchtbar erwiesen, ganz kollegial und zärtlich, was zunächst an den beiden Regisseuren und ihrer großartigen Arbeit lag und vielleicht auch ein bisschen daran, dass ich selber ja ein paar Filme inszeniert habe und daher ein Gefühl dafür habe, an welchen Stellen ich auch abgeben muss, weil die Regisseure ihren eigenen Zugang und ihren eigenen Rhythmus entwickeln müssen. Besonders war hier natürlich auch, dass ein Teil der Drehbücher auf dänisch übersetzt werden musste, was für mich schwer war, weil ich leidenschaftlich gern Dialoge schreibe und versuche, so genau wie möglich zu sein.
Eine Vertrauenssache.
Jan Schomburg: Eine absolute Vertrauenssache. Aber ich war sehr froh, dass der dänische Regisseur Kaspar Munk ein mir sehr naher Mensch und Künstler ist und mir versicherte: Die Dialoge haben genau deinen Ton.
Michael Polle: Von anderen Produktionen wie „Babylon Berlin“ inspiriert, drehten die Regisseure die Folgen gemeinsam nach Motiven und Handlungssträngen, nicht nach Episoden. Die Herausforderung bestand darin, dass der Dreh in vier Ländern stattfand, was neben den Regisseuren und ihren jeweiligen DOPs nur durch ein herausragendes, durchgängiges Team vor und hinter der Kamera zusammengehalten wurde. Im Schneideraum kam dann alles zusammen, hier saßen mit Anna Nekarda, Jakub Thuesen und Claus Wehlisch zwei deutsche und ein dänischer Editor. Die gesamte Struktur war Pionierarbeit, da es diese Form der Herstellung meines Wissens bei anderen europäischen Koproduktionen zuvor nicht gab. Wichtig war es uns von Anfang an, dass das Projekt einen sehr kollaborativen Ansatz über Landesgrenzen hinaus haben wird. Deswegen war es auch wichtig, mit Jan einem Showrunner für die inhaltliche Steuerung zu haben, damit es am Ende alles an einem Punkt zusammenläuft.

„Die Affäre Cum-Ex“ war eines der ersten Projekte des neuen Zusammenschlusses vom ZDF mit europäischen Partnern: New8. Wie lief dabei die kreative Abstimmung oder Einmischung?
Michael Polle: Die kreative Zusammenarbeit fand mit ZDF und DR statt, sie hatten für New8 die Federführung und waren unsere ersten Partner an Bord. Erst nachdem sie für die gemeinsame Entwicklung zugesagt hatten, wurde New8 aus der Taufe gehoben und es konnten weitere Sender aus dem Netzwerk gewonnen werden. Zudem war von Beginn an über DR auch Northvision dabei, der Zusammenschluss der skandinavischen Sender. All das half bei der Finanzierung des Projekts. Ich finde beide Modelle richtungsweisend, denn somit sind an dieser Serie acht öffentlich- rechtliche Sender beteiligt. Wir sind eine Drei-Länder-Koproduktion, die in vier Ländern gedreht wurde. Ein echtes, europäisches Projekt über einen europäischen Skandal. Die Dimension ist groß, aber der kreative Kern und das Team sind trotzdem vergleichsweise überschaubar. Neben den Senderpartnern ist das Projekt von Fisa+, GMPF, Media, Medienboard Berlin Brandenburg und dem Croatia Audivisual Center gefördert, So kann man einen höheren Production- Value für ein gesellschaftlich relevantes Programm schaffen, dass zumindest meinem Verständnis nach ein zutiefst öffentlich-rechtliches Fernsehprojekt ist. Deswegen ist diese Zusammenarbeit fantastisch, weil es nur so überhaupt möglich ist, diese Geschichte auf diesem Niveau erzählen zu können. Dass wir damit dann auch noch bei der Berlinale eingeladen wurden, hat dieses Projekt für uns alle zu einem fantastischen Erlebnis gemacht.
Das Interview führte Michael Müller