Markus Schäfer, Sprecher der Geschäftsführung von ZDF Studios, blickt im SPOT-Interview auf aktuelle Herausforderungen im Markt, denen sich nicht nur sein Medien-Powerhouse, sondern die Gesamtbranche stellen muss, und plädiert für neue Formen der Zusammenarbeit.
ZDF Studios war gerade wieder beim Seriencamp präsent. Das Unternehmen ist langjähriger Partner. Welchen Stellenwert hat diese Plattform für Sie?
Markus Schäfer: Das Seriencamp bietet eine ausgezeichnete Gelegenheit, mit anderen Marktteilnehmer:innen über inhaltliche Trends, Branchenentwicklungen, äußere Faktoren bis hin zur Medienpolitik und ganz konkrete Projekte zu sprechen und zu diskutieren. Als Hauptsponsor sind wir mit einer Lounge, Bannern, Panels und Case Studies vor Ort präsent, um die Produzent:innenlandschaft darüber zu informieren, welche Parameter wir im globalen Markt identifiziert und in Produktionen umgesetzt haben. Auf diesem Nährboden bauen wir unsere Partnerschaften auf kreativer und produzentischer Ebene aus, verstärken und entwickeln sie neu und vernetzen uns in der Branche weiter. Dafür ist das Seriencamp sehr gut geeignet. Wir waren bereits in München Partner und haben unser Engagement am Standort Köln noch weiter ausgebaut. Mit dabei haben wir auch unser aktuelles Portfolio, zum Beispiel unsere deutsch-spanische Koproduktion „Weiss & Morales“ oder die Horror-Mystery-Serie „Hameln“. Wir sind fest davon überzeugt, dass es für die deutsche Serienlandschaft wichtig ist, diese Veranstaltung noch weiter wachsen zu lassen – auch als Pendant zu anderen europäischen Events wie „Séries Mania“ in Lille oder „C21“ in London. Wir brauchen eine starke Veranstaltung aus Deutschland heraus. Besonders freut es mich, dass sich das Seriencamp in den letzten Jahren stärker internationalisiert hat. Das ist enorm wichtig.
ZDF Studios hat sich das Motto „Inspire. Create. Produce. Distribute“ auf die Fahnen geschrieben. Welcher dieser vier Bereiche ist im aktuellen Markt der schwierigste geworden?
Markus Schäfer: Gute Frage. Ich glaube, der Vertrieb hat seine eigenen Herausforderungen. Nach der Spitzennachfrage bis 2021/22 haben wir aus verschiedenen Gründen heraus eine Marktdämpfung gesehen bzw. sehen sie noch immer. Sei es, weil die Streamer die Marktanteile verteilt hatten und deswegen ihr Programmwettbewerb untereinander nicht mehr so stark war und sich dementsprechend die Nachfrage reduzierte. Sei es, weil die Top-Lines bei den linearen Sendern, öffentlich-rechtlich oder kommerziell, – bei den privaten durch die Werbeerlöse, bei den Öffentlich-Rechtlichen durch ihre Finanzierungsmodelle – gedeckelt oder rückläufig sind. All das wirkt sich als erstes aufs Programmbudget aus. Deswegen ist der Vertriebsbereich im Moment eine Herausforderung. Damit einher geht das „Produce“, weil alle Plattformen und Sender ihre Programmmittel entweder in fertiges Programm in der Akquisition oder in der Produktion in der Beauftragung investieren. Die ersten beiden Teile, „Inspire & Create“, sind unverändert stark. Das sind Bereiche, da brauchen wir nicht das Geld vom Markt, da brauchen wir vor allem Connections und Kredibilität. Die haben wir. Die Herausforderungen sind ganz klar, die Budgets aufzutreiben oder, klassisch gesprochen, Sendeplätze zu identifizieren, wo unsere Ideen gut hinpassen. Oder bei Koproduktionen oder fertigen Programmen die Abnehmer auf dem internationalen Markt zu finden. Das ist deutlich schwieriger geworden als noch vor zwei, drei Jahren.
„Wir brauchen einen gemeinsamen politischen Willen, um unsere Branche nach vorn zu bringen.“
Was sind die erfolgreichsten Formate, die ZDF Studios aktuell verkauft?
Markus Schäfer: Es geht uns da wie vielen anderen: Nachgefragt ist risikofreies Produkt wie vorbestehende IPs, Fortsetzungen von bestehenden Serien. Dann auch Formate, die mit dem ZDF im Namen eine gewisse deutsche DNA haben, wie die „Berg“-Farben à la „Der Bergdoktor“, die zumindest im europäischen Raum gut nachgefragt sind. Letztendlich eher eskapistische, leichte Formate, was einer relativ einfachen Logik folgt in Zeiten, in denen die Zuschauerinnen und Zuschauer genügend schlechte Nachrichten in der Realität haben und deshalb beim Serienkonsum nicht noch mit weiteren schwierigen, düsteren Stoffen konfrontiert werden wollen. Aber Crime geht immer.
Bei Ihrer Eröffnungsrede in Köln sagten Sie, dass Korea als TV-Markt sehr stark geworden sei, gerade hinsichtlich des weltweiten Erfolgs von Formaten und dass es deutschen Produkten noch nicht so gut gelingt, zu traveln. Was kann der deutsche TV-Markt von Süd-Korea lernen?
Markus Schäfer: In Südkorea ist eine politisch gewollte Unterstützung mit breit angelegter Kulturförderung erfolgt. Ich habe es in meiner Rede auf unsere Bereiche Film und Serie bezogen. Wenn man genau hinblickt, ist das sogar vielleicht noch größere Phänomen die koreanische Musik K-Pop. Mit langem Atem und entsprechenden Geldmitteln ist die Kultur über 15, 16 Jahre zentral von der Regierung unterstützt und strategisch gesteuert worden, bis die Inhalte immer größer werdende konzentrische Kreisen aus dem eigenen Land heraus zogen, erst in die Nachbarterritorien im südostasiatischen Raum, um sich schließlich global zu verbreiten. Die zentralistische Steuerung steht in ziemlichem Gegensatz zu unserer föderalen Struktur, in der wir unsere eigenen Stärken und Vorteile haben. Aber ich glaube schon, dass wir einen gemeinsamen politischen Willen brauchen, um unsere Branche nach vorn zu bringen und aus diesem Tal rauszukommen, in dem wir gerade stecken.
Sind Sie zuversichtlich, dass es wieder bergauf geht, jetzt, mit einer neuen Regierung im Lead? Sie sind lang genug dabei, oft spricht man von Wellenbewegungen, Aufs und Abs sind nichts Ungewöhnliches…
Markus Schäfer: Ich habe in verschiedenen Segmenten der Branche gearbeitet und habe sie auch in der Vergangenheit als zyklisch wahrgenommen, kleinere und größere Zyklen selbst auch mitgemacht. Es ging nach einer Talsohle immer wieder bergauf. Unsere Branche zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie trotz der Strukturnachteile extrem resilient ist und von in der Regel sehr optimistisch ans Werk gehenden Menschen geprägt ist. Es ist immer ein Silberstreif am Horizont. Dennoch sind wir nun strukturellen Veränderungen ausgesetzt, die es in den letzten Krisen so nicht gab. Da ist die Transformation vom linearen zum nicht-linearen Nutzungsverhalten, die sich immer stärker manifestiert. Oder das Thema KI, das einerseits für große Umwälzungen sorgen wird, andererseits riesige Chancen für die Kreativität und die Produktionsprozesse sein kann. Wir leben in einer multifaktoriellen Welt, in der geopolitische Ereignisse und Entscheidungen von einzelnen Präsidenten großer Länder sich von einem Tag auf den anderen in der Branche bemerkbar machen können. Ich sehe also durchaus wieder Chancen, aber auch sehr viele Unwägbarkeiten und Unsicherheiten, wesentlich mehr als in der Vergangenheit.
Inwiefern arbeitet ZDF Studios bereits in der Produktionsphase mit den verschiedenen ZDF-Tochterfirmen zusammen? Es ist sicher nicht unwichtig für den Sender, sich frühzeitig zu überlegen, wie/ob sich Programme verkaufen lassen…
Markus Schäfer: Das ist eine sehr wichtige Frage. In der Vergangenheit war ein sehr großer Teil des Programms in Deutschland traditionell vollfinanzierte Auftragsproduktionen. Ich spreche da gerne vom Maßanzug fürs deutsche Publikum, der da angefertigt wurde. Ein Maßanzug passt aber nur einer Person. Wir müssen heute verstärkt in die Konfektionsdenke kommen, letztendlich aus budgetären Zwängen heraus. Alle Plattformen und Sender werden nicht weniger, sondern eher mehr Programm benötigen, weil Strecke zu füllen ist. Nur wird das Geld nicht mehr. Im Schnitt muss also die Programmstunde günstiger werden für den Auftraggeber. Entweder bekomme ich dann weniger production value, oder aber ich nehme Partner in die Finanzierung mit rein. Wenn ich Partner mitreinnehme, die in anderen Territorien tätig sind, kommen wir genau zu dem Punkt der Frage, den es früh im Entwicklungsprozess zu beachten gilt: Was braucht ein Programm, damit es international appeal hat? Diese Überlegung kann ich nicht erst anstellen, wenn die Drehbücher geschrieben sind, sondern muss sie früh in der Genese des Projekts anlegen. Dafür brauchen wir eine andere Qualität von Dialog zwischen Auftraggeber, Produzent:innen/Autor:innen als auch Vertrieben. Wichtig ist, sich frühzeitig austauschen, zu lernen, was geht, was nicht geht, und auch Verständnis haben.
„Als Markt sind wir in einer explorativen Phase, wo wir Formen der Zusammenarbeit ausprobieren müssen.“
Produzieren mit mehreren Partnern wird also immer wichtiger…
Markus Schäfer: Ja. Eigentlich leben wir gerade im goldenen Zeitalter der Koproduktion. Insbesondere das hochbudgetäre Programm kann man eher als Koproduktion etablieren, denn als vollfinanzierte Auftragsproduktion, egal ob Streamer oder Sender. Man hat einfach nicht mehr die Mittel zur Verfügung, um in der gleichen Schlagzahl Leuchtturmprojekte zu machen wie in der Vergangenheit.
ZDF Studios arbeitet sogar mit Streamern zusammen. Das ist also auch ein Modell…
Markus Schäfer: Wir machen viel mit Streamern! Ich bin fest überzeugt, dass es keine Denkverbote geben darf. Als Markt sind wir in einer explorativen Phase, wo wir Formen der Zusammenarbeit ausprobieren müssen. Ich verweise da sehr gerne auf die Produktion „KRANK Berlin“ von REAL FILM, einer Tochter der Studio Hamburg Produktionsgruppe und ZDF Studios, die im Februar auf Apple TV+ gelauncht worden ist und auch bei ZDFneo und im Streamingangebot des ZDF verfügbar sein wird. Das sind Kooperationsmodelle, die man ausprobieren und anschließend offen und ehrlich evaluieren muss. Man darf sich nicht von vornherein verschließen, ob das deutsch-deutsche Kooperationsmodelle sind oder deutsch-internationale. Wir sind mit unseren Partnern in einem fantastischen Austausch. Mit Netflix hatten wir zwei Staffeln einer Young-Adult-Serie produziert, „Surviving Summer“, wo Netflix das First Window genommen hat und wir im Second Window im Vertrieb tätig sind. Auch das gibt es. Streamer verfolgen nicht mehr das Paradigma, weltweit alle Rechte zu haben, sondern öffnen sich mehr und mehr dem Windowing. Daraus entstehen neue Chancen, mit denen man spielen muss.
Auffällig im Markt ist, dass viele der edgy Formate heutzutage verstärkt von den traditionellen Sendern kommen und gar nicht mehr unbedingt von den Streamern, wie noch zu deren Markteintrittszeiten. Wie erklären Sie sich das?
Markus Schäfer: Da steckt eine simple Marktlogik dahinter. Als die Streamer auf den Markt gekommen sind, haben sie die Devise verfolgt, die Avantgarde für sich zu gewinnen. Das macht man bei Markteintritten üblicherweise, egal ob man ein Konsumprodukt für die Unterhaltungs- oder Modeindustrie hat oder einen neuen Energy-Drink. Das Marketing geht immer erst mal auf die Avantgarde, die als Multiplikator wirkt. Diese Schicht haben die Streamer lange schon für sich gewonnen. Wenn sie aber weiter im Abo wachsen wollen, müssen sie in den Mainstream reingehen, müssen dem Mainstream entsprechendes Programm anbieten. Deswegen sind Programme, die die Streamer neu herausbringen, weniger an die Avantgarde gerichtet, sondern eben an ein Publikum aus der Mitte heraus. Das nehmen wir aus der Branchensicht als eher konservativeres Produkt war, das weniger edgy ist. Gleichzeitig gibt es bei den linear geprägten Anbietern das Bestreben, die bisher eher unterversorgten jüngeren Zielgruppen für sich zu gewinnen und genau die Gegenbewegung dazu zu machen. Im Prinzip haben wir ein X im Markt: die Streamer gehen mehr in den Mainstream, die Sender mehr auf die ehemaligen Streamer-Zielpublika und irgendwo in der Mitte treffen sie sich. Es herrscht eine Konvergenz zwischen Streamern und Sendern, nicht zuletzt auch deshalb, weil viele Menschen ihre Jobs wechseln, der eine zum Streamer geht, der andere zum Sender und umgekehrt.
Sie haben in Kernphysik promoviert. Was hat die Kernphysik mit der Fernseh- oder Filmbranche zu tun bzw. inwiefern können Sie im Studium Gelerntes in Ihrem jetzigen Job anwenden?
Markus Schäfer: Es gibt eine wunderbare Anekdote, die 2023 ganz gut gepasst hätte. Ich habe meine Doktorarbeit in Göttingen in dem Büro geschrieben, in dem Robert Oppenheimer gesessen hatte, als er ein Jahr in Göttingen verbracht hat. In Christopher Nolans Film gibt es dazu eine kleine Reminiszenz… Scherz beiseite. Ich glaube, abstrahiert gesprochen, bringt man als Naturwissenschaftler einen analytischen Blick auf die Dinge mit und versucht, die Zusammenhänge und Wirkmechanismen anders zu durchdringen und Einfluss darauf zu nehmen. Diese Komplementarität ergänzt sich mit unserer Branche, die stark kreativ getrieben ist, ganz gut. Das ist meine Erfahrung nach ein paar vollen Monden in diesem Geschäft.
Das Gespräch führte Barbara Schuster