Seit 35 Jahren spricht man von David Lynchs „Twin Peaks“. Dabei ist der wahre Architekt des endlos faszinierenden Universums der Autor und Schriftsteller Mark Frost. Anlässlich des Neustarts der Serie und aller anderen „Twin Peaks“-Titel bei Mubi ließen wir uns die einmalige Gelegenheit nicht entgehen, mit ihm zu sprechen.
35 Jahre sind vergangen, seitdem „Twin Peaks“ auf Sendung gegangen ist und für immer verändert hat, wie man über Fernsehserien denkt. Wie oft denken Sie heute noch an Ihre Schöpfung?
Mark Frost: Ich denke immer an „Twin Peaks“, es ist wie ein paralleles Universum für mich. Die Figuren gehen mir ständig im Kopf herum. Ich überlege, was sie jetzt gerade tun würden, was sich verändert hat, was gleichgeblieben ist. Als David und ich den Faden nach 25 Jahren wieder aufgegriffen haben, fiel uns das ganz leicht. Klar, der Schreibprozess ist nie einfach, er erfordert Disziplin. Das musste gegeben sein. Aber wir fühlten uns sofort wieder wie Zuhause, nur dass eben 25 Jahre vergangen waren, die Welt sich weitergedreht und verändert hatte, moderner geworden war. Als wir einmal in die Gänge gekommen waren, ergab sich alles wie von selbst. Okay, ich schränke das ein: Es war ein zweijähriger Prozess, so etwas dauert einfach. Aber es gab kein Zähneknirschen. Wir wussten, welche Geschichte wir erzählen und dass wir es durchziehen wollten.
Aus erster Hand: Was ist der Grund für die Dauerhaftigkeit von „Twin Peaks“? Warum beschäftigt dieses Universum die Menschen seit 35 Jahren?
Mark Frost: Die Menschen hungern nach Geschichten, die ihnen etwas bedeuten. Wir brauchen das. Wir müssen uns in anderen Menschen und Figuren sehen, wollen uns an ihnen abgleichen. Ob nun aus genetischen, spirituellen oder überweltlichen Gründen haben wir das Bedürfnis, in diesen Spiegel zu blicken, um zu verstehen, wer wir sind. Wir besitzen die Gabe, Narrative um unsere eigene Existenz herum zu erschaffen. So geben wir allem einen Sinn, so gehen wir durch die sieben Stadien des Lebens. „Twin Peaks“ trägt in meinen Augen zu etwas Fundamentalem bei. Ich habe das Schreiben und Erzählen immer als eine Art Berufung empfunden, habe damit als Siebenjähriger begonnen. Das klingt vielleicht verrückt, aber ich fühle eine unmittelbare Verwandtschaft mit allen anderen Geschichtenerzählern, bis zurück zu den Anfängen des Geschichtenerzählens. Ich will nicht religiös rüberkommen, aber im besten Falle ist das Schreiben ein spirituelles Streben, ein spiritueller Dienst, den uns Künstler erweisen, wenn sie den Nerv von etwas treffen, das größer ist als wir selbst, wovon wir profitieren und woran wir wachsen können.
Das trifft auf „Twin Peaks“ zweifellos zu. Gab es einen Punkt, an dem Ihnen selbst bewusst wurde, dass das, woran Sie gerade arbeiten, mehr ist als nur eine weitere interessante Geschichte?
Mark Frost: Das Fernsehen als Medium war mir sehr vertraut. Ich bin mit der Welt des Fernsehens aufgewachsen, mein Vater hat beim Fernsehen gearbeitet, ich selbst hatte zu diesem Zeitpunkt bereits etwa ein Dutzend Jahre im Fernsehen gearbeitet. Ich habe das Fernsehen geliebt, war aber immer auch zutiefst enttäuscht von dem Medium, weil ich stets den Eindruck hatte, dass es sein Potenzial nicht ausschöpft. Warum konnte es nicht so sein, wie es sein sollte? Warum kann es den Menschen daheim nicht jeden Tag aufs Neue Geschichten erzählen, die nahrhaft sind, die etwas in ihnen auslösen, sie aus ihrer Passivität erwecken, etwas zu ihrem Leben beitragen anstatt ihre Sinne einfach nur zu betäuben und sie zum Kauf von Produkten anregen, die sie weder wirklich wollen noch brauchen? Bevor wir die Pilotfolge schrieben, hatten David und ich viel Zeit damit verbracht, uns über die Stadt, die Figuren, die Menschen in der Stadt zu unterhalten. Als wir uns dann hinsetzten, floss die Geschichte förmlich aus uns heraus. Es ging einfach so: 🫰🏻. Drei Wochen und peng. Wir haben kaum ein Wort umgeschrieben. David kam zu mir ins Haus, setzte sich in diesen Therapeutensessel und ich saß am Schreibtisch und tippte. Ich weiß noch genau, wie ich den letzten Satz schrieb und alles zweimal ausdruckte. Dann haben wir das Skript getrennt voneinander noch einmal gelesen. Wir sahen uns an und sagten: Hey, komisch, aber ich glaube, wir haben das wirklich etwas Besonderes. Gucken wir mal, was passiert.
Und was ist passiert?
Mark Frost: Von diesem Moment an ging es allen anderen, die es lasen, mehr oder weniger genauso. Beim Dreh in Seattle stellte sich dieses Gefühl erneut ein. Wir schmissen regelmäßig Abendessen für die ganze Truppe, um die Moral zu stärken und ein Gemeinschaftsgefühl aufzubauen. Ich wollte, dass die älteren Schauspieler mit der entsprechenden Erfahrung die jungen Kollegen an die Hand nehmen, um sie auf die Schattenseiten des Erfolgs vorzubereiten. Ich hatte das auch schon mehrfach miterlebt, dass es ein ruppiger Ritt ist. Lasst uns das Ding als Gruppe von Freunden durchziehen! Lasst uns eine Gemeinde sein, um von einer Gemeinde erzählen zu können. Das hat funktioniert. Es gab eine Aufrichtigkeit, wie man sie in diesem Geschäft nicht so oft erlebt. Ich glaube, das spürt man, wenn man die Serie sieht, das macht den besonderen Spirit aus, der sie so gut funktionieren lässt.
„David und ich hatten einen gemeinsamen Groove gefunden, eine geheime Sprache, eine Methodologie.“
Wie sehr hat es geholfen, dass Sie davor bereits einige Drehbücher mit David Lynch geschrieben hatten, die kein grünes Licht erhielten, das bekannteste war „One Saliva Bubble“?
Mark Frost: Das machte unseren Voodoo aus. Wir hatten bereits einen gemeinsamen Groove gefunden, eine geheime Sprache, eine Methodologie. Wir wussten: Diese Combo funktioniert. Ich habe diese Metapher bereits zu Tode gefoltert, aber es war, wie wenn man den perfekten Tennispartner findet, der auf jeden deiner Schläge genau die richtige Antwort weiß. Wir haben unsere Schwächen gegenseitig ausgeglichen und konnten uns an den Stärken des anderen hochziehen. Die drei Wochen Arbeit am Pilot von „Twin Peaks“ war wie Alchemie, als würden wir die Zündschnur gemeinsam anzünden. Und dann, bäng, kam die Explosion.
Direkt vor „Twin Peaks“ waren Sie einer der Autoren der Serie „Hill Street Blues“, eine ganz andere Baustelle. Was haben Sie dabei gelernt, wovon „Twin Peaks“ profitierte?
Mark Frost: Ich habe „Hill Street“ drei Jahre lang gemacht, es war mein erster wirklich dauerhafter Job. Wir hatten einen Lauf, das Autorenteam war stark, der Cast war stark. Ich war wie ein Schwamm, und das noch nicht einmal besonders subtil. Ich habe alles in mich aufgesogen, habe Steven Bochco alles abgeschaut. Ich habe gelernt, wie es in der Industrie abläuft, wie man eine Show funktionieren lässt, was die Produktion, aber auch das Management des Autorenteams anbelangt. Es war wie meine letzten Jahre in der zweiten Liga, „Twin Peaks“ war dann der Aufstieg an die Spitze.
„Wir haben dann einfach das gemacht, worauf wir Lust hatten und was uns gefiel, und nahmen überhaupt keine Rücksicht.“
Sie wussten, dass „Twin Peaks“ etwas sehr Eigenwilliges sein würde. Wie haben Sie das dem Sender verkauft?
Mark Frost: ABC wollte so etwas wie die Serie „Peyton Place“. Das haben sie uns eins zu eins so gesagt. Ich konnte mich noch genau daran erinnern. Die Serie war schrecklich! Es war eine Abend-Soap, genau das, was hinter dieser Genrebezeichnung steckt: eine Sendung, die dabei helfen sollte, Seife zu verkaufen. Es hatte davor in den Fünfzigerjahren bereits einen Film von Mark Robson gegeben, auf dem die Serie basierte. David und ich schauten rein, mussten aber nach 15 Minuten ausmachen. Der war auch nicht besser. Fürchterlich steif, unverkennbar aus einer anderen Zeit. Wir nickten, wussten aber, dass wir genau so etwas auf keinen Fall machen wollten. Rückblickend war das sehr befreiend. Wir haben dann einfach das gemacht, worauf wir Lust hatten und was uns gefiel, und nahmen überhaupt keine Rücksicht, haben uns dann auch auf das Metaphysische eingelassen, wobei wir das im Pilot noch außen vor ließen. Das schien uns klüger. Wir haben die Einladung von ABC angenommen und schnappten uns dann einfach ihre Maschine, um unser Ding umzusetzen. Als wir erst einmal die Kontrolle hatten, ließen wir sie nicht mehr aus den Händen. Das bereitete ihnen eine Todesangst und machte sie wütend. Aber sie haben sich an ihre Einladung gehalten, zumindest anfangs.
Stimmt es, dass der Sender darauf drängte, den Mörder von Laura Palmer zu verraten?
Mark Frost: Das war ein großer Fehler. Aber ich sehe es entspannt: Wenn wir den Mörder schon am Ende der ersten Staffel enthüllt hätten, hätte es keine zweite Staffel gegeben. Sie bestanden darauf, dass wir ihn im Verlauf der zweiten Staffel zeigen mussten, sodass wir die zweite Staffel wiederum mit einem neuen Mysterium enden lassen konnten. Klar, man hätte den Mord gar nicht aufklären sollen, aber auf diese Weise hatten wir wenigstens 25 Jahre später einen Ansatz, wie es weitergehen konnte.
Für uns Außenstehende war David Lynch immer eine überlebensgroße Gestalt, der Inbegriff eines unangepassten Sonderlings. War das auch so, wenn man mit ihm gearbeitet hat?
Mark Frost: Ich kannte ihn schon vor 1985, als er mit „Blue Velvet“ der David Lynch wurde, als den die Welt ihn kennenlernte. Für mich war es ein Treffen wie Tom Sawyer und Huck Finn. Ich lernte ihn kennen und wusste: Mit dem kann ich auf ein Abenteuer gehen. Man sieht ihn, und man weiß: Dieser Typ ist wild at heart.In diesem Kerl rumort es kräftig, und das traf damals auch auf mich zu. Lass uns sehen, was passiert. Lass uns gemeinsam auf eine Odyssee gehen. Und das haben wir gemacht.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.