Am Donnerstag startet „Köln 75“ im Verleih von Alamode, aktuell sind die Macher noch auf Kinotour in Deutschland auf Tour. Im Mittelpunkt des Films von Ido Fluk steht Mala Emde in der Hauptrolle der legendären Vera Brandes. Wir haben ein schönes Gespräch mit ihr geführt.
Gerade sind Sie mit „Köln 75“ auf Kinotour. Davor haben Sie Premiere gefeiert im Berlinale Special Gala. Eine gute Erfahrung?
Mala Emde: Ich will nicht übertreiben, aber es war eines der schönsten Screenings, das ich jemals erlebt habe, nicht nur bei einem meiner Filme, sondern generell. Der Film ging los, und nach den ersten fünf Minuten kamen zustimmende Rufe aus dem Publikum. Es war sofort eine besondere Atmosphäre. Als dann der Abspann kam, bei dem auf der Berlinale immer wertschätzend geklatscht wird, ging der komplette Saal, 1300 Menschen, über in rhythmisches Klatschen passend zum Abspannsong, die kompletten Credits über. Mich berührte das sehr, weil es sich so anfühlte, als würde das Publikum selber anfangen, Musik zu machen, die Energie des Films mitzunehmen. Es war ein sehr schönes Erlebnis, mir standen die Tränen in den Augen. Wenn das passiert, wenn Menschen sich den Film anschauen, dachte ich mir, ist das ja viel mehr und viel besser als alles, was ich mir hätte erwünschen können. Ich hatte zur Premiere hochhackige Schuhe an und sagte mir während des Screenings, dass ich jetzt nicht solche Schuhe tragen kann. Ich musste den Boden unter den Füßen spüren. Als wir nach dem Film wieder auf die Bühne gingen, habe ich völlig vergessen, sie wieder anzuziehen. Es war aber auch egal, weil wir herausgefunden haben, dass John Magaro Geburtstag hatte. Vera Brandes kam auf die Bühne, die Menschen im Auditorium sprangen auf und jubelten. Mir war, als wollten alle etwas von der Energie, die von der Figur Vera ausging, weitergeben zu wollen. Es war magisch.
Verständlich! Wenn ein Film eine solche Eigendynamik entfacht…
Mala Emde: Später wurde mir klar, dass ich diesen Moment auch deshalb so besonders erlebt habe, weil an dieser Stelle das gesamte Konzept des Films aufging. Wir haben das Buch von Ido und machen diesen Film. Meine Aufgabe als Schauspielende ist es, die Brücke zu sein. Ich trage das, was wir gemacht haben, an die Menschen heran. Damit war der Transfer aber nicht abgeschlossen, weil die Menschen das, was wir ihnen angeboten haben, genommen und etwas Eigenes daraus gemacht haben. Für mich war das eine wunderschöne Analogie zu dem Köln Concert selbst. Vera Brandes hat Keith Jarrett überredet, auf die Bühne zu gehen, und er hat seine Improvisation gespielt. Dass wir heute aber immer noch über diesen Auftritt reden, hat damit zu tun, dass das Publikum auf sein musikalisches Angebot so ungemein enthusiastisch reagiert hat, auf diese Weise etwas einmalig Magisches entstanden ist in diesem mehrfachen Spiel über Bande – und nur auf diese Weise, in diesem Zusammenspiel entstehen konnte. Bei unserer Premiere wurde mir sehr eindrucksvoll vor Augen geführt, warum Kunst erst dann funktioniert, wenn sie rezipiert wird.
„Bei unserer Premiere wurde mir sehr eindrucksvoll vor Augen geführt, warum Kunst erst dann funktioniert, wenn sie rezipiert wird.“
Mala Emde
Wenn man das Drehbuch zum ersten Mal liest, dann sicher auch mit den Augen der Zuschauer:in. Wenn Sie den Film jetzt sehen, haben Sie den Eindruck, dass er das geworden ist, was Sie damals vor Ihrem geistigen Auge gesehen hatten?
Mala Emde: Ich erinnere mich besonders intensiv daran, dass ich beim ersten Lesen des Drehbuchs das Gefühl hatte, das Geschriebene sei selbst wie Musik. Es versucht, uns etwas zu vermitteln, aber nicht auf altkluge Weise, sondern ist in sich in seiner Form genauso wie das, wovon es erzählt, worüber es spricht. Form und Inhalt empfand ich als deckungsgleich. Das war gleich besonders, hat etwas in mir in Bewegung gesetzt. Ich habe sogar eine Wette abgeschlossen mit meiner Agenturchefin, vor der ich einen besonderen Respekt habe. Sie war sich sicher, dass der Film niemals klappen könnte, wenn man die Rechte an der Musik des Köln-Konzerts nicht besitzt. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich ihr widersprochen habe, und sagte: Doch, das wird es, es wird klappen.
Was gab Ihnen diese Sicherheit?
Mala Emde: Eben das Drehbuch. Es gibt immer wieder Drehbücher, die liest man, und man weiß nicht sicher, ob es hinhauen wird, man geht das Risiko aber dennoch ein, weil man neugierig ist. Aber hier war es anders… Natürlich kann man sich nie sicher sein, aber eine innere Stimme sagte mir, dass „Köln 75“ funktionieren wird, speziell in der Kombination mit dem Drehbuch und Ido als Regisseur und diesem wahnsinnig tollen Ensemble. Ich dachte mir, das kann einfach nur eine riesige Jam-Session werden. Da müsste schon richtig viel schieflaufen, um dieses Konstrukt, das ein Konstrukt ist, wie es das noch nie zuvor gab, zu sprengen, obwohl oder gerade weil es so vertrackt war. Ich hatte Gottvertrauen. Und dann noch Vera Brandes selbst, deren Spirit uns immer getragen hat. Umso glücklicher bin ich, dass mein Instinkt mich nicht betrogen hat. Und dass der fertige Film unheimlich nah ist an dem allerersten Gefühl, das ich hatte, als ich das Drehbuch las. Vieles ist ganz anders geworden, als in dieser ersten Fassung drinstand, die mir vorlag. Aber das Grundgefühl spüre ich in dem fertigen Film wieder, dass ich das machen musste, weil in dem Stoff eine Wildheit, eine Kraft und Freiheit steckt, die ich brauche als Schauspielerin, und sich gleichzeitig eine große Ehrlichkeit findet.
Das Paradoxe an „Köln 75“ ist, dass der Film erst dadurch funktionieren kann, die Musik des Konzerts nicht einsetzen zu können.
Mala Emde: Das sagt sich leicht! Diese Angst hatte ich tatsächlich schon: Was ist, wenn der Film nur viel redet, aber nichts sagt, weil ihm die Musik fehlt? Dass es nur viel heiße Luft sein könnte. Man baut dieses Riesending auf, und dann macht es pfffffff… Aber Ido war sich immer sicher. Er hat das genauso gesehen: Die Musik nicht zu haben, ist für den Film wie für das Konzert das kaputte Piano. Man muss seine Kunst eben drum rum machen. Das Konzert war so einzigartig, weil Keith Jarrett auf dem kaputten Piano gespielt hat. Und der Film ist so gut, weil er sein eigenes kaputtes Piano hat. Das rückt den Fokus noch stärker weg von Keith Jarrett, der ein Genie ist, keine Frage, und dessen Geschichte zu erzählen es sich auch lohnen würde, keine Frage, hin zu Vera Brandes, die so unfassbar nahbar ist, weil sie so wunderbar naiv ist. Mit dem Musikgenie kann man sich nicht identifizieren, weil wir, vermute ich mal, keine Musikgenies sind. Aber mit Vera Brandes kann man sich identifizieren, weil ihre Geschichte hundertprozentig auch unsere Geschichte sein könnte.
„Mit Vera Brandes kann man sich identifizieren, weil ihre Geschichte hundertprozentig auch unsere Geschichte sein könnte.“
Mala Emde
Was war bei diesem Film anders für Sie? Was hat ihn abgehoben von anderen Arbeiten?
Mala Emde: Ich habe früher schon Figuren gespielt, die wirklich gelebt haben, Anne Frank zum Beispiel, eine meiner ersten großen Rollen. Ich weiß noch genau, wie wichtig es mir damals war, ernst genommen zu werden. Ich wollte nicht reduziert werden auf die junge hübsche Frau, die die Handlung eines Mannes vorantreibt. Deshalb waren mir verantwortungsvolle Rollen wichtig, sie mussten Gewicht haben, etwas aussagen – bei Anne Frank mehr noch, weil sie eben wirklich gelebt hat. Das trifft natürlich auch auf Vera Brandes zu, vielleicht sogar noch mehr, weil sie sich meine Darstellung ansehen konnte und jederzeit hätte sagen können: Nein, so geht das gar nicht. Sie hätte sogar den Stecker ziehen können! Was hier aber anders war, war etwas, was Ido Fluk mir vermittelt hat, als er zu mir sagte: Mala, das ist dein Film, du machst ihn, du musst ihn als Künstlerin mit dir ausmachen. Es gibt kein richtig und falsch. Dadurch hat er eine Sehnsucht in mir geweckt, mich als Schauspielerin anders zu sehen, mich als Mala einzubringen in die Figur, anstatt Mala durch die Figur zu verdrängen, die beiden miteinander verschmelzen zulassen. Ich hatte diesmal nicht den Eindruck, mir oder der Welt etwas beweisen zu müssen, einfach an die Rolle heranzugehen und die Freiheit zu haben, daran zu scheitern: Vielleicht kann ich es nicht? Wenn ich versucht hätte, die Rolle perfekt auszufüllen, die perfekte Vera Brandes zu sein, kann es jede andere auch machen. Ich wollte sie aber so spielen, wie nur ich sie spielen konnte. Die Schauspieler:innen, die ich zutiefst verehre, ein Franz Rogowski, eine Sandra Hüller, eine Adèle Haenel, bringen immer sich selbst mit. Sie füllen ihre Rollen aus, offenbaren aber immer ein Stück von sich selbst. Sie sind unersetzbar. Das will ich auch schaffen. „Köln 75“ war ein Schritt in diese Richtung.
Finden Sie denn, dass Sie im Lauf der Jahre eine bessere Schauspielerin geworden sind?
Mala Emde: Das ist eine große Frage. Natürlich strebt man danach, es ist ein Ziel. Aber vielleicht ist „besser“ ein falscher Ausdruck. Ich würde gerne immer wieder eine andere Schauspielerin werden. Wenn ich mir ganz frühe Rollen von mir ansehe, dann sind sie technisch vielleicht nicht so geschliffen, dann sieht man, dass die Erfahrung noch fehlt. Aber gerade das macht sie auch reizvoll und interessant. Ich hatte eine Naivität und Offenheit, das war auch richtig gut. Und das lässt sich nicht mehr reproduzieren. Mit jedem Schritt nach vorne lässt man also auch etwas zurück, das eine Qualität hatte. Was man bewahren muss, ist die Lust am Ausprobieren, ist die Neugier, der Spaß an der Entdeckung. An „Köln 75“ hat mir so besonders gut gefallen, dass ich mir den Luxus gönnen konnte, auch wieder ganz naiv zu sein, auf andere Weise vielleicht als früher, aber doch so, dass ich daraus viel Kreativität schöpfen konnte. Ich will eigentlich gar nicht „besser“ werden, wenn ich es mir recht überlege. Ich will aber auf jeden Fall weiter wachsen. Das trifft es besser.
„Ja, es ist mein Weg. So will ich ihn gehen.“
Mala Emde
Wie treffen Sie Ihre Rollenentscheidungen? Bauch? Kopf? Sehen Sie dann nur die jeweilige Rolle oder sind es bisweilen auch strategische Entscheidungen, dass man sagt: Wenn ich diese Rolle spiele, werden sich mir dadurch neue Möglichkeiten eröffnen?
Mala Emde: Ich kann für mich sagen, einmal eine strategische Entscheidung getroffen zu haben. Es war kein Fehler, es war keine schlechte Erfahrung, ich habe die Arbeit gern gemacht. Aber ich habe immer die Strategie dahinter gespürt. Wenn ich mich anschaue in diesem Projekt, das ich nicht nennen werde: Ich seh’s! Aber allein, dass wir darüber reden, zeigt mir, dass ich mich in einer sehr privilegierten Position befinde: Aktuell bin ich an einem Punkt, an dem ich mir meine Rollen aussuchen kann. Das weiß ich sehr zu schätzen und will das auch nicht verplempern. Ich will, dass meine Absagen ebenso viel Wert haben wie meine Zusagen. Es ist wie in der Musik: Nur wenn du die Stille hast, kannst du die Töne hören, die guten. Weil ich nur mich selbst ernähren muss, muss ich nicht alles machen. Ich kann Bücher einfach unbefangen lesen und in mich hineinhorchen, was sie mit mir anstellen. Ein bisschen ist es, wie sich zu verlieben. Wenn man diese Schmetterlinge im Bauch fühlt, ist man auf dem richtigen Weg. Da geht etwas in mir auf, da entdecke ich etwas in mir, da öffnet sich ein Raum, den ich noch nicht betreten habe. Meine größte Motivation ist Neugier. Das würde ich gerne bewahren.
Haben Sie es für sich schon erlebt, dass sich dann durch Ihre Arbeit an Filmen neue Türen geöffnet haben?
Mala Emde: Das halte ich für den besten Weg, den einzigen richtigen Weg. Jemand sieht mich in einer Rolle und sagt: Die ist interessant, die bringt etwas mit, das mich anspricht. Dann trifft man sich und tauscht sich aus und spricht über eine mögliche Zusammenarbeit. Es ist doch auch der ehrlichste Weg: Man hat etwas geleistet, und jemand anderes erkennt das und erkennt das an. Was man auf der Leinwand oder auf dem Bildschirm von mir sieht, ist das Ergebnis einer langen Entwicklung und von viel Arbeit. Wenn man darüber ins Gespräch kommt, empfinde ich das auch als Bestätigung.
Finden Sie, dass der Weg, den Sie gerade gehen, IHR Weg ist?
Mala Emde: Ja. Ja, es ist mein Weg. So will ich ihn gehen. Ich denke, dass man sich darüber in vielleicht einem oder zwei Jahren noch besser austauschen kann, weil ich mir gerade viel Gedanken darüber mache, wie es mir als Schauspielerin gelingen kann mich aus der Abhängigkeit von der Entscheidung anderer noch mehr befreien kann, damit es noch mehr MEIN Weg wird und ich noch aktiver werden kann. Das Wort „agency“ geht mir durch den Kopf. Je weiter man voranschreitet und älter wird als Schauspielerin, desto wichtiger wird das: Was will ich erreichen, wie kann ich dabei ich selbst bleiben?
Macht Sie die Schauspielerei glücklich?
Mala Emde: Ja. Nachdrückliches JA! Es macht mich sehr glücklich. Und er macht mich wahnsinnig. Und ich vermisse es sofort, wenn ich es nicht mache. Ich liebe diesen Beruf sehr, es ist meine Berufung.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.