Seit 5. Oktober läuft die 47. Ausgabe des LUCAS – Internationales Festival für junge Filmfans. Festivalleiterin Julia Fleißig gibt Auskunft über das diesjährige Programm, Themen beim Kinder- und Jugendfilm sowie die vielen Mitmach-Angebote und stellt positiv fest, dass das oft totgesagte Interesse an Filmkultur für junges Publikum wächst.
Durch was zeichnet sich das Filmjahr 2024 für den Kinder- und Jugendfilm aus?
Julia Fleißig: Aus unserer Sicht ist dieses Filmjahr für den Kinder- und Jugendfilm geprägt von hochaktuellen Themen wie Diversität oder Umweltschutz, die immer mehr in den Vordergrund rücken und das junge Publikum auf altersgerechte Art und Weise inhaltlich heraus-, aber nicht überfordern. Erzählt werden Coming-of-Age-Geschichten aus der spannenden Phase des Erwachsenwerdens, die Fragestellungen aufgreifen, die Jugendliche besonders beschäftigen: Body Positivity, Emanzipation, Zukunftsperspektiven und verschiedene Lebensentwürfe, aber auch die Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdbildern, Mobbing und die Aufarbeitung von Familiengeschichten. Auch der Umgang mit Ängsten, das erste Verliebtsein, Enttäuschungen, die Übernahme von Verantwortung und das Treffen von wichtigen Entscheidungen spielen eine zentrale Rolle. So wird das Publikum herausgefordert, gewohnte Sehgewohnheiten zu hinterfragen und neue Perspektiven zu entdecken.
Was sticht im Filmprogramm des LUCAS-Festivals 2024 hervor?
Julia Fleißig: Im Zentrum der 47. Festivalausgabe von LUCAS stehen die internationalen Kurz- und Langfilmwettbewerbe in den Sektionen „Kids“, „Teens“ und „Youngsters“, nicht wenige Beiträge feiern beim Festival ihre Deutschlandpremiere. Viele Werke finden möglicherweise keinen Platz im regulären hiesigen Kinoprogramm, daher ist es eine einmalige Gelegenheit, sie bei LUCAS zu sehen. Die Werke wurden von unterschiedlichen Auswahlkommissionen sorgfältig gescoutet und kuratiert, teilweise sogar von jungen Erwachsenen: So lädt LUCAS jedes Jahr Jugendliche aus ganz Europa ein, Teil der „Young European Cinephiles“ zu werden, eine eigene Filmreihe zusammenzustellen und sie dem Festivalpublikum vorzustellen. Dieses Jahr kommen die „YECs“ aus Kroatien und Deutschland und haben zum Thema „Miteinander“ gearbeitet. Dass junge Menschen an der Programmauswahl beteiligt sind, passt auch zum „Mitmischen!“-Konzept, das das Festival durchzieht und das junge Publikum auf vielfältige Weise das Festival mitgestalten lässt.
„Besonders im Hinblick auf die Festivalausgabe 2025 sehen wir erhebliche finanzielle Herausforderungen.“
Was sind die Schwerpunkte und Rahmenprogrammangebote?
Julia Fleißig: Das Rahmenprogramm von LUCAS wird maßgeblich durch den bereits genannten „Mitmischen!“-Ansatz geprägt. Uns ist es wichtig, dass das junge Publikum Filme nicht einfach nur sieht, sondern sich auch ganz aktiv mit ihnen auseinandersetzt. Beim Festival sind junge Menschen unter anderem als Jurymitglieder, Festivalreporter:innen, Moderator:innen oder Kritiker:innen mit von der Partie. Auch das Programm von „LUCAS für Familien“ am Festivalsonntag lässt Kinder und Jugendliche selbst mit dem Medium in Kontakt treten: Beim Filmparcours „Am Set“ konnten sie in diesem Jahr Einblicke in die verschiedenen Werke erhalten, die an der Produktion eines Films beteiligt sind – von der Ausstattung, übers Licht, bis hin zu Spezialeffekten und Stunts. Für die Branche hält LUCAS in diesem Jahr die Paneldiskussion „Kindheit in Bildern – Kinderfilme“ bereit: Diese bildet den Auftakt einer Veranstaltungsreihe der Akademie für Kindermedien, die sich mit der Frage beschäftigt, welche Bilder von Kindheit in Kindermedien vermittelt werden und welche von ihnen Kinder tatsächlich brauchen. Vor dem Hintergrund des enormen Mangels an Realfilmen für Kinder im Alter von sechs bis acht Jahren wird erörtert, wie herausgefunden werden kann, welche Bilder Kinder in diesem Alter von Kindheit benötigen und welche Herausforderungen die Produktion solcher Filme mit sich bringt. Nicht zuletzt soll diskutiert werden, wie variabel das Konzept von Kindheit ausgelegt werden kann und wie hilfreich dabei eine internationale Perspektive für die Reflektion dieser Konstruktion ist.
Ist das Festival denn auf gesicherten finanziellen Beinen?
Julia Fleißig: Wie viele Festivals steht LUCAS trotz seiner langjährigen Geschichte und stabilen Förderbeziehungen nicht auf finanziell sicheren Beinen. Die Unterstützung durch das Land Hessen, die Stadt Frankfurt, die Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie die Stadt Eschborn und diversen Institutionen und Stiftungen ist essenziell für das Bestehen des Festivals. Eine institutionelle Förderung gibt es jedoch nicht, die Projektmittel werden jedes Jahr aufs Neue akquiriert und es bedarf stets einer Vielzahl von Fördernden, um die Durchführung zu gewährleisten. Besonders im Hinblick auf die Festivalausgabe 2025 sehen wir erhebliche finanzielle Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt.
Was waren die Herausforderungen, und welche sehen Sie allgemein in der Festivallandschaft?
Julia Fleißig: Inhaltlich liegt die Herausforderung speziell für unser Festival darin, eine äußerst diverse Zielgruppe anzusprechen, mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen – von den Allerjüngsten im Alter von drei Jahren, die bei LUCAS ihre ersten Kinoerfahrungen sammeln, bis hin zu cinephilen jungen Erwachsenen, die sich bereits sehr gut mit dem Medium auskennen. Wie für alle Festivals ist es herausfordernd, alljährlich, qualifiziertes Personal zu finden – insbesondere angesichts der begrenzten Mittel. Die Anbindung an eine Institution wie das DFF hilft dabei etwas. Dringende Themen wie Nachhaltigkeit oder Diversität brauchen mehr finanzielle Mittel, um Lösungen ernsthaft weiter vorantreiben zu können. Insgesamt wünschen wir uns vor allem mehr Zeit, um uns noch intensiver mit der Branche und aktuellen Herausforderungen auseinandersetzen zu können. In diesen Bereichen können wir aber immer wieder auch Erfolge feiern, so konnte LUCAS beispielsweise in diesem Jahr einige barrierearme Fassungen für Festivalfilme anbieten. Andere Herausforderungen sind nicht unsere, sondern die der jungen Menschen, die wir erreichen und stärken wollen. Aufgrund des turbulenten, vollen Schulalltags finden Lehrkräfte außerdem häufig nicht viel Zeit für außerschulische Aktivitäten wie den Besuch eines Festivals. Allerdings sind wir in diesem Jahr sehr glücklich über den Andrang: Im Wettbewerb „Kids“ sind fast alle Vorstellungen ausgebucht und wir bräuchten noch größere Säle, um der Nachfrage von Schulklassen nachzukommen – ein Zeichen dafür, dass das oft totgesagte Interesse an Filmkultur für junges Publikum wächst.
Die Fragen stellte Barbara Schuster