Am 26. Juni wird Piece of Magic den herausragenden neuen Kino-Dokumentarfilm „One To One: John & Yoko“ von Oscarpreisträger Kevin Macdonald in die Kinos bringen. Unser Autor Harald Pauli sprach mit dem Filmemacher über die Herausforderungen bei den Arbeiten an seinem Film.

Reborn in the USA: Regisseur Kevin Macdonald lässt in dem Dokumentarfilm „One To One: John & Yoko“ Lennon und Onos erste 16 Monate in New York nach der Auflösung der Beatles wiederauferstehen. Der Oscar-Preisträger (1999 für „Ein Tag im September“) war immer ein großer Dokumentarist, gab sein Debüt mit einem Porträt seines Großvaters, von Regielegende und Michael-Powell-Partner Emeric Pressburger. Neben Kinoikonen wie Howard Hawks, Humphrey Jennings, Errol Morris oder Chaplin-Sidekick Eric Campbell galt sein besonderes Interesse wiederholt Pop- und Rockheroen, er porträtierte Mick Jagger, Bob Marley oder Whitney Houston. Zudem reüssierte er mit Spielfilmen. Sein erster, „Der letzte König von Schottland – In den Fängen der Macht“ mit Forest Whitaker, gewann 2007 gleich einen BAFTA Award, es folgten weitere (Polit-)Thriller wie „State of Play – Stand der Dinge“ (mit Russell Crowe), „Black Sea“ (mit Jude Law) oder „Der Mauretanier“ (mit Jodie Foster). Im Moment dreht der 57-Jährige gerade den nächsten: In „The Runner“ hetzt Gal Gadot als Top-Anwältin durch London, um ihren entführten Sohn zu retten. Macdonald meldet sich per Zoom in einer Drehpause, um über „One To One: John & Yoko“ zu sprechen.
Ihre Doku war nur möglich mit Zustimmung der Lennon-Erbengemeinschaft. Hat die einen direkten Einfluss auf den Film ausgeübt?
Kevin Macdonald: Nicht wirklich. Sie besteht hauptsächlich aus Sean (Ono Lennon), dem ich gleich ursprünglich die Filmidee gepitcht hatte, um Zugang zu ihrem Archivmaterial zu bekommen. Er mochte das Projekt, weil es ihm nicht so nüchtern wie andere Dokus erschien und vor allem Yoko genauso ins Zentrum rückte wie John. Er meinte, das sieht nach einem Film aus, den meine Mutter lieben würde. Es gab beim Final Cut, als ich ihm den fertigen Film zeigte, nur eine einzige Meinungsverschiedenheit. Es gefiel ihm nicht, dass ich Vietnamkriegs-Szenen mit „Instant Karma“ unterlegte. Er sagte: „Das ist doch ein Song über Liebe und Frieden“ – und ich: „Exakt, das ist die Idee.“
Da ist er eben Amerikaner…
Kevin Macdonald: Genau, nicht unbedingt fähig zu britischer Ironie… Aber er ließ sich dann schon überzeugen. Und hat uns generell sehr unterstützt.
Haben Sie versucht, für Hintergrundinformationen auch mit Yoko Ono in Kontakt zu treten?
Kevin Macdonald: Nein, sie hat sich sehr zurückgezogen aus dem öffentlichen Leben, hat auch New York verlassen und lebt eher abgeschieden auf dem Land. Das hat leider nicht geklappt.
Der Film überrascht auch mit der Geschichte von Kyoko, Onos quasi verlorener Tochter, nach der sie Anfang der 70er Jahre wieder suchte. Gab es Kontakte zu ihr?
Kevin Macdonald: Nein, das habe ich auch nicht betrieben, vor allem auch, weil das Konzept des Films ein anderes war.
„Es ging um die Möglichkeit, eine Musikdoku mal ganz anders anzugehen.“
Sie hatten nie erwogen, Interviews oder Statements von heute miteinzubeziehen?
Kevin Macdonald: Nein, wir wollten die Geschichte von Anfang an aus der Zeit heraus erzählen, mit dem Material von damals. Es ging um die Möglichkeit, eine Musikdoku mal ganz anders anzugehen, den Zuschauer wirklich jener Zeit auszusetzen, ihn in diese Welt richtig eintauchen zu lassen, in die damalige Alltagskultur, das Fernsehen, die Politik und die Musik. Ohne irgendwas groß zu erklären. Und es so dem Publikum auch zu ermöglichen, sich einen eigenen Reim auf all das zu machen. Um noch einmal kurz auf Kyoko zurückzukommen, die jetzt irgendwo in Colorado lebt: Vor drei Monaten bei der New Yorker Premiere begrüßte mich ihre Tochter, ein sehr reizendes Mädchen.
Dann gleich noch eine Frage zu den Familienverhältnissen damals: Julian, Johns Sohn aus seiner ersten Ehe mit Cynthia, lebte immer bei der Mutter?
Kevin Macdonald: Davon gehe ich aus, ich habe zumindest in dem Material, das mir zur Verfügung stand, nichts über ihn gefunden. Und so eine Art von Familienrecherche war auch nicht meine Absicht, ich habe mir da sehr strikte Regeln auferlegt, nur von diesen vorliegenden Dokumenten auszugehen. Es gibt so viele Dokus über die Beatles und John und Yoko, die diesen familiären Dingen nachspüren, ich wollte etwas anderes machen.
Das ist schon klar, es läge ja nur die Vermutung nahe, dass, wenn Yoko nach ihrer verlorenen Tochter fahndet, Julian, Johns ‚verlorener‘ Sohn, auch eine Rolle spielte…
Kevin Macdonald: Das ist auch ein Thema des Films, und jeder, der sich etwas mit John beschäftigt hat, weiß, dass er mit Julian einen Sohn hatte, der ihm nicht sehr nahe war, so wie er selbst auch unter seinem eigenen, abwesenden Vater gelitten hat. Auch Yoko fühlte sich als lost child, weil sie wenig familiäre Wärme erfahren hat, als sie aufwuchs. Das ist letztlich auch die Verbindung zum Willowbrook Skandal, den vergessenen Kindern in jenem staatlichen Behinderten-Heim in New York. Der war schließlich der Anlass für ihr Charity-Konzert „One To One“ 1972, das wir auch im Film sehen.
Sie ließen das kleine Apartment in Greenwich Village, das John und Yoko in diesen 16 Monaten bewohnten, im Studio nachbauen. Woher wussten Sie denn über Aussehen und Maße Bescheid?
Kevin Macdonald: Wir haben uns alle Fotos besorgt, die es darüber gibt bzw. die in ihm entstanden sind. Allzu viele waren das nicht, so um die 20, 30, die das Innenleben oder Teile davon zeigen. Und es gab auch etwas Videomaterial, wo etwas zu sehen war. Die Einrichtung wechselte natürlich auch über diese 16 Monate, aber das waren eher kleinere Veränderungen. Zudem hatten wir Listen über die Bücher und Schallplatten, die John zu dieser Zeit besaß. Es sollte eine Kopie werden, die dem Original so exakt wie möglich entsprechen sollte. Was etwa auch für die Gitarren oder Verstärker gilt, die man sieht.
„Eine Art Erleuchtung hatte ich nicht, aber ich denke, dass ich die emotionalen Umstände, denen die beiden damals ausgesetzt waren, besser verstanden habe.“
Aber nachdem Sie nicht mit Yoko gesprochen haben, wissen Sie nicht aus erster Hand, was die beiden im Fernsehen gesehen haben, das wohl fast permanent lief. Die TV-Shows, Nachrichten-Clips und Commercials, die wir sehen, sind einfach das Programm der Zeit?
Kevin Macdonald: Genau, wir haben nur die Aussagen, dass die beiden sich ziemlich fasziniert dem amerikanischen Dauerberieselungs-Fernsehen hingegeben haben. Und wir haben eben nur Material von 1971/72 verwendet.
Wie schwer war es, das aufzutreiben. Gibt es denn auch für Werbespots Archive?
Kevin Macdonald: Ja, die gibt es. Dann findet man sogar etliches auf YouTube. Newsreels und TV-Shows sind natürlich bei den Sendern archiviert. Und was Richard Nixon betrifft, der der große politische Gegner war in der Zeit – ursprünglich wollte John und Yoko auch eine Tour gegen seine Wiederwahl machen –, haben wir entschieden, nur Material zu verwenden, das untypisch ist für ihn, das man kaum kennt. Wir wollten quasi einen anderen, zweiten Rockstar aus ihm machen, man sieht ihn Klavier spielen oder tanzen und wie er vom Publikum bejubelt wird.
Warum haben die beiden eigentlich fast eineinhalb Jahre in so einem winzigen Apartment gelebt, sie hätten sich doch leicht etwas Großzügigeres leisten können?
Kevin Macdonald: John sagt das mal in einer Tonaufnahme, sie kamen sich vor wie ein jungverheiratetes Paar, mit leicht romantischem Touch. Er hatte wohl auch Spaß daran, so das Leben eines Studenten oder jungen Künstlers zu spielen, wie es im Village viele gab. Und er wollte auch sein Leben ändern. Dann kam noch dazu, dass Yoko nach der „Zwei-Tatami-Philosophie“ lebte, so einer Zen-Devise, dass man nur Platz für zwei Tatamis brauche – einen zum Schlafen und einen, um darauf zu kochen und zu leben.
Sie haben viel Erfahrung mit Dokus über Pop- und Rockstars und bezeichnen sich selbst als großen Fan von John Lennon. Welche Einsicht hat Sie bei der Arbeit an dem Film am meisten überrascht?
Kevin Macdonald: Also so eine Art Erleuchtung hatte ich nicht, aber ich denke, dass ich die emotionalen Umstände, denen die beiden damals ausgesetzt waren, besser verstanden habe. Was ich auch dem Zuschauer ermöglichen wollte, etwa dadurch, dass man quasi gemeinsam mit den beiden auf dem Bett sitzt und fernsieht. Man lernt faktisch vielleicht nicht viel Neues, aber man bekommt schon mit, wie Yoko von den Beatles behandelt wurde und sich damit fühlte. Man kriegt mit, wie witzig John sein konnte, wenn er erzählt, die Beatles kämen aus Irland und Ringo sei jüdisch. Und erfährt so vielleicht, wie es gewesen wäre, wenn man mit ihnen unterwegs gewesen wäre. Was schon ziemlich ungewöhnlich ist, weil sie normalerweise so abgeschirmt gelebt haben. Gerade bei den mitgeschnittenen Telefongesprächen, die sie nur gemacht haben, um gegen die Geheimdienste, die sie abgehört haben, vermeintliche Gegenbeweise in der Hand zu haben, reden sie privat, also ganz anders als öffentlich oder mit der Presse. Das ist schon ziemlich fesselnd, finde ich.
Hat der Film auch Ihr Bild von Yoko Ono geändert?
Kevin Macdonald: In meiner ganzen Karriere als Filmemacher haben mich immer Geschichten interessiert, die eine andere Perspektive auf Personen einnehmen, über die ein bestimmtes Image in der Öffentlichkeit vorherrscht. Das gilt auch für Yoko, obwohl ich nicht dieses übliche Vorurteil der Beatles-Zerstörerin über sie teilte. Denn ich wusste etwa nichts über die Geschichte ihrer Tochter Kyoko, wie sehr sie sie vermisste und ihr das zusetzte, obwohl ich glaubte, schon sehr viel über John zu wissen. Es ist kein Geheimnis, aber es hat sich schlicht niemand dafür interessiert, obwohl es eine unglaubliche Geschichte ist. Insofern habe ich Yoko, ihre Perspektive mit emotionaler Wahrhaftigkeit behandelt. Wenn man erfährt, was sie damals empfunden hat, führt das auch zu einer anderen Sichtweise auf sie und nicht zuletzt ihrer Kreativität und ihres Gesangstils. Man sieht und hört sie also im Film sowohl sehr wundervoll und melodisch „The Luck of the Irish“ im Duett mit John singen, aber eben auch in dieser total expressiven, psychedelischen Art „Don’t worry, Kyoko“ schreien. Und man versteht ihren Schmerz und dass sie mit dieser Punk-Attitüde die Mauern der Gewohnheit niederreißen will, wie Frauen sich normalerweise auf der Bühne zu verhalten haben. Das ist zum Beispiel etwas, das die fast ausschließlich männlichen Rockkritiker nie verstanden oder irgendwie anerkannt haben, ihre ganz bewusste Hingabe zur Avantgarde. Und der Film stellt das eben in den richtigen Kontext.
1972, im selben Jahr wie das „One To One“-Konzert in New York, passierte in München das Olympia-Massaker, über das Sie Ihre Oscar-gekörnte Doku „Ein Tag im September“ gedreht haben. Haben Sie denn jetzt den deutschen Film „September 5“ gesehen?
Kevin Macdonald: Ja klar, ich habe auch früh den Regisseur Tim Fehlbaum getroffen, der mir erzählt hat, wie sehr ihn mein Film beeindruckt hat, als er ihn mit 19 in Basel gesehen hat und damals schon dachte, das wäre auch ein toller Stoff für einen Spielfilm. Und jetzt hat er ihn gedreht. Ich mochte ihn sehr! Er ist toll gemacht, hat sehr clever diese eine Perspektive der ABC-Journalisten gewählt, auch das Production Design ist wundervoll genauso die Kameraarbeit. Alles sehr beeindruckend!
Das Gespräch führte Harald Pauli.