Mit „Your Friends & Neighbors“ hat Apple TV+ eine weitere Signature-Serie gestartet, eine unterhaltsame und bittere Satire mit Jon Hamm als Hedgefund-Manager, dessen Leben vor seinen Augen einstürzt. Wir haben uns mit dem renommierten Drehbuchautor Jonathan Tropper („Sieben verdammt lange Tage“, „Banshee“) unterhalten, der als Creator und Showrunner hinter der Show steht.

Welchem Genre würden Sie Ihre Serie zuordnen?
Jonathan Tropper: Das ist tatsächlich eine gute Frage. Es hat Züge von beidem, dem Drama und der Komödie. Weshalb ich selbst immer von einem „comedic drama“ spreche. Oder einer „dramatic comedy“. Je nachdem. Die Geschichte hat Züge einer Farce ebenso wie von einer Satire. Daraus ergibt sich eine ganz eigene Tonalität. Jede Tragödie braucht Komödie. Und umgekehrt ist es genauso.
Schwebte Ihnen die besondere Tonalität von Anfang an vor?
Jonathan Tropper: Die Tonalität war ein Leitstern, sie half mir beim Ausarbeiten der Handlung. Ich wollte, dass das Geschriebene einen gewissen Pfiff hat, es sollte Spaß machen, bei den Figuren zu bleiben. Ich wollte, dass der Ton ein ganz kleines bisschen drüber ist. Klar der Realität verankert, aber spielerisch im Umgang mit ihr. Es sollte keine realistische Show sein, aber sie musste so viel Realismus im Zentrum haben, dass man Anteil nimmt am Schicksal der Figuren. Die Tonalität war also ein wichtiges Element, das erzielen zu können. Das war übrigens auch der Grund, warum ich unbedingt Craig Gillespie für die Regie der ersten beiden Episoden gewinnen wollte. Craig weiß, wie man diese Gratwanderung auch visuell hinbekommt. Er hat das Drehbuch genau verstanden und brachte zusätzlich noch seine ganz eigene Sensibilität ein. Es bedurfte eines gewissen tonalen Flairs, damit diese Geschichte wirklich zu Leben erweckt wird.
Was war der Impetus, diese Geschichte erzählen zu wollen?
Jonathan Tropper: Ich habe selbst 15 Jahre lang in Westchester gelebt, das ist exakt so ein Viertel, in dem auch die Handlung von „Your Friends and Neighbors“ angesiedelt ist. Ich empfand es als einen sehr kuriosen Mikrokosmos, ein sicheres, abgeschiedenes Wohnviertel. Obwohl die Leute dort wohlhabend sind und in großen Häusern leben, schließen sie die Türen nicht ab. Wenn man die Häuser sieht, die gepflegten Rasen, die teuren Autos, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: Die Menschen hier haben es geschafft. Aber das ist nur bedingt so. Viele leben auf Pump, ihr Reichtum ist längst nicht so gesichert, wie sie nach außen signalisieren wollen. Man lebt auf wackeligem Boden, das Kartenhaus gerät schneller ins Wanken, als es einem lieb sein kann. Eine falsche Abzweigung nur… und bumm, stürzt alles in sich zusammen. Wenn das passiert – uns es passiert oft! -, dann gehen Angst und Scham einher. Was passiert also mit einem dieser weltmännischen Einwohner eines solchen Viertels, wenn er sich diesen Lebensstil von einem Tag auf den anderen nicht mehr leisten kann?
Wie persönlich ist dieses Projekt?
Jonathan Tropper: Ich kann zu Protokoll geben, dass nichts von dem, was in „Your Friends and Neighbors“ passiert, mir persönlich passiert ist. Es ist also nicht autobiographisch. Aber je, persönlich ist das Projekt auf alle Fälle dahingehend, als dass ich das Leben, das wir in der Serie zeigen, kenne. Ich habe in einer solchen Gemeinde gelebt, ich kenne diese Leute und konnte daher für den Rahmen der Erzählung auf meinen persönlichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Und ja, ich bin im selben Alter wie die Hauptfigur, mich treiben all die Dinge um, die auch Andrew Cooper umtreiben. Ich stelle mir dieselben Fragen über das Leben und meine Werte. In „Your Friends & Neighbors“ geht es natürlich um eine Midlife Crisis, wenngleich in einer extremen Ausprägung, aber es geht auch um Reichtum und Verzweiflung. Ich habe zuletzt an einer ganzen Reihe von Actionserien gearbeitet, mit denen mich nicht viel mehr verbunden hat, als dass sie einen Heidenspaß gemacht haben. Deshalb war es eine Herzensangelegenheit, endlich wieder über Menschen und eine Welt zu schreiben, die ich selbst kenne und die mir etwas bedeutet, und mich mit einer emotionalen Wahrheit zu befassen, die etwas mit mir zu tun hat.
„Es ist eine Serie, die viel über das Amerika erzählt, in dem wir leben.“
Die Welt der Serie ist sehr spezifisch, die Geschichte und die Themen sind indes universell und allgemein nachvollziehbar.
Jonathan Tropper: Das ist die Hoffnung, wenn man an einer solchen Serie arbeitet. Ungeachtet der Herkunft des Zuschauers, seines Status, seines Einkommens, soll doch etwas in dem Erzählten stecken, das einen direkt anspricht, eine universelle Wahrheit. Ich denke, viele der Fragen, die in „Your Friends & Neighbors“ behandelt werden, betreffen alle Menschen in einem gewissen Alter.
Wie sah Ihr Pitch aus? Wenn man „Your Friends & Neighbors“ sieht, versteht man sofort, warum man sie sehen will. Aber man muss ja erst einmal Produzenten und einen Sender davon überzeugen.
Jonathan Tropper: Bevor ich an Apple herantrat, für die ich an „See: Reich der Blinden“ gearbeitet hatte, habe ich die Idee Jon Hamm unterbreitet. Ich habe mich mit ihm zum Mittagessen verabredet und erzählte mir, was mir vorschwebte und warum ich ihn als idealen Hauptdarsteller empfand. Nach nicht einmal fünf Minuten waren wir ein eingeschworenes Duo. Mehr noch: Indem ich ihm erzählte, was ich machen wollte, wurde mir anhand seiner Reaktion erst richtig bewusst, was die Serie sein könnte. Sein Enthusiasmus gab mir den Antrieb, die Pilotfolge zu schreiben. Danach hatte ich den Eindruck, die Show selbst gut genug zu verstehen, um sie einem Sender verkaufen zu können. Für mich stand fest, dass „Your Friends & Neighbors“ keine Variante von „Breaking Bad“ sein sollte, es ging nicht darum, dass ein rechtschaffener Typ auf die schiefe Bahn gerät. Die Show sollte aus diesem wohlhabenden Viertel heraus entstehen. Es sollte um die Lügen gehen, die wir uns selbst erzählen, um die Versprechen, denen wir geglaubt haben und die sich als leere Hüllen entpuppen, wenn man älter wird.
Ist es eine Serie über Amerika?
Jonathan Tropper: Ich denke, dass es eine Serie ist, die den Finger sehr genau am Puls der Zeit hat und tatsächlich viel über das Amerika erzählt, in dem wir leben. Die Sicherheit und Beständigkeit, die wir noch vor 20 Jahren als gegeben empfunden haben, sind weg. Die finanzielle Berg- und Talbahn, die Pandemie und nicht zuletzt die Wahlen haben das Land aus den Fugen gehoben. Die ersten wenigen 40 Jahre meines Lebens habe ich in der Gewissheit verbracht, dass das System funktioniert, dass es immer so weitergehen würde. Das ist weggefegt seit der Pandemie: Man spürt, dass wir auf dünnem Eis leben und es in jedem Moment brechen könnte. Mit einem Fingerschnippen kann auf einmal alles anders sein. Die Serie findet mitten auf der neuen Verwerfungslinie statt, auf der wir nun alle leben.
Sie haben Jon Hamm angesprochen, der lange Zeit darunter gelitten hat, dass man ihn sich in keiner anderen Rolle vorstellen kann als Don Draper.
Jonathan Tropper: Eine solche Rolle ist Segen und Fluch. Sie verdeckt, dass noch sehr viel mehr in ihm steckt, als Mensch und als Schauspieler. Als ich über die Show nachzudenken begann, konnte ich mir niemand anderen in der Rolle des Andrew Cooper vorstellen als ihn. Das ist der Grund, warum ich mich unbedingt mit ihm treffen wollte, bevor ich die Pilotfolge schrieb.
Wäre es vorstellbar, dass man eine Geschichte wie „Your Friends & Neighbors“ heute noch für das Kino gemacht bekommen könnte?
Jonathan Tropper: Ich glaube an das Kino, es ist ein Format, das in meinen Augen seine Relevanz nicht verloren hat. Ich kann nichts über die potenzielle Finanzierung eines „Your Friends & Neighbors“ fürs Kino sagen, aber kann mir vorstellen, wie man den Stoff als Kinofilm aufbereiten könnte. Gleichzeitig muss ich aber sagen, dass das Serienformat viel besser geeignet ist für das, was mir vorschwebte. Ich habe als Schriftsteller begonnen und bin das auch unverändert in der Tiefe meines Herzens. Ich sehe „Your Friends & Neighbors“ mehr als Roman, mit vielen Figuren und sehr komplexen Zusammenhängen. Das lässt sich mit einer Serie natürlich besser umsetzen. Im Kino würde die Zeit nicht reichen. Dieser Stoff verlangt nach einer langen Form. Weil auch die Möglichkeit gegeben ist, die Geschichte weiterzuerzählen. Ich habe das Narrativ so angelegt, dass es Stoff für mehrere Staffeln hergibt. Das wäre der Traum.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.