Am 6. November startet im Verleih von Tobis der eindringliche Thriller „The Change“ mit Diane Lane und Kyle Chandler in den deutschen Kinos. Wir nutzten die Gelegenheit, uns mit dem polnischen Regisseur Jan Komasa bei dessen Besuch in Berlin anlässlich der deutschen Premiere über seine erste amerikanische Produktion zu unterhalten.

Als Sie „The Change“ 2023 gedreht haben, ließen sich die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA nicht vorhersehen. Was als Mahnung gemeint gewesen sein könnte, fühlt sich jetzt fast romantisch an.
Jan Komasa: Man hat es nicht in der Hand. Gerade in den USA scheint die Kritik zornig auf mich zu sein, mein Film ginge nicht weit genug. Sie haben den Eindruck, ich würde verharmlosen, was wirklich gerade los ist in ihrem Land. Sie ziehen nicht in Betracht, was Sie grade gesagt haben, dass wir den Film vor zwei Jahren gedreht haben, während der Biden-Administration, als es wirklich nicht so aussah, als könne Trump wiedergewählt werden. Das erschien uns damals als verrückte Idee. Ich hatte nicht vor, einen besonders politischen Film zu machen, ich wollte keinen Kommentar abgeben. Ja, es gibt eine dystopische Bewegung in meinem Film, The Change, aber sie ist ein Mittel zum Zweck, ein Katalysator, um das erzählen zu können, was mich eigentlich interessiert hat.
Und das wäre?
Jan Komasa: Mich hat diese Familie interessiert, ihre Dynamik. Wie ist das, wenn ein Familienmitglied von einem Jahr aufs andere der Feind wird, sich in einem Maße entfremdet, dass man ihn nicht mehr wiedererkennt, bereit ist, die anderen Menschen in der Familie für eine falsche Idee zu verraten und zu opfern? Ich komme aus Polen. Wir haben in unserem Land gerade erst gesehen, welch eine zersetzende Kraft eine rechtspopulistische Regierung entfesseln kann, wie sie unsichere Menschen in ihre Fänge bekommt. Mir ging es eher um eine universelle Betrachtung, festgemacht am Schicksal einer Familie.
War es Ihr Traum, einen Film in den USA zu machen?
Jan Komasa: Ich bin in den Neunzigerjahren in einer Zeit aufgewachsen, die ich als Blütezeit des amerikanischen Erzählkinos bezeichnen würde, zwar nicht mehr New Hollywood, aber immer noch weit entfernt vom Franchise-Kino, wie es die Studios heute bedienen. Als Junge habe ich Michael Jackson, Hiphop, 2Pac und Notorious B.I.G., Nirvana, Britney Spears und Backstreet Boys gehört, ich habe mir Filme angesehen wie „Pulp Fiction“, „Forrest Gump“, „Indiana Jones“ – „Terminator 2“ habe ich bestimmt 120 Mal gesehen. Amerikanische Popkultur hat mir alles bedeutet. Sie steht mir näher als das Kino einer Ingmar Bergman oder Wim Wenders. Lars von Trier sprach mir aus der Seele, als er in einem Interview nach seinem Musikgeschmack gefragt wurde und antwortete, sein Geschmack sei erbärmlich, er würde am liebsten Britney Spears und Popmusik anhören. Ich verstehe ihn. Ich finde es wunderbar, Kunst zu erschaffen, die bei vielen Menschen einen Nerv trifft. Das berührt mich. Kino als Jahrmarkt, als Zirkus. Das geht für einen Filmemacher am besten in den USA. Also war das immer ein Traum.
„Gewiss, ich will unterhalten, aber ich will auch etwas erzählen. Ich mag Kino mit Substanz, mit einer Botschaft.“
Jan Komasa
Und dennoch identifizieren Sie sich als europäischer Filmemacher?
Jan Komasa: Ich schätze die Unabhängigkeit des europäischen Kinos. Damit identifiziere ich mich sehr stark. Gewiss, ich will unterhalten, aber ich will auch etwas erzählen. Ich mag Kino mit Substanz, mit einer Botschaft. Und ich weiß nicht, wie wichtig das den Chefetagen der Hollywoodstudios ist. Alles ist sehr industrialisiert dort, sehr windschnittig. Eine Botschaft geht vielleicht noch an, aber Autorenschaft ist nicht groß angeschrieben. Mir ist das aber durchaus wichtig, ich strebe den Sweet Spot an zwischen Autorenschaft und Unterhaltung. „Splendorism“ nenne ich das. Ich denke, dass viele der aktuellen europäischen Filmemacher eine ähnliche Einstellung haben. Ich denke an Thomas Vinterberg, Ruben Östlund oder Joachim Trier. Sie machen Filme mit einer unverkennbar persönlichen Handschrift und sprechen dennoch viele Menschen an. Das ist auch mein Ziel.

War die Erfahrung, in den USA zu drehen, denn so, wie Sie es erwartet hatten?
Jan Komasa: Es war völlig anders. Aber ich habe schnell dazugelernt. Amerikanern ist Etikette unheimlich wichtig. Es gibt gewisse Regeln, an die sich jeder zu halten hat. Die Sets sind ungemein kontrolliert, es wird viel Energie darauf verwendet, es allen Beteiligten so bequem wie möglich einzurichten. Aus Polen bin ich anderes gewohnt. Ich habe schon unter den widrigsten Umständen gedreht, und es hat mir nichts ausgemacht, weil es mir immer am wichtigsten war, dass der Film gemacht wird und der bestmögliche Film entsteht. Alles andere wird untergeordnet. Ich hatte in Europa nie einen eigenen Fahrer oder einen persönlichen Assistenten. In den USA ist das eine Selbstverständlichkeit, rund um die Uhr. Das war neu für mich. Ich kannte das bisher so, dass immer bei der Regie Einschnitte gemacht werden, wenn es um Kostenkürzungen geht, weil jeder Produzent weiß, dass ein Regisseur sein Projekt niemals zurücklassen wird.
Die Produzenten von „The Change“ konnten ihr Glück vermutlich nicht fassen.
Jan Komasa: Nichts gegen Komfort, aber vieles war einfach Verschwendung. Drehen wir einen Film oder machen wir Urlaub? Wenn ich irgendetwas sparen konnte, habe ich das willentlich getan. Ich muss nicht Business Class fliegen. Steckt das Geld doch bitte in die Produktion. Ich habe lieber 20 Statisten mehr als einen guten Sitz im Flugzeug. Wenn es nach mir ginge, müsste ich überhaupt nicht fliegen! Aber ich kann nicht klagen. „The Change“ ist für Lionsgate entstanden, also für ein Studio, aber es war keine typische Studioproduktion. Ich hatte ungewöhnlich viel Freiheit.
Vielleicht, weil das Projekt von Ihnen ausging?
Jan Komasa: Ich hatte die Idee für „The Change“ und schrieb dann mit Laurie Gambino das Drehbuch, 130 Seiten. Es entstand ohne Außeneinflüsse, wir haben das Projekt komplett unabhängig entwickelt. Irgendwie standen die Sterne gut für mich, weil man bei Lionsgate fand, dass das Projekt bei mir auch als Regisseur am besten aufgehoben wäre. Ich wurde gut unterstützt, weil man mir Gehör schenkte, was das Projekt am dringendsten brauchte. Es war eine gute Dynamik, weil ich dem Studio sagen konnte, wie ich mir den Film vorstellte, und sie dann überlegten, wie man das am besten bewerkstelligt. Das passiert ungefähr nie! Es war nicht so, wie man sich Hollywood vorstellt. Ich habe es einen „atlantischen Film“ genannt, eine Fusion aus amerikanischem und europäischem Kino.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.