Mit der Politsatire „Die geschützten Männer“ kehrt Filmemacherin Irene von Alberti zum Filmfest München zurück. Die Romanverfilmung feierte in der Reihe Neues Deutsches Kino Weltpremiere. Über das Weiterdenken von Gesellschaftsformen, ihr freier Umfang mit der Vorlage und was sich in ihrer mit Frieder Schlaich geführten Filmgalerie 451 tut.
Sie waren 2017 mit „Der lange Sommer der Theorie“ auf dem Filmfest München. Jetzt kehren Sie mit „Die geschützten Männer“ zurück. In beiden Filmen geht es um Feminismus, wobei jetzt mehr der Geschlechterkampf im Vordergrund steht. Inwiefern sprechen diese beiden Filme miteinander? Kann man „Die geschützten Männer“ als eine Art Fortsetzung lesen?
Irene von Alberti: Eine direkte Fortsetzung ist „Die geschützten Männer“ nicht. „Der lange Sommer der Theorie“ ist als Hybridfilm von der Machart auch anders. „Die geschützten Männer“ ist ein Spielfilm mit Romanvorlage. Man kann „Die geschützten Männer“ allerdings durchaus vom Look her als eine Art Fortsetzung betrachten kann. Kostüm und Szenenbild sehen wie beim „Langen Sommer“ besonders aus. Außerdem blicken beide Filme auf Gesellschaftsformen. Das interessiert mich. Ich möchte Gesellschaftsformen weiterdenken, überhaupt nachdenken über das Zusammenleben, sich auch in Utopien reindenken. Darin ähneln sich beide Filme. Ich finde es im Film erfrischend, wenn man als Zuschauer:in selber mitdenken kann, wenn Dinge offenbleiben. Deshalb gibt es bei den „geschützten Männern“ auch so viele Volten. Man weiß nicht sofort, in welche Richtung die Story steuert.
Der Roman von Robert Merle stammt von Mitte der 1970er Jahre. Inwiefern haben Sie es in die heutige Zeit transferiert/adaptiert?
Irene von Alberti: Das Buch begleitet mich schon sehr viele Jahre. Monika Treut hatte es entdeckt, wir wollten es zusammen verfilmen. Sie sollte Regie führen, ich hätte produziert. Dieses Vorhaben haben wir aus verschiedenen Gründen eingestellt. Einer der Gründe war, dass damals das Aids-Virus extrem schlimm war und es sich nicht gehört hätte, in diesem Kontext eine Virus-Satire zu drehen. Es zogen viele Jahre ins Land, das Buch ist älter geworden, der Feminismus ist mittlerweile viel weiter, auch wir als Gesellschaft sind ganz anders unterwegs. Außerdem ist das Buch aus der Perspektive eines Mannes geschrieben, hat eine männliche Hauptfigur, ein Virologe, der Feminist wird und die Welt rettet. Robert Merle hatte damals „Die geschützten Männer“ als Antwort auf die starke feministische Welle in Frankreich geschrieben. Die Grundidee, die ja super ist und die auch im Film noch drin ist, hat total eingeschlagen. Da wir uns aber als Gesellschaft weiterentwickelt haben, wollte ich die Vorlage ein Stück weit aktualisieren, habe ich mir bei der Adaption viele Freiheiten genommen. Mein Film ist komplett aus Frauenperspektive erzählt, die Weltretter sind nicht männlich.
Grassierte beim ersten Versuch, das Buch zu verfilmen, das Aids-Virus, kollidierte das jetzige Vorhaben, das ja erfolgreich zum Abschluss gebracht wurde, aber sicher mit der Coronapandemie…
Irene von Alberti: Ich hatte den Roman mit der MeToo-Bewegung wieder herausgezogen, weil ich dachte, dass eine politische Satire zum Thema Geschlechterkampf super passt. Die Coronapandemie ist ausgebrochen, als ich gerade das Treatment geschrieben habe. Ich war bereits voll im Thema drin, wusste alles über Viren, Seren und Impfstoffe. Es war zum Glück relativ schnell klar, dass man Corona relativ schnell in den Griff bekommen würde. Außerdem war die Coronapandemie allgemeiner. Für mich war gut, dass ich mir im Film die ganzen Erklärungen zu einer Pandemie sparen konnte. Diese Vertrautheit spielte mir in die Karten.
„Es sind alles Projekte mit einer gewissen Haltung.”
Gemeinsam mit Frieder Schlaich haben Sie vor über 30 Jahren die Filmgalerie 451 gegründet um ein Raum für Filmkunst, Off-Filme und Entdeckungen zu sein. Wie würden Sie Ihr Selbstverständnis als Filmemacherin beschreiben?
Irene von Alberti: Bei allen Projekten, die wir herausbringen, produzieren und/oder vertreiben, folgen wir immer dem Konzept, ein etwas anderes Programm als Mainstream zu bieten. Das heißt nicht, gegen Publikum zu sein, überhaupt nicht! Wir sind durchaus auf der Suche nach einem großen Publikum. Trotzdem können wir hinter unseren Inhalten stehen. Es sind alles Projekte mit einer gewissen Haltung. Mit Robert Schwentkes „Der Hauptmann“ haben wir erstmals einen Schritt in den größeren Produktionszusammenhang gemacht. Frieder und ich haben das Produzieren schließlich gelernt, wir können das. Uns gelingt es immer, dass ein kleines Budget auf der Leinwand nach mehr aussieht.
War es denn leicht, „Die geschützten Männer“ finanziert zu bekommen?
Irene von Alberti: Es war leicht und schwer gleichermaßen. Wir hatten großes Glück, dass wir mit Alexandra Staib vom ZDF, Martin Gerhard von ZDF/Arte und Claudia Tronnier von Arte ziemlich schnell hervorragende Redakteur:innen gefunden haben, die sich schnell zu unserem Projekt bekannten. Sie waren offen und haben Freiheiten gelassen. Das war toll. Auch das BKM und die MDM – Mitteldeutsche Medienförderung waren sofort dabei. Am FFA-Gremium sind wir gescheitert.
Was waren die Überlegungen beim Szenen- und Kostümbild?
Irene von Alberti: Mir war wichtig, die Geschichte zu verorten. Es ging mir ums Hier und Jetzt. Die Geschichte sollte jetzig sein und trotzdem eine Parallelwelt erzählen. Das spiegelt der komplette Look wider, Kostüm und Ausstattung. Wir haben in jede Szene etwas reingebracht, was drüber ist, eine Farbe, Details wie das goldene Krönchen auf der Krawatte des Kanzlers, die Haare. Ich habe auch Filmzitate untergebracht, Genre-Zitate, dekonstruiert. Das hat tierisch Spaß gemacht. Dagegen haben wir bei Kamera und Schnitt eher klassisch gearbeitet.
„Wir leben in einer Zeit, in der ein wenig Unterhaltung nicht schadet.”
Sie stehen für engagiertes, auch politisches Kino. Inwiefern kann man mit Kunst politisch etwas verändern?
Irene von Alberti: Man kann mit Kunst zum Diskurs beitragen, allerdings darf man nicht belehrend sein wollen. Wir leben in einer Zeit, in der ein wenig Unterhaltung nicht schadet, gerade, weil es so krass wird. Ich stehe total dazu, dass ich mit meinem Film auch unterhalten will. Er soll Spaß machen, man soll Lust bekommen, im Anschluss darüber zu reden, sich auszutauschen. Man darf sich auch gerne darüber streiten. Ich finde nur schwierig, wenn sich Fronten verhärten. Das bringt niemandem etwas. Rechthaben, auf seine Macht pochen mag ich auch nicht. Film ist immer noch ein populäres Medium und sollte aber immer die Chance geben, frei zu denken.
Viele klagen, dass es aktuell schwere Zeiten sind. Wie nehmen Sie die Situation in der deutschen Kinobranche wahr? Wie haben sich auch die Geschäfte der Filmgalerie 451 verändert?
Irene von Alberti: Für uns ist es wie für viele eine nicht ganz einfache Zeit. Wir haben viel mit dem Goethe-Institut gemacht. Das ist leider fast komplett weggefallen, auch unser DVD-Vertrieb hat sich verkleinert. Die Online-Auswertung ist ebenfalls schwierig, weil es einfach ein Überangebot gibt. Trotzdem können wir uns in Deutschland nicht beklagen, die Fördersituation ist nach wie vor ein Geschenk. Ich bin schon so lange in der Branche und grundsätzlich ist es so: Man muss für jedes Projekt kämpfen. Man fängt immer wieder bei Null an. Das ist hart, aber wenn man es weiß, kann sich darauf einstellen.
Das Gespräch führte Barbara Schuster