Sowohl als Verleihchef wie auch als Kinobetreiber zeigt sich Michael Stejskal zufrieden mit einem Kinojahr 2024, in dem sich der Erfolg wieder stärker in der Breite zeigte. Ausreißer oder Trendwende? Das muss sich noch zeigen.
Michael Stejskal ist Geschäftsführer des Filmladen, eines führenden unabhängigen Verleihunternehmens, das gerade dem österreichischen Film besondere Aufmerksamkeit widmet und in den letzten beiden Jahren unter anderem mit Tophits wie „Griechenland“ oder „Andrea lässt sich scheiden“ reüssierte. Zum Filmladen gehören auch das Votiv Kino und Kino De France in Wien sowie der Luna Filmverleih als Label für Filme jenseits des klassischen Arthouse.
Wir sprechen rund eine Woche nach dem Abschluss der Berlinale miteinander. Wie haben Sie das größte deutsche Festival aus Sicht eines Einkäufers und eines Kinobetreibers erlebt?
Michael Stejskal: Leider hat sich die Hoffnung, dass ein Turnaround zu Filmen mit größerer Publikumsreichweite stattfindet, heuer noch nicht erfüllt. Ich rede nicht von qualitativen Gesichtspunkten, vieles war filmkünstlerisch sicherlich sehr gut. Aber Filme mit nennenswertem kommerziellem Potenzial waren im offiziellen Programm kaum zu finden. Ein wenig besser sah es bei den Marktvorführungen aus, der EFM war sehr lebendig und es war nützlich, dort gewesen zu sein. Aber auch dort war die Ausbeute eher mager; das ist auch der Eindruck, den ich aus dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen gewonnen habe. Das ist schade, denn der Termin der Berlinale liegt ja eigentlich günstig. Es ist der erste große Markt im Jahr – daraus könnten sich auch mit Blick auf die Starttermine Vorteile ergeben. Aber die Verkäufer präferieren offenbar nach wie vor Cannes oder Venedig, wenn sie die Chance haben, dorthin zu gehen. Im Grunde konnte man aber auch nicht erwarten, dass sich das von einem Jahr auf das andere radikal ändern würde.
Ist auch Ihr Eindruck, dass sich das Publikumsinteresse selbst im Arthouse-Markt immer stärker auf einzelne Titel fokussiert?
Michael Stejskal: Zumindest mit Blick auf das vergangene Jahr kann ich das nicht sagen, ganz im Gegenteil. Wir hatten nicht nur eine ganze Reihe an starken Cross-Over-Titeln, sondern tatsächlich auch auffällig viele Erfolge im mittleren Segment zwischen 15.000 und 30.000 Besuchen. Einem Segment, das uns seit 2019 eigentlich durchgängig Probleme gemacht hatte. Auch kleinere Titel haben gut funktioniert. Wir haben bei der Berlinale daher auch wieder einige kleinere Titel gekauft. Keine Filme, bei denen man erwarten kann, dass die Zahlen durch die Decke gehen, aber bei denen man Zielgruppen gut adressieren und die man mit überschaubarem Aufwand starten kann. Also zumindest bei uns ist das mittlere Geschäft im vergangenen Jahr wieder in die Gänge gekommen. Nicht nur bei den Filmen, die wir selbst im Verleih hatten. Ich bin auch als Kinobetreiber sehr zufrieden mit einem Jahr, in dem es zwar nicht so viele große Ausreißer wie in den Vorjahren gab, in dem sich die Besuche aber viel stärker über die Breite der Titel verteilt haben.
Kann das schon eine Trendwende sein, oder war 2024 nur ein Ausreißer?
Michael Stejskal: Ob sich der Trend so fortsetzt, kann ich Ihnen am Ende dieses Jahres sagen, das ist momentan schwer zu beurteilen. Es hängt letztlich doch sehr stark von den Filmen ab, die in den Markt kommen. Wir haben jedenfalls gerade im vergangenen Jahr viele positive Überraschungen erlebt; Filme, die weit über den Erwartungen performt haben, die teils auch mit enormem Rückenwind von den Festivals in die Kinos gekommen sind.
„Emilia Pérez“, für dessen Herausbringung in Deutschland sich gleich zwei Arthouse-Verleiher zusammentun mussten, zählt sicherlich zu den Titeln mit viel Festival-Rückenwind – aber in diesem Fall hätte man sich vermutlich mehr erwartet.
Michael Stejskal: „Emilia Pérez“ war tatsächlich ein Risiko, und wir werden hier sicher kein Plus schreiben, aber zum Glück auch nicht mit einem riesigen Minus herauskommen. In Österreich hat der Film im Verhältnis etwas besser funktioniert als in Deutschland. Unglücklich war natürlich der Skandal rund um die Hauptdarstellerin, der dem Film letztlich seine Oscar-Chancen weitgehend geraubt hat. Aber gut, dass ließ sich ja nicht absehen – und zwei Academy Awards sind es immerhin geworden.
Nun kommt ohnehin nicht jeder Film mit Goldenen Palmen oder Löwen daher. Können Abomodelle helfen, das Publikum auch für Filme einzunehmen, die nicht so sehr im Rampenlicht stehen?
Michael Stejskal: Wir nehmen mit dem Votiv Kino und dem De France am Nonstop-Abo teil – und das hat bis jetzt gut funktioniert. Insbesondere die Hoffnung, dass man damit gerade ein junges Publikum in Arthouse-Filme bringen kann, hat sich tatsächlich erfüllt.
Das Abschneiden des österreichischen Films scheint ein gewisser Spiegel des Erfolgs in der Breite zu sein. Obwohl es 2024 keinen ganz so großen Hit wie ihren „Griechenland“ im Vorjahr gab, hat sich der lokale Marktanteil von gut drei auf fast sechs Prozent nahezu verdoppelt.
Michael Stejskal: Derartige Schwankungen sind in unserem Markt relativ normal, denn ein kleines Land hat naturgemäß weniger Kontinuität in der Produktion. So wahnsinnig viele Regisseur:innen und Schauspieler:innen, die ein großes Publikum anziehen, haben wir einfach nicht. Da entstehen zeitweise Filme, die eher auf Festivals gut performen, aber nicht so sehr in der regulären Kinoauswertung – und dann hat man wieder die Jahre mit den publikumsaffinen Titeln. 2023 war das lokale Ergebnis tatsächlich sehr stark von „Griechenland“ und seinen fast 300.000 Besuchen getragen, 2024 hatten wir mit „Andrea lässt sich scheiden“ einen Hit von um die 190.000 Tickets – daneben aber auch noch Filme wie „Rickerl“ oder „80 Plus“, die auch stattliche Ergebnisse eingefahren haben.
Hat das schwächere US-Angebot des vergangenen Jahres dabei womöglich auch eine Rolle gespielt?
Michael Stejskal: Also bei einem Film wie „80 Plus“, der jetzt schon mehr als 70.000 Besuche zählt, glaube ich nicht, dass der Anteil des Publikums, der sich stattdessen lieber das 150. Marvel-Spin-Off im Multiplex angesehen hätte, sonderlich groß war. Ich glaube, da haben wir ein älteres Publikum abgeholt, das vielleicht einmal alle ein oder zwei Jahre ins Kino geht. Bei einem Film wie „Andrea lässt sich scheiden“, der ja auch in den Multiplexen gut lief, hat das vielleicht eher eine Rolle gespielt.
Allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres hat der Filmladen ein Dutzend Titel auf die Leinwand gebracht. Ist das die richtige Schlagzahl für das Marktumfeld?
Michael Stejskal: Sie ist keineswegs ungewöhnlich, im Grunde bringen alle österreichischen Verleihfirmen relativ viele Filme heraus – was vor allem den Hintergrund hat, dass 90 Prozent der internationalen Titel, die hier anlaufen, einen deutschen Verleih haben. Unabhängig davon, ob ich jetzt einen Sublizenzvertrag mit dem deutschen Verleih oder direkt eine Vereinbarung mit dem Weltvertrieb mache, kann ich das Material aus Deutschland übernehmen, also Trailer, Artwork, Pressematerialien usw… Da fällt für uns eine Menge Arbeit weg, das ermöglicht es uns, Filme mit geringerem Aufwand in die Kinos zu bringen. Bei den österreichischen Titeln ist das natürlich komplett anders, da ist der personelle Aufwand hinter der Auswertung enorm. Letztlich sind wir im Prinzip gezwungen, unsere Overheads mit einer größeren Anzahl an Filmen hereinzubringen, als man das vielleicht aus Deutschland kennt – denn wir haben bei den internationalen Titeln fast immer lediglich die Kinorechte, können also nicht an weiteren Auswertungsstufen partizipieren.
Am Ende ein zweischneidiges Schwert?
Michael Stejskal: Ich würde es vielmehr ein einschneidiges Schwert nennen. Denn ich kann es mir bei den internationalen Titeln in der Regel nicht aussuchen – und selbstverständlich hätten wir gerne die Möglichkeit, Umsätze auch abseits des Kinos zu erzielen. Aber die Konstellation in Österreich unterscheidet sich nun einmal von jener aller anderen Länder in Europa, weil wir eine Sprache haben, die uns mit einem benachbarten, zehnmal so großen Markt verbindet.
Apropos Konstellation: Eine solche hat sich in Österreich ja nun doch in Form eines Drei-Parteien-Bündnisses gefunden – und deren Pläne für die Filmwirtschaft lesen sich zumindest interessant. Hoffen Sie auch auf mehr Förderunterstützung für den Verleih?
Michael Stejskal: Es geht jetzt zuallererst darum, die vorhandenen Instrumente nach dem monatelangen politischen Stillstand wieder zum Laufen zu bringen und die Krise bei ÖFI+ aufzulösen, an dessen Kuchen wir als Verleih mit vier Prozent des Budgets zumindest ein wenig mitnaschen dürfen. Ich möchte das jetzt nicht direkt einen Trostpreis nennen, allerdings waren wir mit deutlich größeren Forderungen in die Filmförderungs-Novelle gegangen – und hatten bereits mit allen Stakeholdern ein Paket geschnürt, das dann in letzter Minute am Einspruch des Finanzministeriums gescheitert ist. Was im Grunde absurd war, denn wir sprechen von einem wirklich überschaubaren Betrag. Mittelfristig werden wir auf die Forderung nach diesem ursprünglichen Paket wieder zurückkommen, aber kurzfristig müssen wir mehr froh sein, wenn die bisherigen Budgets erhalten bleiben. Der Staatshaushalt muss dringend saniert werden, also muss erst einmal eisern gespart werden, um sich wieder budgetäre Spielräume zu erarbeiten.
In drei Jahren steht bereits das 50-jährige Jubiläum des Filmladen an. Eine Zielmarke, über die Sie sich bereits Gedanken machen?
Michael Stejskal: Überhaupt nicht – aber ich hatte schon über unser 40-jähriges Jubiläum nicht großartig nachgedacht. Wir haben das presseseitig zwar ein wenig begleitet, aber ich schaue lieber nach vorne als zurück.
Und was sagt Ihnen dieser Blick nach vorne über die Entwicklung in den kommenden Jahren?
Michael Stejskal: Ich denke schon, dass der Kinomarkt wieder einigermaßen in die Spur gefunden hat. Es ist allerdings nicht zu übersehen, um wie viel unberechenbar das Publikumsverhalten in den vergangenen Jahren geworden ist. Stimmungen bauen sich teilweise viel schneller auf als früher, zerschlagen sich mitunter aber auch viel abrupter. Eine wesentliche Rolle spielt dabei, dass die Zeiten für die Menschen generell immer anstrengender werden – und das ganz abseits der vielen Krisen, die gerade auf uns hereinprasseln. Freizeit ist ein zunehmend kostbares Gut, die Menschen sind gerade unter der Woche oft einfach erschöpft. Der Wettbewerb um Freizeit und Aufmerksamkeit wird nicht einfacher. Und im Verleihgeschäft beginnt man jedes Jahr wieder von Neuem. Aber mit dem nötigen Zweckoptimismus, den man in unserer Branche immer braucht, würde ich schon denken, dass wir nicht nur in die Spur zurückgefunden haben, sondern auch darin bleiben werden.