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Eva Trobisch: „Festivals sind Orte, an denen das passiert, was ich am Kino liebe“


Filmemacherin Eva Trobisch gehört zur diesjährigen Jury des Bolzano Film Festival Bozen. 2024 hat dort ihr „Ivo“ gewonnen. Wir setzten uns mit ihr im schönen Bozener Mondschein Hotel zusammen, um uns über Festivals, ihre Jurytätigkeit, ihren neuen Film, der in Postproduktion ist, und die Trima-Family zu unterhalten. Die Gewinner:innen der 38. Festivalausgabe haben wir hier vermeldet.

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Eva Trobisch (Credit: Franziska Stenglin)

Sie gehören zur diesjährigen Jury des Spielfilmwettbewerbs des Bolzano Film Festival Bozen, wo 2024 Ihr „Ivo“ ausgezeichnet wurde. Jurytätigkeit üben konnten Sie bereits 2020 bei der Berlinale für den damals noch existierenden Encounters-Wettbewerb. Was nehmen Sie von dieser Aufgabe mit, wenn man ein Festival quasi von der anderen Seite kennenlernt, nicht als Teilnehmerin, Auserwählte mit einem eigenen Film, wie Sie es ja mit Ihren „Alles ist gut“ und „Ivo“ erlebt haben?

Eva Trobisch: Erstmal muss ich sagen, dass ich mich sehr darauf gefreut habe, weil ich nach einem Jahr Output endlich mal wieder Input bekomme. Ich habe 2024 meinen dritten Spielfilm gedreht, der nun in Postproduktion ist. Kurz vor und während eines Drehs kann ich keine Filme gucken, kann nichts lesen. Ich bin wirklich nur mit Rausgeben und Reingeben beschäftigt, in dieses Baby, das man da gemeinsam backt. Und jetzt merke ich, dass ich total ausgehungert bin nach Input. Deshalb kommt die Aufgabe in Bozen zur perfekten Zeit, weil ich so Lust habe, wieder an andere Orte zu gehen, Filme zu schauen, neue Menschen kennenzulernen. Ich habe hier in meinem schönen Hotel eine Yoga-Klasse mitgemacht und da ging es darum, dass der Frühling das Fühlerausstrecken ist, das sich in die Welt Bewegen. Und der Herbst ist ein in sich Zurückkehren. Da mussten wir sehr engagierte Übungen tanzen, mit wildfremden Leuten. Das war ziemlich absurd und lustig. Aber den Frühling habe ich ganz gern getanzt, der scheint meinem Zustand zu entsprechen. Dass sich das mit der Jahreszeit deckt, ist natürlich doppelt schön.

Wie ist es mit Ihren Jurykolleg:innen?

Eva Trobisch: Das sind sehr intensive Begegnungen. Das war bei meiner Jury-Tätigkeit bei der Berlinale damals auch so. Weil man sich inhaltlich ganz schnell unheimlich nahekommt. Man lässt schnell die Hosen runter, in Sachen Geschmack und Haltung. Das finde ich aufregend. Was ich außerdem interessant finde: Man lernt so viel über Mechanismen von Festivals. Man lernt Kurator:innen kennen, versteht, wie und wonach ausgewählt wird… ich entwickle da einen richtigen investigativem Eifer, um diese Strukturen zu begreifen. 
Bei der letzten Jurytätigkeit hatte ich Glück, weil das Urteil sehr einhellig war. Aber oft ist es tragischerweise so, dass, wenn es zwei starke Konkurrenten gibt, über die die Juror:innen streiten, dann der dritte Platz ausgezeichnet wird. Ich bin gespannt, wie es hier ausgehen wird. Bis jetzt hat sich aber gezeigt, dass bestimmte Filme, ganz unabhängig von unseren verschiedenen Geschmäckern, zu uns allen gleichermaßen vordringen. Das ist berührend und irgendwie auch beruhigend. 

Ist die Jury-Aufgabe eine andere Erfahrung bei einem kleineren Festival wie Bozen im Vergleich zur Berlinale, wo es alles Weltpremieren waren?

Eva Trobisch: Nein. Bozen ist vielleicht kleiner, aber auf keinen Fall provinziell kuratiert. Dadurch, dass es Filme sind, die alle überall schon Premieren auf A-Festivals hatten und sich dadurch ihren Rang erspielt haben, hat man nicht das Gefühl, Zweitware zu gucken. Im Gegenteil – es ist ja quasi ein Best of eines Festivalturnus‘. Und dadurch hohe Qualität.

„Mir ist der Austausch wichtig, gemeinsam spüren, was funktioniert, was nicht, was abhebt und was nicht, und wenn, warum, sich streiten und sich so weiterentwickeln.“

Ihre Karriere ist geprägt von Festivaleinladungen. Und zwar gleich mit Einladungen auf A-Festivals. Ihr Debüt feierte nach der Weltpremiere in München seine internationale Premiere in Locarno, Ihr zweiter Spielfilm Weltpremiere auf der Berlinale. Welche Bedeutung haben Festivals für Sie als Filmemacherin?

Eva Trobisch: Eine ziemlich große. Es ist tragisch, wie es dem Kino geht, und Festivals sind Orte, an denen das passiert, was ich am Kino liebe. Ein gemeinsames Rezeptionserlebnis. Darin sind Festivals momentan wie eine letzte große Bastion. Dennoch glaube ich, dass das Kino niemals aussterben wird, weil die Vereinzelung am Laptop meiner Meinung nach nicht nachhaltig konkurrenzfähig mit einer kollektiven Erfahrung sein wird. Ich mag kleinere Festivals, bei denen man jeden im Kinosaal schon mal gesehen hat. Aber auch große Festivals, wenn man mit 500 Leuten einen Film guckt. Es bleibt einfach etwas anderes, als wenn man bei Netflix ein globales Millionenpublikum knackt. Da wird der Champagner geköpft für den hundertmillionsten Klick, aber man freut sich über etwas recht Anonymes. Es ist nicht greifbar, man hat kein Gegenüber. Natürlich freue ich mich, wenn meine Filme von vielen Menschen gesehen werden. Aber ehrlicherweise mache ich meine Filme in erster Linie für Leute, die ich gut kenne und schätze, bei denen ich mir vorstellen kann, wann sie schmunzeln, weinen oder die Augen verdrehen. Denn als künstlerischer Adressat bleibt eine Quote recht abstrakt. Mir ist der Austausch wichtig, gemeinsam spüren, was funktioniert, was nicht, was abhebt und was nicht, und wenn, warum, sich streiten und sich so weiterentwickeln. Das braucht Orte, das braucht Begegnung. Und dafür gibt es Festivals.

Aber heißt das im Umkehrschluss, dass Sie ein Streamingprojekt ausschließen würden?

Eva Trobisch: Gar nicht. Ich brauche nur einen Bezug. Entweder sind das Menschen, die ich gut kenne oder mit denen ich schon immer mal arbeiten wollte, oder es ist ein Stoff, der mich interessiert, zu dem ich mich verhalten kann und will. Wenn ein mir vollkommen fremdes Thema an mich herangetragen würde, wäre ich nicht die Richtige. Ich habe Respekt vor Filmemacher:innen, die in einem Jahr an einem Film über türkische Gastarbeiter, einer Serie um das englische Königshaus und einem Stoff über Finanzskandale arbeiten können. Ich hätte das Gefühl, für jeden einzelnen erstmal zwei Jahre recherchieren zu müssen, nur um herauszufinden, ob es etwas gäbe, das ich, Eva, dem Thema hinzufügen könnte oder nicht etwa andere viel geeigneter dafür wären. Und dann gibt es Welten, die mir näher sind, und mit den richtigen Leuten ist mir dann auch egal, ob das Ergebnis auf einer Plattform läuft, im Fernsehen oder im Kino.

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„Ivo“ gewann 2024 in Bozen (Credit: Piffl Film)

Wie ist generell Ihre Herangehensweise an Stoffe, Projekte?

Eva Trobisch: Ich beobachte rückblickend gewisse Abstoßungsimpulse von Projekt zu Projekt. Vielleicht ein bisschen vergleichbar mit Liebesbeziehungen, wo man oft das Gegenteil von der oder dem Ex sucht. Mein erster Film war sehr drehbuchorientiert. Deshalb hatte ich große Lust, danach anders, freier zu arbeiten. „Ivo“ hatte etwas Dokumentarisches, war ein Rechercheprojekt, es war ein Film, der sich weniger aufs Drehbuch verlässt, wir haben uns treiben lassen und beim Dreh gesammelt und im Schnitt den Film gebaut. Jetzt habe ich ein multiperspektivisches Familienepos gedreht und merke, dass ich total Lust habe auf ein konzentriertes Kammerspiel mit zwei Leuten. Oder aber einen Film, der extrem vom visuellen Konzept/Zugang ausgeht. Ich habe Freude daran, mir bei jedem Film ein neues Feld zu erschließen, will dazuzulernen, mich verändern.

Was können Sie denn über Ihren dritten Kinofilm erzählen, der den Arbeitstitel „Etwas ganz Besonderes“ trägt?

Eva Trobisch: Ich kann den finalen Titel verraten: „Homestories – Heimatgeschichten“. Es ist eine Familiengeschichte in der ostdeutschen Provinz, in Thüringen. Es geht um die Familie, die in Bewegung gerät, als die Tochter an einer Gesangs-Castingshow teilnimmt und weiterkommt. Nur steht weniger der Contest im Mittelpunkt des Films als vielmehr der Umstand, dass die Leute der Show zu ihnen nachhause kommen und eine Homestory drehen wollen. Die Show meint es gut, will nicht übergriffig sein, keine Stereotypen über die Leute stülpen, sondern versucht, aus den Familienmitgliedern heraus zu erzählen. Dafür wollen sie wissen, wie sie sich präsentieren wollen. Wer wollen sie sein, wenn sie es sich aussuchen können? Nur welche Geschichte erzählt man da? Die Idee zum Drehbuch hatte ich, als nach meinem ersten Film ein Fernsehteam zu mir kam und ein Porträt von mir drehen wollte. Da ratterten bei mir sofort die verschiedenen Szenarien durch den Kopf: Stelle ich mich vor mein schlaues Bücherregal, gehe ich zur Kiez-Bäckerei, so auf bodenständig, hole ich mit denen meinen Sohn ab und betone die Mutter in mir, oder doch lieber die Paris Bar? Ich war mit der Außenperspektive meiner Person beschäftigt und damit, wie ich wirken will. Das hat mich sehr angestrengt und beunruhigt. Aber auch interessiert. Und ich habe weitergedacht: was passiert, wenn man eine 16-Jährige vor diese Aufgabe stellt, die sich das vielleicht noch nie gefragt hat und plötzlich ihr mediales ich gestalten soll. Was macht das mit ihr und was macht das mit einer Familie, von der alle Mitglieder womöglich eine ganz andere Vorstellung davon haben, was die Geschichte ist, die es über sie zu erzählen gibt? Das dekliniert der Film dann durch die verschiedenen Beziehungen und Dynamiken innerhalb der Familie.

Sie haben hier also zum ersten Mal mit vielen minderjährigen Darsteller:innen gearbeitet…

Eva Trobisch: Und mit Tieren… Und versucht, Sommer im April zu drehen (niemals nachmachen, bitte!) Also alles, was man tun kann, um sich schön viele Widrigkeiten einzubrocken. Wir hatten 200 Stunden Material, weil wir mit zwei Kameras gedreht haben, aufgrund der vielen Figuren und Laiendarsteller:innen. Ich dachte eine Weile, dass wird nie ein Film. Aber jetzt haben wir einen Rohschnitt und ich bin guter Dinge.

Spielt dann Musik auch ein Thema?

Eva Trobisch: Schon. Aber es geht weniger um ihre Auftritte und dem Contest als solchen. Das Konzept des ganzen Films ist, dass wir immer Backstage bleiben. Man spürt die Show und auch ihre Größe, aber wir bleiben in der Peripherie. Sie singt auch zwei Songs, bei denen wir aktuell noch um die Rechte kämpfen, also kann ich hier noch keine Titel nennen. Ich arbeite bei diesem Film auch erstmalig mit Komponist:innen, ein Prozess, auf den ich sehr gespannt bin. Der Film ist schon sehr anders als die zwei davor. 

„Ich finde es einen Widerspruch in sich, dass anhand eines Drehbuchs die Qualität eines Films erkannt werden soll.“

Ihre Drehbuch-Skills haben Sie an der NYU Tisch School und London Film School verfeinert. Das Regiehandwerk erlernten Sie an der HFF München. Fühlen Sie sich zu einem Bereich mehr hingezogen?

Eva Trobisch: Ich kann beides ganz gut leiden. Ich bin nur nicht wirklich überzeugt von dem Konzept Drehbuch. Auch wenn ich es mit Leidenschaft studiert habe. Eigentlich aber finde ich es in seiner Grundanlage einen Widerspruch. Man versucht in dem einem Medium (Text) etwas zu beschreiben, was in einem anderen Medium (Film) abheben soll. Das macht, wenn man es genau betrachtet, keinen Sinn. Das, was im Kino berührt und Kraft entfaltet, ein Bild oder eine Reihenfolge von Einstellungen, das Spiel eines/r Schauspieler:in, ein Ton, eine Lichtstimmung, ein kleines Detail auf großer Leinwand, oder auch alles zusammen, ist für meine Begriffe nicht in Worte zu fassen. Deshalb finde ich es einen Widerspruch in sich, dass anhand eines Drehbuchs die Qualität eines Films erkannt werden soll, was natürlich oft Anspruch des Fördersystems ist. Sie brauchen ja eine Bewertungsgrundlage. Dadurch werden die Drehbücher aber oft so handwerklich, so technisch, so themenlastig. Damit anhand des Drehbuchs der Stempel drauf kann: Dieses Projekt ist relevant, das hat Hand und Fuß und drei Akte.

Haben Sie eine andere Idee?

Eva Trobisch: Gerade hier in der Jury merke ich wieder: oft, nicht immer, sind es die Filme, die nicht wegen ihres klar auszumachenden Themas oder der eingängigen Synopsis überzeugen, sondern die, die einen Zustand in einem auslösen, die einen emotional oder intellektuell stimulieren. Und das erreicht man mit der gesamten Bandbreite an filmischen Mitteln über so viel mehr als über den in ein solides Drehbuch gegossenen Plot. Mich interessieren daher auch die Wege abseits des klassischen Drehbuchs, das ein/zwei Jahre vor Dreh fertiggestellt sein muss, weil nur durch dessen verlässliche Struktur eine Finanzierung denkbar ist. Gleichzeitig habe ich auch noch nicht aufgegeben, eine Form zu finden, bei der die Leser aus einem Text wirklich herauslesen können, was für eine Art Film sie am Ende erwartet. Insofern mag ich beides, Schreiben und Drehen. Ich könnte auch nicht ständig drehen. Ich brauche schon auch immer – um den Kreis zur lustigen Yogastunde zu schließen – Herbst und Frühling. Das Aufmachen und Ausbreiten und das Zusammenziehen und Einigeln. 

Sie sind Teil von Trima Film, gemeinsam mit Trini Götze, David Armati Lechner, Isabelle Bertolone und Mariko Minoguchi. Durch was zeichnet sich diese Familie aus? Warum passen sie gut zusammen, was ist das Firmen-Credo?

Eva Trobisch: Erst einmal verbindet uns eine tiefe Freundschaft. Wir haben uns an der Uni kennengelernt und arbeiten seitdem zusammen. Das ist die eine große Säule. Das verbindet.  Dann kann man es vielleicht auch mit einer Art gemeinsamen Wertesystem zusammenfassen. Im Zwischenmenschlichen – wie man arbeitet, mit welcher Form von Aufrichtigkeit, Aufmerksamkeit und Anstand. Und das gilt natürlich auch fürs Filmemachen, für Inhalte. Schlussendlich geht es doch um eine geteilte Haltung, welche Geschichten wollen und können wir erzählen, welche stehen einem zu, welche nicht, was ist übergriffig, was ist berechnend… Es ist ein innerer moralischer Kompass, der uns, denke und hoffe ich, sowohl in der konkreten Zusammenarbeit als auch in dem, was wir erzählen möchten, verbindet. Wir sind sehr unterschiedlich und haben auch verschiedene Geschmäcker und Vorlieben. Aber in den benannten Punkten haben wir Schnittmengen. Zudem herrscht bei uns eine gewisse Offenheit für hybrides Filmemachen, für unterschiedliche Ausdrucksformen und Werdegänge. Diese Offenheit grenzt sich möglicherweise von einem gewissen Dogmatismus und den üblichen Grabenkämpfen ab, den man an manch anderen Stellen findet. Und: wir spielen alle unheimlich gern Scharade!

Das Gespräch führte Barbara Schuster