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Éric Besnard über „Louise und die Schule der Freiheit“: „Ich will an die wichtigen Dinge erinnern“


Morgen startet „Louise und die Schule der Freiheit“ im Verleih von Neue Visionen in den deutschen Kinos. Gestern war Regisseur Éric Besnard, bekannt für Publikumserfolge wie „Birnenkuchen mit Lavendel“ oder „À la carte“, zu Besuch in Berlin, um über seinen Film zu sprechen. 

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Éric Besnard, Regisseur von „Louise und die Schule der Freiheit“ (Credit: Neue Visionen)

Mein Eindruck ist: Dieser Film liegt Ihnen sehr am Herzen. Liegt man den richtig, wenn man „Louise und die Schule der Freiheit“ als einen sehr persönlichen Film beschreibt?

Éric Besnard: Meine professionelle Laufbahn hatte ich im Bereich der Bildung begonnen. Ich wollte Dinge verändern, habe deshalb bei der politischen Bildung gearbeitet. Irgendwann habe ich festgestellt, dass es mir nicht gelingen wird, Veränderung in dem Maße herbeizuführen, wie ich mir das erhofft hatte. Ich habe mich dann dem Kino zugewandt. 30 Jahre später habe ich einen Film über Bildung gemacht. Es lässt sich also sagen: Ein Kreis schließt sich. 

Wenden Sie sich als Filmemacher und Autor mit dieser Geschichte direkt ans Publikum? Erzählen Sie mit dem Film etwas, was Ihnen persönlich auf den Nägeln brennt?

Éric Besnard: Ich versuche durchaus ein möglichst großes Publikum mit meinen Filmen zu erreichen. Ich selbst finde ein elitistisches Kino interessant, aber es ist nicht die Art von Kino, die mich als Filmemacher interessiert. Es ist mir auch wichtig, jene Menschen anzusprechen, die noch nicht alles wissen oder die Dinge nicht bereits so sehen wie ich. In der heutigen Zeit, in der sich die Schule vehementer Kritik ausgesetzt sieht, teilweise auch auf sehr aggressive Art und Weise, war es mir wichtig, in der Öffentlichkeit ins Gedächtnis zu rufen, woher die Schule, wie wir sie heute kennen, kommt. Dass die Schule ein Solidaritätspakt ist, den die Gesellschaft anbietet. 

Haben Sie denn den Eindruck, dass sich mit dem Kino jene politische Botschaft, die Sie in Ihrer Zeit, bevor Sie sich dem Filmemachen zugewandt haben, besser vermitteln lässt?

Éric Besnard: Ich habe es mir mittlerweile zu einer Art Mission gemacht, an gewisse Dinge erinnern zu wollen, die in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Bei „À la carte“ wollte ich daran erinnern, wie viel Spaß und Freude man hat, wenn man zusammen weggeht, wenn man zusammen essen geht – als Gegenentwurf zu Netflix und Uber Eats. In „Louise“ ist Bildung das übergeordnete Thema in einer Zeit, in der die Schule als Institution gerade in sozialen Netzwerken stark angegriffen wird. Dem wollte ich etwas entgegensetzen. Ich glaube fest an eine universelle Schule, in der allen Menschen etwas beigebracht wird und damit zu ihrer Freiheit beiträgt. Wissen ist Freiheit. Dafür setze ich mich ein, dafür kämpfe ich. 

„Für mich ist die Idee der Weitergabe von essenzieller Bedeutung, die Weitergabe von Mensch zu Mensch.“

Wenn Sie von „universeller Schule“ sprechen, fällt mir auf Anhieb das Kino ein. Sehen Sie das als eine mögliche Funktion des Kinos – ein Ort des Zusammenkommens wie in „À la carte“, ein Ort der Wissensvermittlung wie in „Louise und die Schule der Freiheit“?

Éric Besnard: Unbedingt. Bei „À la carte“ habe ich immer gesagt: Ein Menü ist wie ein Drehbuch, ein Chefkoch ist wie der Regisseur. Und im Restaurant wie im Kino hat man es mit Leuten zu tun, die das Angebot im Sitzen genießen, während andere um sie herum arbeiten. Und es entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, dass Schauspieler:innen zu Beginn ihrer Karriere häufig Aushilfsjobs im Service von Restaurants annehmen. Die Parallelen zum Kino sind evident. Für mich ist dabei die Idee der Weitergabe von essenzieller Bedeutung, die Weitergabe von Mensch zu Mensch. Eben nicht auf virtuelle Weise. Wenn man es auf Augenhöhe miteinander macht, dann entsteht Dialog, dann tauscht man Meinungen aus, dann kann man hinterfragen. 

Ihre Hauptfigur in „Louise und die Schule der Freiheit“ ist nicht von ungefähr nicht nur Lehrerin, sondern auch Fotografin: Sie ist eine Chronistin, legt Zeugnis ab mit ihren Fotos. Sehen Sie sich als Filmemacher auch so?

Éric Besnard: Es geht noch weiter, gibt aus meiner Sicht zwei wichtige Gründe, warum sie fotografiert: Es symbolisiert den Fortschritt in einer konservativen Welt. Und dann ist es auch so, dass sie das Fotografieren eigentlich aufgegeben hat. Sie macht eigentlich keine Fotos mehr, was unterstricht, dass sie auf jegliche Form eines Privatlebens verzichtet. Sie hat mir der Welt abgeschlossen. Als sie wieder mit dem Fotografieren beginnt, ist das ein erster Schritt zurück in die Welt. 

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„Louise und die Schule der Freiheit“ mit Alexandra Lamy (Credit: Neue Visionen)

Samuel Goldwyn wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Wer eine Botschaft hat, soll sie mit Wells Fargo schicken.“ Sie sehen das offenkundig anders, richtig?

Éric Besnard: Es gibt die Aufteilung in Arthouse und Mainstream, was gerade in Frankreich sehr stark propagiert wird, vielleicht mehr noch als in anderen Ländern. Auf der einen Seite sind die Filme der Pariser, die subventionierten Filme, die Post-Nouvelle-Vague-Filme. Auf der anderen Seite ist das sehr populäre Kino. Ich bin kein Anhänger dieser strengen Trennung. Es gibt in der Filmgeschichte genügend Giganten, die beides gemacht haben. John Ford zum Beispiel, am auffälligsten in „Der schwarze Falke“, der beide Ansätze zu einer perfekten Fusion bringt. Mein primäres Ziel als Filmemacher ist es nicht, meine Meinung kundzutun. Die ist dem Publikum vielleicht egal. Vielleicht finden es manche auch lächerlich, sich mit der Schönheit der Welt auseinanderzusetzen oder an die ausgestreckte Hand zu glauben. Mir geht es darum, an Dinge zu erinnern, die allzu leicht in Vergessenheit geraten. Wenn ich die Pariser Kommune anspreche, dann geht es mir darum, daran zu erinnern, dass es sie gegeben hat, was ihr Ziel war, was ihre Ideale. Eine Botschaft sehe ich darin bestenfalls indirekt. Aber wenn ich an die Schule erinnere, erinnere ich auch daran, dass man sie als Gegengewicht zur Allmacht der katholischen Kirche geschaffen hat – und damit meine ich: gegen jede Form von Ideologie. Ein Ort der Bildung und freien Meinungsfindung. Schule sollte frei sein. In einer Welt voller falscher Informationen, die nicht mehr gecheckt und hinterfragt werden, möchte ich an die Grundpfeiler unseres friedlichen Zusammenlebens erinnern und mahnen. 

„Es wird immer schwerer, aber das hat primär etwas mit den Budgets zu tun, die ich für meine Filme bekommen kann. Es bewegt sich immer in demselben, überschaubaren Rahmen.“

Das Kino durchlebt massiv turbulente Zeiten. Frankreich ist eine der letzten wahren Trutzburgen, feiert das Kino unverändert. Woran liegt das?

Éric Besnard: Das französische Kino hat es in der Nachkriegszeit verstanden, ganz klar zu erkennen, welche Gefahr vom Imperialismus des amerikanischen Kinos ausgeht. Schon 1942, 1943 war in der Résistance realisiert worden, während man noch die Deutschen bekämpft hat, dass dieser amerikanische Imperialismus kommen würde und man ihm etwas entgegensetzen, dass man misstrauisch bleiben müsse. Das CNC hatte dann die kluge Idee, dass amerikanische Filme, wenn sie viel Erfolg haben, mit einer Abgabe das französische Kino alimentieren müssen und es damit zu einer gerechten Umverteilung im Sinne unserer heimischen Filmindustrie kommt. Das ist die mechanische Antwort. Es kommt noch eine kulturelle Komponente hinzu, dass man sich in Frankreich an das Kino gewöhnt hat, eine starke Identifizierung existiert, nicht zuletzt, weil unsere Filme in französischer Sprache gezeigt werden. In Großbritannien war die sprachliche Nähe zu Amerika so stark, dass man ich mit seinem eigenen Kino nicht wehren konnte. In Italien ist man untergegangen, als das populäre Privatfernsehen kam. Es gibt in den verschiedenen Ländern unterschiedlichste Gründe, warum man sich nicht so exponieren konnte wie in Frankreich. Und ich will noch etwas dazu anmerken. Ich sehe eine eher soziologische Gefahr, die sogenannten Gatekeeper, die Entscheider, die oftmals beides machen, Fernsehen und Kino, nun aber die Regeln des Fernsehens auf das Kino übertragen wollen. Das merke ich deshalb, weil ich als Autor um die vier Drehbücher im Jahr schreibe und die immergleichen Kommentare und Anmerkungen erhalte – ob es sich um kleine Stoffe oder große Projekte handelt. Das sehe ich als große Gefahr für das Kino.

Können Sie denn in dieser schwierigen Zeit die Projekte umsetzen, die Sie gerne machen wollen?

Éric Besnard: Es wird immer schwerer, aber das hat primär etwas mit den Budgets zu tun, die ich für meine Filme bekommen kann. Es bewegt sich immer in demselben, überschaubaren Rahmen. Das muss ich in Kauf nahmen, weil ich nur in diesem Rahmen meine Filme wirklich so gestalten kann, wie ich es für richtig empfinde. Wenn die Budgets höher wären, müsste ich Freiheiten aufgeben, und das wiederum würde sich auf die Drehbücher auswirken. Das will ich vermeiden. Ich will weiterhin mit den Schauspieler:innen arbeiten können, die ich für die richtigen halte, und nicht mit Darsteller:innen, die über die nötige Zugkraft verfügen, um die höheren Budgets zu rechtfertigen. Mittlerweile bin ich in der beneidenswerten Situation, dass viele mit mir arbeiten wollen. Zu Beginn hatte ich mehr Erfolg in Deutschland als in Frankreich. Mittlerweile bekomme ich wahnsinnig viele Angebote, die mich alle nicht interessieren, während ich mir an Herzensstoffen – eben über die Pariser Kommune oder die Résistance – die Zähne ausbeiße. Das ist eine echte Zwickmühle. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Éric Besnard: Ich habe sogar ein sehr gutes Beispiel! In den letzten fünf Jahren hat man mir zweimal angeboten, „Die Elenden“ von Victor Hugo zu verfilmen. Zweimal habe ich abgelehnt. Ich hätte sehr viel Geld dafür bekommen, eine ähnliche Größenordnung wie „Der Graf von Monte Christo“, ein Riesenbudget also. Ich habe dann gesagt, ich bräuchte aber 80 Millionen Euro und müsste außerdem einen acht Stunden langen Film machen, wenn ich dem Stoff wirklich gerecht werden wollte. Ich war aber schlau und machte ein Gegenangebot: Ich mag das Buch sehr – wie wäre es denn, wenn wir nur die ersten 50 Seiten des Romans verfilmen würden, und ich erzähle die Geschichte eines Opfers eines Justizirrtums, der 20 Jahre im Zuchthaus verbringt, dort zum Mörder wird und mit einer unermesslichen Wut im Bauch wieder in die Freiheit tritt. Dieser Mann trifft auf einen anderen Mann, der in einer einzigen Nacht sein ganzes Leben verändert, und aus ihm wird Jean Valjean – für mich er größte Held der Literaturgeschichte. Und wissen Sie was? Diesen Film habe ich jetzt gemacht. Aber es war sehr, sehr schwer, diesen Film durchgesetzt zu bekommen. Er hat 15 mal weniger Geld gekostet als das Projekt, das man mir ursprünglich angeboten hatte. Die gute Nachricht ist: Ich musste nicht Jean Dujardin oder Vincent Cassel besetzen. Ich konnte ihn mit Grégory Gadebois drehen, meine Wunschbesetzung. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.