Die Schweizer Kabarettlegende Emil Steinberger, aber auch seine Frau Niccel sind ab 19. Juni in dem Dokumentarfilm „Typisch Emil“ in den Kinos zu sehen. Im Interview mit ihnen sprechen wir über den langen, arbeitsintensiven Weg der Entstehung des Films, das Zurückblicken aufs eigene Leben, den Stellenwert von Kultur und den Wunsch, Menschen mit seiner Kunst glücklich zu machen.

Warum wollten Sie den Film machen? Warum war es Ihnen ein Anliegen?
Emil Steinberger: Niccel und ich haben schon lange daran gearbeitet, beziehungsweise haben wir immer wieder Denkprozesse angestoßen, was interessant sein könnte, was ein Thema sein könnte. Ich hatte in meinem Leben um die 20 Berufe und wir haben überlegt, wie man zeigen und aufgreifen könnte, wie so eine Laufbahn überhaupt entstehen konnte.
Niccel Steinberger: Es ging nicht nur um die Berufe. Es ging auch darum, die vielen Erfolgserlebnisse festzuhalten, die Emil mit seinen Aktivitäten hatte. Das war schon speziell, so etwas kann nicht jeder in seinem Leben vorweisen.
Emil Steinberger: Dass ich nie einen leeren Theatersessel hatte, seit ich 20 Jahre alt war. Ich habe früh angefangen mit Kabarettspielen, in einem Ensemble. Es folgten kleine Soloprogramme. Und alles war erfolgreich, die Leute liebten meine Darstellungsart. Das trieb mich weiter. Da kommt man nach vielen Jahrzehnten schon mal auf die Idee, dass man den Menschen mit einem Dokumentarfilm einen tieferen Einblick in dieses ungewöhnliche Leben geben könnte. Ich war ja nicht nur Kabarettist, ich war Grafiker, Kinobetreiber, Theaterleiter, Regisseur … Viele Menschen kennen diese Aspekte von mir gar nicht. Sie haben in Emil immer nur den Kabarettisten gesehen.
„Bei der Frage, was weggelassen wird, hatte ich meine größten Probleme.“
Emil Steinberger
Wie haben Sie dafür Mitstreiter gefunden?
Emil Steinberger: Das war nicht einfach. Wir haben lange gesucht, bis wir Menschen fanden, die Emil gerne hatten und die interessiert daran waren zu zeigen, was alles dahintersteckt.
Niccel Steinberger: Die aber auch offen waren für eine unkonventionelle Herangehensweise. Es war für uns klar, dass wir an dem Film mitarbeiten möchten. Wir wollten nicht einfach nur abgefilmt werden. Dazu war das junge Team bereit, für das wir uns schlussendlich entschieden haben. Wir haben in den 15 Jahren zuvor ungefähr zehn Versuche gestartet, die wir immer wieder abgebrochen haben, die teilweise gar nicht richtig ins Laufen kamen. Es passte einfach nicht.
Emil Steinberger: Es musste stimmen. Sonst gehst du kaputt. Wir hätten uns sonst auch niemals so geöffnet.
Niccel Steinberger: Wir haben vorher noch nie jemanden in unsere Wohnung gelassen, weil das unsere Insel ist. Der einzige Ort, wo wir ganz privat sein können. Dass wir uns dazu bereiterklärt haben, setzte Vertrauen voraus und es musste auch klar sein, dass wir mitbestimmen, was am Schluss gezeigt wird.
Emil Steinberger: Das war sehr wichtig. Bei der Frage, was weggelassen wird, hatte ich meine größten Probleme. Da musste ich lernen, zu verzichten.
Sonst wäre der Film zehn Stunden geworden…
Emil Steinberger: Ich hatte schlaflose Nächte! Der Film war eine Geburt.
Niccel Steinberger: Eine Elefantengeburt mit zwei Jahren Tragzeit!
Wie haben Sie den Film dann gemeinsam entwickelt?
Emil Steinberger: Ich hatte sehr viel geschrieben, weil ich gleichzeitig an meiner Autobiografie saß und dafür schon sehr viel auf Papier gelandet war. Diese Niederschriften über die verschiedenen Stationen in meinem Leben gab ich zum Lesen, und gemeinsam hat das Autorenteam entschieden, was Eingang in den Film erhalten sollte, was nicht. Niccel hingegen war die Material-Lieferantin und war zuständig dafür, dass Filme, Videos, private Videos, Fotos, Zeitungen, Emil-Sketche etc. beim Filmteam landeten, damit sie sich da hinein vertiefen konnten
Niccel Steinberger: Wir bildeten ein Autorenteam von vier Personen, zusammen mit unserem Kameramann Elmar Bossard und Regisseur Phil Meyer. Den beiden haben wir auch Zugang zu den Fernseharchiven verschafft, die viele Interviews mit Emil besitzen. Außerdem haben wir 80 private Filme digitalisiert und zur Verfügung gestellt, Filme, die wir zum Teil selbst noch gar nicht angeschaut hatten. Aus diesem prallgefüllten Pott musste dann ausgewählt werden. Das waren sicher über 400 Stunden Filmmaterial. Vielleicht noch mehr.
„Du schaust normalerweise nicht rückwärts. Du sagst immer, du bist in der Gegenwart oder schaust nach vorne.“
Niccel Steinberger
Stichwort schlaflose Nächte: Was hat der Prozess der Erarbeitung dieses Dokumentarfilms mit Ihnen gemacht? Wenn man so intensiv eintaucht in die eigene Vergangenheit… Das ist sicher auch eine sehr aufwühlende Sache.
Niccel Steinberger: Wir hatten 2020 eine ausverkaufte Tournee mit „Alles Emil, oder?!“. Aufgrund der Coronapandemie mussten alle Termine gecancelt werden. Da sagte Emil: Gut, dann schreibe ich eben meine Autobiografie. Er hat also damals bereits angefangen, in seinem Leben zu recherchieren und sich damit zu befassen. Die Arbeit am Film schloss sich daran nahtlos an.
Emil Steinberger: Ich schrieb teilweise stichwortartig, teils schon sehr ausführlich. Ich erinnere mich, zwei Seiten nur über das Wort „heimlich“ geschrieben zu haben – was ich alles heimlich machen musste in meinem Leben, weil es nicht akzeptiert wurde in der Familie. Habe alles zusammengefasst und dem Filmteam vertraulich übergeben.
Niccel Steinberger: Aber wie hast du dich gefühlt beim Blick auf Dein Leben? Du schaust normalerweise nicht rückwärts. Du sagst immer, du bist in der Gegenwart oder schaust nach vorne.
Emil Steinberger: Es war einfach Arbeit, harte Arbeit. Enttäuschungen gab es natürlich auch, wenn etwas nicht in den Film aufgenommen wurde, obwohl es mir wichtig erschien. Es waren zwei bewegte Jahre, mit allen dazugehörenden Auseinandersetzungen. Wir konnten und wollten nicht einfach verlangen, dass zu allem „Ja“ gesagt wurde. Ab und zu aber versuchten wir für etwas zu kämpfen. Der filmische Aspekt musste auch immer berücksichtigt werden. Das war ein sehr langer Prozess.
Niccel Steinberger: Wir arbeiten viel kreativ, aber normalerweise sind wir ein Zweier- oder Einzel-Team. Beim Film sind sehr viele Menschen beteiligt. Es kommt ein Editor dazu, der Filmverleih, die Presse, die Kinos… Wir überlegten und beschlossen viel im Kernteam, aber am Ende hat man nicht mehr die alleinige Kontrolle darüber, wie etwas ausgeführt wird. Filmschaffen ist ein gemeinschaftlicher Prozess.
War Ihnen bewusst, dass es so lange dauern würde und hätten Sie den Film gemacht, wenn Sie gewusst hätten, dass es ein so intensiver Prozess werden würde?
Emil Steinberger: Das ist eine heiße Frage.
Niccel Steinberger: Du hättest das schon gemacht!
Emil Steinberger: Ich hatte den Wunsch, einen unterhaltsamen Film zu machen. Drei Punkte waren wichtig. Der Film sollte für alle Emil-Fans funktionieren, er sollte für Väter und Mütter sein, die ihren Kindern zeigen wollen, worüber sie damals gelacht haben, und dann noch für alle anderen Kinogänger, die Emil vielleicht erst noch entdecken wollen. Man muss lachen können. Wir haben einmal eine Doku über Dick & Doof gesehen. Die war nur problembeladen. Da war ich sehr enttäuscht. Ich wollte aber nicht, dass die Leute enttäuscht aus unserem Kinofilm gehen.
Niccel Steinberger: Hätte ich gewusst, wie viel Arbeit in dem Film steckt, ich hätte nicht den Mut gehabt, „Ja“ zu sagen. Ich bin durch Emil gewöhnt, seit 30 Jahren immer nur zu arbeiten. Aber ich habe in meinem Leben noch nie so viel gearbeitet wie für diesen Film. Zwischendurch fragte ich mich, werde ich noch leben, wenn der Film fertig ist? Es war schon grenzwertig. Aber es war ein tolles Abenteuer. Ist es immer noch. Ich möchte es jetzt auch nicht mehr missen. Aber ich werde sicherlich nicht in die Filmbranche wechseln.
„Mein Weg zeigt, wie man sein Leben umpolen kann.“
Emil Steinberger
War die Intention von Anfang an Kino?
Emil Steinberger: Ja! Das Fernsehen hat ab und zu angefragt. Aber die haben immer Gefäße von zwischen 50 und 60 Minuten. Das wäre dann fast eine Kunst, fahrlässige Kunst gewesen, 90 Jahre in 52 Minuten zu pressen. Das wollte ich nie. Da habe ich immer abgesagt.
Niccel Steinberger: Die Schweizer sind dem Kinodokumentarfilm gegenüber sehr aufgeschlossen. Er genießt in der Schweiz einen hohen Stellenwert. Das war mit ein Grund, Kino zu machen. Kino war von Anfang an Bedingung. Ebenso, dass der Film auch in Deutschland und der französischen und italienischen Schweiz laufen muss. Die Untertitelung in die verschiedenen Sprachen, auch englisch, gab noch mal extrem viel Arbeit.
Sind Sie stolz?
Emil Steinberger: Stolz nicht. Für mich ist es das Größte, wenn ich sehen darf, welche Emotionen der Film bei den Menschen hervorruft. Manche haben feuchte Augen, andere halten einem die Hand und wollen sie nicht mehr loslassen, oder sie beichten, dass ich sie durch die ganze Jugend hindurch mit meinen Sketchen begleitet habe. Aber auch ernsthaftere Gedanken begegnen uns, verrückterweise oft von jungen Leuten.
Niccel Steinberger: Wir haben mehrmals erlebt, wie um die 20-Jährige nach der Vorstellung zu uns gekommen sind und sagten, sie müssten jetzt ihr Leben noch mal überdenken. Das ist ähnlich zu dem, was du, Emil, als junger Mann bei der Post gedacht hast.
Emil Steinberger: Mein Weg zeigt, wie man sein Leben umpolen kann. Als ich bei der Post war und den Kollegen von meiner Kündigung erzählte, sagten viele: „Ich würde auch gerne kündigen!“ Aber eine gescheite Alternative hatten sie nicht. Wenn sie dann sagten, sie könnten ja vielleicht zu einer Versicherung gehen, riet ich ihnen vom Wechsel ab.
Niccel Steinberger: Es ist auch schön zu sehen, dass der Film sogar bei Kindern funktioniert, was man nicht denken würde. Wir hatten begeisterte Vier-, Fünf- oder Siebenjährige in den Vorführungen. Eines dieser Kinder, das Emils Sketche vor dem Film nicht kannte, kam nach der Vorstellung zu uns und hat ihm die Polizeihauptwache vorgespielt. Das sind beglückende Momente. Wir haben den Film in der Schweiz schon oft begleitet. Wir sitzen, wenn es geht, immer mit im Publikum und haben ihn sicher schon 80 Mal öffentlich gesehen. Ich muss sagen: Der Film nützt sich nicht ab wenn man ihn öfters anschaut!
Emil Steinberger: Es war auch schon eine Familie mit fünf Generationen im Kino. Unglaublich!
Der Gedanke, dass man jemand ist, der Menschen mit seiner Kunst und Kulturarbeit über fünf Generationen hinweg glücklich gemacht hat, ist das größte Gut überhaupt. Dass man so etwas geringschätzen kann, sagen kann, dass Kultur nicht gefördert werden muss, ist falsch. Gäbe es mehr Kunst, gäbe es mehr Menschen, die Leute auch zum Lachen bringen, wäre die Demokratie nicht in Gefahr…
Emil Steinberger: Genau!
Niccel Steinberger: Kultur ist völkerverbindend. Es ist schade, dass sie so wenig genutzt und viel zu geringgeschätzt wird. Die Welt wäre eine bessere. Nicht nur in Bezug auf Emil und das Lachen, sondern in Bezug auf Kultur allgemein.
Emil Steinberger: Es war nie mein Ziel, so viele Menschen glücklich zu machen. Ich habe das nie als Ziel für mich formuliert. Ich habe meine Talente einfach fließen lassen. Habe nichts erkämpft. Nichts stur anvisiert. Das ist für alle ein wichtiger Ratschlag am Anfang einer Karriere. Ich staune über mich selbst. Das Publikum gab mir die Richtung vor. Etwas hart erkämpfen zu müssen, kann kein gutes Zeichen sein.
Niccel Steinberger: Du warst auch nie missionarisch.
„Für uns ist die Kinotour die Belohnung für unsere Arbeit.“
Niccel Steinberger
Mit „Typisch Emil“ sind Sie beide schon ausgiebig durch die Schweiz gereist, jetzt folgt Deutschland. Bereitet Ihnen das Freude? Lernen Sie im Kontakt mit anderen Menschen noch dazu?
Emil Steinberger: Sehr! Ich war auch interessiert an den unterschiedlichen Reaktionen in der Deutschschweiz und in der französischen Schweiz. Da gibt es kulturelle Unterschiede. Nicht unbedingt festgemacht an den Menschen im Einzelnen, sondern im Gesamten betrachtet. Die Presse in der französischsprachigen Schweiz ist viel interessierter, schreibt ganz anders…
Niccel Steinberger: Fantasievoller. Ich will nicht sagen, die Deutschschweizer sind das nicht. Aber wenn wir den Pressespiegel angucken, sehen wir, dass sich bei den Veröffentlichungen in der Westschweiz jeder etwas Eigenes ausgedacht hat. In der Deutschschweiz liest man überall die gleichen Titel. Auch das Publikum, die Menschen sind kulturaffiner in der Westschweiz, viel mehr verbunden mit ihrer Kultur.
Emil Steinberger: Ist das der Einfluss aus Frankreich?
Niccel Steinberger: Für uns ist die Kinotour die Belohnung für unsere Arbeit. Wir haben uns wirklich auf die Tour gefreut. Viele bedauern uns, weil wir jetzt viel für den Film auf Tour sind. Ich bin aber nur zu bedauern, wenn ich am Computer sitzen muss, um Hunderte dringender Mails zu beantworten. Ich möchte auf der Tour den Menschen begegnen, die den Film anschauen, ich möchte hören, ob sie lachen, ob sie nicht lachen, ob sie weinen, still sind, welche Fragen sie an uns haben. Wenn man sich dafür nicht interessieren würde: Warum sollte man Filme machen? Ich habe viele Jahre in Deutschland gelebt und freue mich nun kreuz und quer durch mein ehemaliges Heimatland zu reisen.
Emil Steinberger: Ein kleines Merci für die Riesenarbeit.
Wenn Sie zurückblicken auf die vielen Dinge, die Sie gemacht haben, sind Sie auf etwas besonders stolz?
Emil Steinberger: Ganz klar meine Zeit beim Circus Knie. Dass meine Shows dort solche Rekordergebnisse eingefahren haben, hätte ich nie im Leben erwartet. Es hat mich überrascht und sehr berührt, dass etwas, was ich mir in einem Urlaub nur so auf ein Papier gekritzelt hatte, ohne vorher richtig proben zu können, so erfolgreich wurde. Da war ich schon etwas fahrlässig, aber es hat zum Glück alles funktioniert. 1,4 Mio. Zuschauer waren das in einem Land, das damals sechs Mio. Einwohner hatte.
Das Gespräch führten Barbara Schuster und Thomas Schultze