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Elene Naveriani: „Ich habe mich in der Geschichte verloren“

Am Donnerstag (18.4.) bringt Eksystent den Gewinner des Schweizer Filmpreises, „Amsel im Brombeerstrauch“, in die deutschen Kinos. Wir sprachen mit Elene Naveriani über diese beeindruckende Filmarbeit und warum ihr die Sprache des Kinos seit ihrem Umzug in die Schweiz näher ans Herz gewachsen ist.

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Elene Naveriani hat mit „Amsel im Brombeerstrauch“ den Schweizer Filmpreis 2024 gewonnen (Credit: Schweizer Filmpreis, Eduard Meltzer)

Waren Sie überrascht, dass Sie den Schweizer Filmpreis für den besten Film gewonnen haben?

Elene Naveriani: Ehrlich gesagt, erwarte ich keine Auszeichnungen und Preise. Daran denke ich nicht mit, wenn ich Filme mache. Aber natürlich ist es schön, wenn man größere Anerkennung erfährt. Und für mich war es sehr bewegend, den Schweizer Filmpreis für einen Film zu bekommen, der in Georgien spielt, in dem ausschließlich georgisch gesprochen wird. Es ist natürlich eine Schweizer Produktion. Aber offenbar hat der Film auch inhaltlich überzeugt, hat meine Geschichte, wie ich sie dem Kinopublikum nahebringen wollte, gefruchtet. Ich habe mich für den Film gefreut, nicht für mich, für die Arbeit, für die Geschichte, die mich so berührt hat und die durchaus universell ist und zu den Menschen spricht, auch in der Schweiz.

Wie waren Sie auf den Roman aufmerksam geworden, worin sahen Sie seine filmischen Möglichkeiten?

Elene Naveriani: Ich lese eigentlich alle ihre Bücher. Sie ist eine sehr bedeutende Stimme der zeitgenössischen georgischen Literatur, eine sehr starke feministische Stimme. Alles, was sie schreibt, kann ich nachvollziehen. Als „Blackbird Blackbird Blackberry“ erschien, habe ich es mir natürlich sofort gekauft und es gelesen. Es hat sofort zu mir gesprochen, ich habe mich in der Geschichte verloren, bin versunken, hineingezogen worden. Das passiert nicht oft, wenn ich Bücher lese. Die Figur von Etero hat mich gepackt, das Buch ist in Ich-Form erzählt, das Buch ist sie. Man folgt ihren Gedanken. In vielen Aspekten entdeckte ich mich selbst, ich entdeckte aber auch meine Tante, meine Nachbarinnen, so viele Menschen in diesen Ängsten, Kämpfen und Konfrontationen, die ihr in ihrem Alltag widerfahren. In ihrer Rolle, die man ihr als Frau zugewiesen hat. Das hat mich sehr berührt, konnte ich so gut nachvollziehen. Ich hatte sofort den Wunsch, daraus einen Film zu machen.

Zu welchem Zeitpunkt wurde der Stoff einer Anderen zu dem Ihren, wann wurde aus dem Roman Ihr Film?

Elene Naveriani: Ich habe den Roman tatsächlich nur ein einziges Mal gelesen. Nachdem die Rechtefrage mit Tamta geklärt war, rief ich meinen Koautor Nikoloz Mdivani an und wir begannen, das Drehbuch zu schreiben. Ohne jemals wieder in den Roman geschaut zu haben. Mir war wichtig, diesen ersten Eindruck, dieses Gefühl, das die Geschichte bei mir hinterlassen hat, auf Papier zu bringen. Diese Farben, Atmosphäre, Gefühle. Es war keine leichte Aufgabe, diese Nuanciertheiten, diese Details filmisch zu übersetzen. Für Tamta war es ok, dass ich meinen Film daraus mache, sie hat sich nicht eingemischt. Das war mir auch wichtig. Denn es ist doch immer so, dass jeder Leser, jede Leserin etwas anderes in einem Buch entdeckt. Auch „Blackbird“ wird von anderen Menschen sicher anders gelesen als von mir. Bei der Umsetzung in einen Kinostoff ist es für mich ganz klar so, dass man die Fantasien anderer Menschen außen vorlässt und den Stoff zu seinem macht. Ich bin achtsam mit der Geschichte umgegangen, Tamta hat mir vertraut. Dieses Vertrauen wollte ich nicht missbrauchen.

„Amsel im Brombeerstrauch“

Elene Naveriani: Mir war wichtig, schnell loszulegen. Ich habe meinem Schweizer Produzenten einen sportlichen Fahrplan vorgelegt, und er hat gesagt: OK, versuchen wir’s! Ich rechne es Thomas Reichlin und Britta Rindelaub hoch an, da mitgezogen zu sein. Auch meiner georgischen Koproduzentin Ketie Danelia danke ich und Bettina Brokemper von Heimatfilm, die schließlich auch noch dazukam. Weil ich so gedrängelt habe, klappte die deutsche Förderung nicht, die Mühlen malen langsam. Auch in Georgien sah es schlecht für uns aus mit Förderung, weil es eine Änderung im Georgian Film Center gab und Projekte ziemlich zensiert werden, wenn sie finanzielle Unterstützung wollen. Also machte es für uns keinen Sinn, sich darum zu bemühen. Somit hatten wir nur die Schweizer Finanzierung und die Förderung des Schweizer Bundesamt für Kultur. Und ein mega tolles Team, das einfach alles gegeben hat.

Konnten Sie den Film bereits zeigen in Georgien, wie sind die Reaktionen?

Elene Naveriani: Ja, „Amsel im Brombeerstrauch“ hatte im September 2023 seinen Kinostart in Georgien. Ich konnte leider nicht bei der Premiere dabeisein. Ich weiß, dass der Film drei Monate lang im Kino zu sehen war. Das ist verrückt lang, nicht nur in Georgien, für alle Kinomärkte. Welcher Film läuft denn noch drei Monate im Kino? Er hat ganz unterschiedliche Reaktionen ausgelöst, manche Zuschauer:innen waren eher irritiert, manche fühlten sich empowert. 

(Credit: Schweizer Filmpreis, Eduard Meltzer)

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Sie haben Georgien im Alter von 23 Jahren verlassen, leben mittlerweile in der Schweiz. Ihre bisherigen Spielfilme spielen allesamt in Georgien. Warum ist es Ihnen immer noch so wichtig, Geschichten über Menschen in Ihrer alten Heimat zu erzählen?

Elene Naveriani: Als ich in die Schweiz zog, sah ich mich großen Herausforderungen gegenüber. Es ging um Integration, um Sprache, um Diversität. Alles war so anders. Und ist es immer noch. Das ist ein Prozess, ich taste mich immer noch vor auf einem Terrain, das mir nicht vertraut ist. Die Schweiz ist nicht mein Heimatland, obwohl sie meine Heimat ist. Durch den Umzug in die Schweiz ist mir die Sprache des Kinos näher ans Herz gewachsen, ich konnte mich im Kino besser ausdrücken, meine Gedanken über die Gesellschaft, in der ich jetzt lebe und in der ich einst lebte. Irgendetwas zieht mich immer wieder nach Georgien zurück. Das gehört wohl zu diesem Prozess. Georgisch ist meine Sprache, darin kann ich mich einfach besser ausdrücken. Es geht auch um das wie einer Geschichte. Meine Geschichten sind lokal verankert, nicht nur lokal durch das Land, sondern auch durch die Sprache, die Farben, das Licht. Es sind trotzdem universelle Geschichten. Aber ich kann universell gültige Geschichten nur erzählen, wenn mir etwas ganz nahesteht. Und das tut Georgien. 

Wie schätzen Sie die Situation des georgischen Kinos ein? Mit Dea Kulumbegashvili, Aleksandre Koberidze oder Ihnen gibt es spannende neue Stimmen? Gibt es eine Solidarität, tauschen Sie sich aus? Was muss sich noch verbessern?

Elene Naveriani: Es ist nicht einfach, dort zu arbeiten, vor allem, wenn man eine individuelle Handschrift, eine eigene Stimme hat. Sondern weil die Regierung den Kinobereich ziemlich kontrolliert und industrialisiert. Sie fördern nur Projekte, die in ihrem Sinn sind. Es gibt viele Gruppen an Filmschaffenden, die dagegen kämpfen. Mir ist es wichtig, dass Filme wie „Amsel im Brombeerstrauch“ auch in Georgien zu sehen sind. Mir ist wichtig, dass das georgische Kino nicht in Vergessenheit gerät. Denn das scheint mit den politischen Bestrebungen aktuell zu passieren. Das geht natürlich besser im Verbund mit gleichgesinnten Filmschaffenden. Es geht darum, dass wir zusammenhalten, wenn wir überleben wollen. Georgien hat viel zu bieten, vor allem das Dokumentarfilmschaffen dort ist absolut bahnbrechend!

Das Gespräch führte Barbara Schuster