Nach dem tragischen Tod von Gerd Bender im November vergangenen Jahres übernahm Florian Frerichs die Geschäftsführung der Apollo-Film. Wir sprachen mit ihm über die besondere Beziehung zu Bender, das Phänomen „Dirty Dancing“ und über Pläne für den Berliner Traditionsverleih.

Wenige Tage vor unserem Gespräch sprang mir aus einer großen Boulevardzeitung die Headline „Ein ganzes Kino strickt zu ‚Dirty Dancing‘“ entgegen. Kult trifft auf Trend?
Florian Frerichs: Ich finde das super. Zu „Dirty Dancing“ kann man wahrscheinlich alles machen. Tanzen, knutschen oder auch stricken. Alles ist möglich – und es ist großartig, dass es im Kino möglich ist. Man hört immer wieder Abgesänge auf diesen Ort, aber ich halte sie für völlig falsch. Das Gemeinschaftsgefühl ist ein einzigartiges Gefühl. Etwas zuhause auf dem Sofa mit der Familie zu sehen, macht sicherlich auch Spaß. Aber wenn man mit 100, 500 oder gar Tausenden Gleichgesinnten, wie zum Beispiel bei den Filmnächten am Elbufer, gemeinsam zu den Beats rockt, dann ist das ein Phänomen, dann ist das unvergleichlich. Die Menschen werden immer nach Gemeinschaftserlebnissen streben, deswegen ist auch das Kino noch lange nicht tot, Streaming-Konkurrenz hin oder her.
„Phänomen“ ist das richtige Stichwort. So viele Filme gibt es ja nun nicht, die auch nach Jahrzehnten noch verlässlich die Kinosäle füllen. Was macht den besonderen Reiz von „Dirty Dancing“ aus?
Florian Frerichs: Das stimmt, es gibt wirklich nur wenige Filme, die eine derartige Anziehungskraft haben. Aber woran es liegt? Das empirisch zu belegen, ist schwierig, denn es ist vermutlich in allererster Linie Gefühlssache. Sehr viele Menschen verbinden mit dem Film ein positives Gefühl, positive Erinnerungen an die Zeit. Die Musik ist eingängig, mitreißend und zeitlos. Ich halte es da mit dem berühmten Nietzsche-Zitat, wonach das Leben ohne Musik ein Irrtum wäre. Und das kommt im Kino besonders gut zur Geltung.
Auch in diesem Jahr geht „Dirty Dancing“ erneut auf große Sommerkinotour. Wie lässt sich diese an?
Florian Frerichs: Stand Ende Mai haben wir schon über 140 Buchungen, darunter bei Ketten wie Cineplex oder K-Motion. Das ist wirklich beeindruckend – und nach wie vor ist natürlich jedes Kino, das mitmachen möchte, herzlich eingeladen, wir machen die Tour so groß, wie es geht. Also das läuft schon wie geschnitten Brot – da hat man es mit neuen Produktionen, wenn es nicht gerade Blockbuster sind, erheblich schwieriger, wie ich als Produzent und Regisseur ja schon selbst feststellen musste. Was ich mir für die Tour erhoffe? Vor allem das, was ich kürzlich erst wieder bei einer Premierenfeier im Zoo Palast erfahren durfte. Dass das Publikum mitgeht, dass es ansteckende Begeisterung gibt, dass alle ganz viel Spaß haben. Kurz gesagt: Die Menschen sollen eine rundum gute Zeit haben. Das ist doch das, was wir alle anstreben.
Wir folgt man der ausgesprochenen Einladung an die Kinos am besten? Im Netz ist die Apollo-Film ja nicht gerade übermäßig präsent.
Florian Frerichs: Buchen kann man den Film über unsere wunderbaren Partner von Barnsteiner-Film. Aber es stimmt schon, der Apollo-Verleih als solcher ist nicht übermäßig präsent. Ich bin im Grunde wie die Jungfrau zum Kind dazu gekommen, nachdem mein guter Freund und langjähriger Geschäftspartner Gerd Bender Anfang November vergangenen Jahres so plötzlich verstorben ist. Tatsächlich hatte er mich kurz zuvor noch angerufen und gefragt, ob ich die Apollo nicht fortführen wolle, er werde dann alles in die Wege leiten. Natürlich habe ich spontan zugesagt, aber ich hatte nicht im Entferntesten damit gerechnet, dass das tatsächlich unser letztes Gespräch sein könnte. Das war wirklich ein Schock. Umso mehr ist es für mich auch emotionale Verpflichtung, dieses Herzensprojekt von Gerd und seiner Frau fortzuführen, auch wenn ich mich zuvor mit dem Verleih gar nicht wirklich auseinandergesetzt hatte.
Es soll ja Gerd Benders Frau zu verdanken sein, dass die Rechte an „Dirty Dancing“ bei der Apollo landeten.
Florian Frerichs: Das ist tatsächlich so. Die Wurzeln der Apollo reichen ja bis in die 1960er-Jahre, das Unternehmen wurde einst von Hans Madsack gegründet, dem Schwiegervater von Gerd. Und Gerds Frau Beate kam eines Tages vom American Film Market, völlig begeistert von einem Werk, das sie dort gesehen hatte und das sie den beiden unbedingt ans Herz legen wollte. Das war ein Film, an den vorher eigentlich niemand so richtig geglaubt hatte, der aber dann allein in der BRD über acht Millionen Menschen ins Kino zog – und nochmal fast fünf in der damaligen DDR. Das erklärt übrigens dann doch ein gutes Stück weit, wieso der Film gerade im Osten so ein Phänomen ist. Es war eine der wenigen Hollywood-Produktionen, die dort damals zur Aufführung kamen. Tatsächlich bekommt der Film die größte Bühne in Sachsen: Bei den Filmnächten am Elbufer am 2. August – da fahre ich dann auch mit meiner Familie hin. Das wird eine riesige Veranstaltung, da freue ich mich schon wahnsinnig drauf.
Ihre enge Verbindung zu Gerd Bender rührt nicht zuletzt daher, dass er Ihren ersten Film ins Kino gebracht hat?
Florian Frerichs: Ja, das war „Das letzte Mahl“, der seine Weltpremiere beim Los Angeles Jewish Film Festival gefeiert hatte. Das war eine Riesensache für uns damals, zumal wir das komplett in Eigenregie gestemmt haben, ohne einen Verleih im Rücken. Mein Partner hatte damals seine Kontakte zu Springer spielen lassen und wir haben eine tolle Schlagzeile bekommen: „Diesen Film braucht Deutschland jetzt!“. Im Artikel war auch zu lesen, dass wir einen Verleih suchen – und noch am selben Tag rief mich Gerd Bender an und erklärte, dass er den Film gerne herausbringen würden. So wurden wir zu Freunden – die übrigens auch eine Leidenschaft für Autos aus den 1970er Jahren teilten. Gerd hat mir und dem Film damals eine Riesenchance gegeben. Er war einfach ein Macher. Das ist unglaublich selten und kostbar.
Sie haben den Eindruck, dass es in der Branche nicht genug Menschen gibt, die solche Chancen zu geben bereit sind?
Florian Frerichs: Das hat gar nicht so viel mit der Branche zu tun, ich sehe das vielmehr überall in unserer Gesellschaft. Diese riesige Angst, Fehler zu machen, wenn man etwas wagt. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen – und gerade auch junge Menschen – viel risikoaverser geworden sind. Das ist schade, denn das beraubt uns tatsächlich vieler Chancen.
Wird „Dirty Dancing“ auf Sicht der pimäre Fokus ihrer Verleihtätigkeit bleiben? Oder denken Sie auch über eine Ausweitung des Angebots nach?
Florian Frerichs: Als Filmschaffender werde ich die Apollo-Film – wie schon zuletzt bei „Traumnovelle“ – natürlich nutzen, um meine eigenen Filme herauszubringen. Darüber hinaus planen wir tatsächlich eine Erweiterung des Angebots. Aber dazu kann ich im Moment noch nicht mehr sagen, außer dass wir auch mit US-Partnern zusammenarbeiten wollen. Wir werden uns dem Medium Kino jedenfalls weiterhin mit guten Filmen widmen, so viel sei verraten.
Wie zufrieden waren Sie denn mit dem Zuspruch für „Traumnovelle“?
Florian Frerichs: Eigentlich wollte Gerd den noch herausbringen, aber dann ist er leider wenige Monate vor dem geplanten Start verstorben. Ich bin dann notgedrungen selbst ins kalte Wasser gesprungen. Das war sehr anstrengend, hat aber auch viel Spaß gemacht – und ich denke, ich habe eine Menge gelernt. Wir sind ja nur in gut 50 Kinos gestartet und zählen mittlerweile gut 12.000 Besuche. Das ist schon OK, mit so einem kleinen Release hätte es auch deutlich schlechter laufen können. Natürlich hätte ich mir gewünscht, mit 200 Kopien an den Start zu gehen und eine Riesenwelle zu machen, aber so einfach ist das nun einmal nicht… Ein absoluter Erfolg war unsere Kinotour mit dem Cast, da haben wir eigentlich immer vor vollen Sälen gespielt. Aber das ist dann eben auch ein Event, das macht nun einmal einen Riesenunterschied. Ein Event zu haben, ist der entscheidende Hebel, um aus der Masse an Filmen herauszustechen. Da haben die Kinos auch selbst viel in der Hand. Eines meiner spannendsten Erlebnisse mit dem Film war in einem Haus von Cinemotion, wo er im Rahmen einer Seniorenveranstaltung mit Kaffee und Kuchen lief. Klingt jetzt nicht außergewöhnlich, aber der Film hat ja doch starke Elemente eines Erotik-Thrillers. Aber da saßen diese Senioren und haben den Film genossen, sich anschließend angeregt darüber unterhalten. Das war wirklich ein besonderes Erlebnis für mich. Das zeigt auch, was möglich ist, wenn man mit seinem Publikum arbeitet.
Bis 2027 ist es nicht mehr allzu lange hin. Planen Sie schon für das 40jährige Jubiläum von „Dirty Dancing“?
Florian Frerichs: Ich bin ja noch relativ frisch im Sattel, insofern kann ich noch nichts Konkretes sagen. Aber selbstverständlich überlegen wir uns etwas Besonderes. Das machen viele Kinobetreiber ohnehin jetzt schon, da gibt es zahlreiche Ideen – bis hin zum Tanzlehrer, der die Schritte mit dem Publikum übt. Mein Traum wäre natürlich, Jennifer Grey einfliegen zu können. Schaun wir mal.