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Christian Petzold zu seinem Preis in Bozen: „Eine Stadt ohne Kino ist keine Stadt“


Am 8. April hat das Bolzano Film Festival Bozen Regie-Koryphäe Christian Petzold mit dem Ehrenpreis für eine herausragende Filmkarriere gewürdigt. Wir haben uns mit dem Filmemacher in Bozen getroffen, um über Preise, das Kino und sein fruchtbares Schaffen im Allgemeinen zu sprechen.

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Christian Petzold mit den Auszeichnungen beim 38. BFFB (Credit: Daniele Fiorentino)

Sie wurden hier in Bozen mit dem Ehrenpreis für eine herausragende Filmkarriere gewürdigt. Was macht das mit Ihnen, wenn Sie hören, Sie haben eine „herausragende Filmkarriere“?

Christian Petzold: Als ich vor dem Publikum in Bozen stand anlässlich des ersten Screenings eines meiner Filme, die das Festival in der kleinen Retrospektive kuratiert hat, habe ich zum ersten Mal gehört, wofür dieser Preis ist. Ich dachte, es wäre ein Kulturpreis der Stadt Bozen. Das sind Formulierungen, da kann ich ja nichts für. Ich weiß nicht, „herausragende Filmkarriere“, kann man zu jedem Preisträger sagen. Sonst hätte er es ja nicht verdient. 

Aber „herausragende Filmkarriere“ impliziert zumindest, dass man auf etwas zurückblicken kann…

Christian Petzold: Es sollte mal einen Preis geben für eine nicht-herausragende Filmkarriere. Für Leute, die unterm Radar geblieben sind. Leute wie etwa der Schweizer Filmemacher Christian Schocher. Der hat so tolle Filme gemacht, die viele Menschen zwar kennen, dessen Filmkarriere nicht herausragend, aber trotzdem absolut bewundernswert ist. Der hat mal einen Film gemacht, „Reisender Krieger“, mit Clemens Klopfenstein an der Kamera, über einen von seiner Frau betrogenen Handelsreisenden von Kosmetikprodukten, mit Namen Krieger, deswegen „Reisender Krieger“. Die Stationen auf dieser Reise ähneln der Odyssee. Wie der da in seinen Hotelzimmern liegt mit seinen Tennissocken aufm Bett, abends… das ist ein unfassbar toller Film über die Schweiz und auch über Einsamkeit. Ganz toll. 

„Ich habe eine herausragende Karriere, weil das das Festival sagt. Ich glaube das jetzt auch.“

Jetzt haben Sie mein Interesse geweckt. Ich kenne Christian Schocher nicht. Werde ich mir merken.

Christian Petzold: Fällt mir nur gerade ein. Aber ich habe eine herausragende Karriere, weil das das Festival sagt. Ich glaube das jetzt auch.

Naja, das Herausragende lässt sich sogar an einfachen Zahlen festmachen: Denn Ihre Karriere wurde bereits mit zahlreichen Preisen gewürdigt. Bei IMDb stößt man auf 47 Gewinne und 69 Nominierungen….

Christian Petzold: Als ich in Venedig in der Jury saß, war da auch Matt Dillon. Der hatte mich gegoogelt und kam mit schreckgeweiteten Augen auf mich zu, weil er nicht fassen konnte, wie viele Preise ich schon gewonnen habe. Er wusste gar nicht, dass es so viel Preise weltweit gibt. Da habe ich ihm erklärt, dass das auch ein wenig mit der sogenannten Krise des Kinos zu tun hat. Wir haben heutzutage mehr Festivals als Kinos. Das ist ein Problem, dass wir auch richtige Festivalfilme haben, dass die Festivals eigentlich eine Öffentlichkeit ersetzen, die früher anonymer war, wo man nicht so viel Preise bekam, sondern wo die Leute eben ins Kino gegangen sind, auch wenn sie sich den Namen vom Regisseur oder der Regisseurin gar nicht merken konnten, aber gesagt haben: geiler Film! Dadurch dass wir jetzt so viele Festivals haben, muss irgendjemand einstehen für die Filme, es ist ja nicht mehr der Kartenverkauf. Jede Stadt hat heute gefühlt sein Festival. Deswegen kriegt der Regisseur heutzutage so viele Preise. So habe ich das Matt Dillon erklärt. Das hat ihn ein wenig beruhigt. 

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Luigi Loddi, Präsident des Filmclub Bozen, und Preisträger Christian Petzold bei der Verleihung am 8. April (Credit: Daniele Fiorentino)

Aber finden Sie denn, dass Ihre Filme zu wenig Kinokarten verkaufen?

Christian Petzold: Nein, das finde ich nicht. Das ist etwas, was mich stolz macht, wenn meine Produktionsfirma schon oft Fördersummen zurückzahlen konnte. Es ist durchaus ein Balanceakt, Filme zu machen, die ausgezeichnet werden und trotzdem Geld einspielen. Das ist das Fantastische am Kino: Es ist reiner Kapitalismus und trotzdem Kunst. Diese Balance muss gehalten werden. Das gehört zusammen. Die Tendenz der letzten 40 Jahre ist, dass die Kinos – die Multiplexe, die nur bestimmte Hollywoodfilme zeigen, auf der einen und die Arthouse- und Off-Kinos, die eine andere Art von Film zeigen, auf der anderen Seite – immer weiter auseinanderdriften… Meine Mutter erzählte mir immer, als sie sehr jung war, ging sie ins Kino. Und zwar einfach ins Kino. Der Film, der da lief, wurde eben geguckt. Das war dann zum Beispiel Bergmanns „Das Schweigen“ und danach der erste mit Clint Eastwood. Das war für sie beides Kino. Wenn ich höre, dass meine Filme Auszeichnungen bekommen und viele Zuschauer haben, bin ich froh, ein wenig in dieser Tradition zu stecken.

„Kino ist reiner Kapitalismus und trotzdem Kunst.“

Diese Spontaneität, dass man sich von einem Film überraschen lassen will, gibt es vielleicht tatsächlich nicht mehr…

Christian Petzold: Als ich Filmstudent war an der dffb, in den Jahren 89/90/91, lief „Pretty Woman“ an. Wir Filmstudenten hatten damals freien Eintritt in alle Kinos in Berlin, weil wir lernen sollten. Ich bin am Nachmittag, 15 Uhr 30, donnerstags in die allererste Vorführung von „Pretty Woman“ gegangen, im Gloria Palast, den es leider nicht mehr gibt. Der Saal war brechend voll. 99 Prozent Frauen. Richard Gere liegt als liberaler Finanzmogul in der Badewanne, entspannt vollständig, dann kommt sein Fuß aus dem Schaum und er lässt mit dem Zeh ein bisschen mehr warmes Wasser rein. Als dieser vom Wasser verschrumpelte Zeh von Richard Gere im Bild war, schrien mehrere Frauen im Kino auf: „Mein Gott, ist dieser Mann schön!“. Diese Frauen, die dort waren, kamen von der Arbeit, gingen ins Kino, und guckten sich den Film an. Das ist Kino. Jetzt, mit Fernsehen und Streaming, müssen wir davon ausgehen, dass es nie wieder so sein wird, dass man einfach jeden Abend ins Kino geht. Da müssen wir uns auch nicht drüber beklagen. Aber trotzdem sollte es immer noch so sein, dass eine Stadt ohne Kinos keine Stadt ist. Eine Stadt ohne Kirchen, ohne Marktplatz, ohne Friedhof und ohne Kinos kann man wegschmeißen. Das ist Teil des Gemeinwesens. Filmeschauen ist ein kollektives Erlebnis. Als mein Vater im Hospiz lag, hatte jeder von den Sterbenden einen Fernseher und die Krankenschwester kam immer und schaltete für die Menschen um und die guckten immer eine Tierdoku nach der anderen. Da dachte ich mir: Mein Gott, es wäre viel schöner, im Kino zu sterben, als allein vor einer Doku von Terra X.

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„Transit“ gehörte zur kleinen Retro in Bozen (Credit: Schramm Film/Marco Krüger)

Beim Thema Kino können Sie ein Jubiläum feiern: Vor 25 Jahren ist Ihr erster Kinofilm erschienen, „Die innere Sicherheit“. Hat sich seither Ihre eigene Haltung zum Kino verändert? 

Christian Petzold: Die Finanzierung von „Die innere Sicherheit“ hat zweieinhalb Jahre gedauert. Das lag nicht an den staatlichen Filmförderungen. Es lag am Fernsehen. Das Fernsehen wollte keine RAF-Geschichte machen. Das Fernsehen hatte viel mehr Angst, war viel staatstragender als der Staat selbst. Da war ich so erschöpft, dass ich danach zwei Fernsehfilme gemacht habe. Einfach, weil es schnell gehen sollte. Was sich für mich verändert hat, ist eine Entscheidung für mich, dass ich seither versuche, in brutaler Regelmäßigkeit zu arbeiten. Wie es auch Regiefreunde wie Dominik Graf versuchen, eine Art Kontinuität im Arbeiten zu haben. Filme sollten meiner Meinung nach keine besonders wertvollen Filmmuseen am Rande der Stadt sein, die von tollen Architekten wie Chippendale gebaut worden sind. Sondern sie gehören in die Stadt. Die Sehnsucht bei mir ist das Serielle, was der Neorealismus hatte, die Nouvelle Vague, die amerikanischen B-Movies… auch die amerikanischen Komödien der letzten Jahre eines Judd Apatow… die haben eine Art von Kontinuität. Das ist mir vor 25 Jahren nach dem ersten Film klargeworden, dass ich das versuche anzustreben. Ich schreibe immer schon den nächsten Film, während ich im Schneideraum bin. Und versuche aus dem, was ich am Schneidetisch sehe, schon den nächsten Film zu entwickeln, weil dort Dinge sind, die mich interessieren, die bei diesem Film keine Rolle gespielt haben. Diese Kontinuität habe ich hingekriegt.

„Richtige Freude macht das Drehbuchschreiben nicht, weil es eine sehr einsame Tätigkeit ist.“

Bedeutet Ihnen Kino immer noch genauso viel wie zu Beginn Ihrer Karriere? Wie sehen Sie persönlich die Entwicklung des Kinos in dieser Zeit?

Christian Petzold: Für mich hat sich das Kino in den letzten 25 Jahren gar nicht so stark verändert. Bis auf die Sache, dass es noch weniger Kinos in den Städten gibt. Dass es eine Tendenz gibt, die falsch ist, dass es immer nur Produktionsförderung gibt und keine Förderung zum Erhalt der Kinokultur im Gesamten. Wir haben nämlich gar keine Öffentlichkeit mehr für diese geförderten Filme. Diese Öffentlichkeit müsste eigentlich gefördert werden. Das ist ein Problem.

Beim Aspekt, die Öffentlichkeit für Kino zu fördern, müsste man ganz früh anfangen, Film als Unterrichtsfach zum Beispiel einführen.

Christian Petzold: Absolut. In Frankreich gibt es eine Woche im Jahr, wo die Schulen geschlossen sind und die Schüler ins Kino gehen. In Deutschland geht man mit Schülern ins Kino, weil sie vielleicht gerade Thomas Manns „Buddenbrooks“ lesen und sich begleitend einen Heinrich-Breloer-Film angucken. In Frankreich wird diese Woche kuratiert, von echten Cineasten, wie Leuten des Cahiers du Cinéma. Mein erster Film, den ich im Rahmen dieser Reihe gesehen habe, war Fritz Langs „Das Schloß im Schatten“ („Moonfleet“) über einen Jungen, dessen Eltern tot sind und der zu seinem Onkel muss, der Pirat und Gangster ist und den Jungen gar nicht will… Das ist ein toller Film für junge Menschen. Auch ein harter Film. Ich war mit zwei meiner Filme bei so einer Woche in Frankreich eingeladen. Bei der Vorführung von „Transit“ in Marseille war ich mit dabei. Das hatte ich der Marseiller Stadtverwaltung zugesichert, die uns wirklich großzügig unterstützt hatte beim Dreh damals. Die Razzia-Szenen in „Transit“ spielen eigentlich in Paris. Nur durften wir dort nicht drehen, weil kurz zuvor die Anschläge aufs Bataclan passiert waren. Also sind wir direkt für diese Szenen schon nach Marseille. Dort gibt es eine Straße, die ebenfalls von Haussmann entworfen wurde und entsprechend aussieht wie in Paris. Als der Film dann vor den 800 jungen Menschen aus Marseille gezeigt wurde und sie diese Razzia-Szenen sahen, die vorgaben, in Paris zu spielen, fing ein Gejohle und Geschimpfe an, dass man sich diese Lüge nicht angucken wolle. Sie haben gleich erkannt, dass diese Straße in Marseille ist. Die Vorführung musste unterbrochen werden, ich ging auf die Bühne und erklärte den Zusammenhang, dass uns in Paris verboten wurde zu drehen, es uns in Marseille aber erlaubt wurde…. Dann schrien alle los und feierten Marseille. Und die Vorführung ging weiter. 

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Christian Petzold in Bozen (Daniele Fiorentino)

Ein kontinuierliches Arbeiten bringt entsprechend regelmäßig Filme hervor. Das ist Ihnen gelungen. An was haben Sie die meiste Freude im Zuge der Arbeit an einem Film? 

Christian Petzold: Richtige Freude macht das Drehbuchschreiben nicht, weil es eine sehr einsame Tätigkeit ist. Die erste Stufe der größten Freude beim Filmemachen ist, wenn ich mit dem Drehbuch die Orte suche, an denen der Film spielt. Das mache ich meistens auch nicht nach ästhetischen, sondern nach ökonomischen Gesichtspunkten. Ich schreibe schon so, dass es nicht viel Geld kostet. Nicht zu viele Schauplatzwechsel gibt, es geht um Verdichtung und Vereinfachung. Es macht sehr viel Arbeit, etwas einfach zu schreiben. Ich schreibe Szenen schon so, dass jeder Ort zwei Mal auftaucht. Wenn sich dieselben Leute dort dann wieder treffen, ist die Differenz schon die Geschichte. Ich suche das Hauptmotiv aus und alle anderen Motive müssen in Fahrradnähe sein. Mir ist eine Basis wichtig, wo die Schauspieler, die sehr sensibel sind und sehr viele Ängste haben – die habe ich auch, aber deren Ängste sind noch härter, weil sie vor der Kamera sind -, das Gefühl haben, zumindest für die Zeit der Produktion eine Heimat zu haben. Ich gebe dem Drehbuch also den Raum, den Ort. Und entsprechend der Realitäten, die ich finde, schreibe ich das Buch um. Dann merke ich, wie sich die Geschichte im Raum ausbreitet. 

„Filme sind es wert, zwei Mal geguckt zu werden.“

Das war die erste Stufe der größten Freude beim Filmemachen. Was ist die zweite?

Christian Petzold: Die zweite Stufe der größten Freude sind die Proben mit den Schauspielern. Das ist das Überraschendste. Was die machen. Es hat echt lange gedauert, bestimmt 15 Filme lang, bis ich dieser Situation vertrauen konnte. Es ist nicht so, dass ich „Macht mal“ sage. Ich habe eine Ahnung davon… aber ich muss bei den Proben auch schauen, was sich dabei ergibt, was mir vielleicht noch gar nicht untergekommen ist. Es sind keine Momente, wo ich den Schauspielern sage, sie mögen improvisieren. Ich habe schon ein Konzept, aber ohne jede Vorschrift. Das ist der zweite tolle Moment.

Es hört sich an, als gäbe es auch einen dritten…

Christian Petzold: Schneidetisch und Mischung gehören auch dazu. Der akustische Raum ist wichtig. Im Kino redet man immer nur von Bildern, Bildern, Bildern. Der akustische Raum führt ein Schattendasein in Deutschland. Das hängt damit zusammen, dass wir in Deutschland so viele Synchronfilme sehen… Dadurch fehlt dann auch der akustische Raum. Hitchcock und Kubrick mochten Untertitel nicht. Das kann ich gut nachvollziehen, weil Untertitel nehmen dich raus, man liest und hat dadurch eine andere Bewegung. Aber du hast zumindest einmal den Sound von dem Film gehört. Ich mache es immer so, dass ich mir erst die Synchronfassung angucke, dann noch mal die Originalfassung. Weil: Filme sind es wert, zwei Mal geguckt zu werden.

„Ich habe seit 25 Jahren keine Überstunde mehr gemacht.“

Ihre Filme sind sehr kontrolliert und präzise. Ist der Drehprozess entsprechend?

Christian Petzold: Ich habe seit 25 Jahren keine Überstunde mehr gemacht. Die Schauspieler merken, dass sie diese Zeit haben und dass es keine Willkür gibt. Mit Willkür meine ich, unnötiges Material ansammeln. Isabelle Huppert sagte mal in einem Interview: „Ich steh‘ doch nicht vor acht Uhr auf.“ Das fand ich super. Das habe ich für mich übernommen. Bei mir stehen Schauspieler nicht vor acht Uhr auf, sind gegen halb neun am Set. Dort bin nur ich, eine Assistentin und Kaffee, noch nichts zu Essen, und die Kostüme. Die Schauspieler gehen ins Kostüm, ohne Maske, gar nichts. Dann erzähle ich, was wir an diesem Tag alles machen. Warum ich das so und so geschrieben habe. Die hören dann zu und werden irgendwann unruhig, beginnen, herumzulaufen, Dinge anzufassen. Da merke ich, dass sie sich eingrooven auf den Ort. Dann fangen die an zu spielen. Das ist wunderbar! Die treffen den Punkt, oder sie zeigen: Da stimmt was nicht, lass uns drüber nachdenken. Wenn wir das alles geschafft haben, ist es zehn Uhr. Dann kommen der Kameramann, der Tonmann, das Team und machen eine technische Vorführung von dem, was sie erarbeitet haben. Anschließend gehen die Schauspieler in die Maske, mein Kameramann Hans Fromm und ich machen eine Auflösung, legen die Einstellungen fest. Das ist handwerkliche Arbeit, die schnellgehen muss. Dann wird das Licht aufgebaut für diese Einstellung, alles fertig gemacht, die Schauspieler kommen aus der Maske, und es wird jeweils ein Take gedreht. Tack, Tack Tack. Und fertig, die Schauspieler können nachhause gehen. Das funktioniert, durch die Vorarbeiten, durch dieses Nachdenken, die Probe, das Vertrauen in das Kollektiv. Das ist bei diesen Produktionsbedingungen, die immer schlechter werden, wichtig. Aus Panik wird oft mit zwei Kameras gedreht, was völliger Unsinn ist, weil bei einer Kamera dann immer das Licht schlecht ist. Außer, man macht ein Licht, das alles abdeckt, das dann aber aussieht wie bei „Verbotene Liebe“ oder „Rote Rosen“.

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Auch Christian Petzolds „Roter Himmel“ wurde in Bozen gezeigt (Credit: Piffl Medien)

Sind Sie auch noch Spezialist für Soaps?

Christian Petzold: Ich gucke „Rote Rosen“, jeden Nachmittag. Ich schreibe täglich irgendwas, auch wenn’s schlecht ist, dann setze ich mich mit einer Tasse Kaffee vor den Fernseher und gucke „Rote Rosen“. Früher habe ich auch mal „Verbotene Liebe“ geguckt. Da spielten auch Leute mit, die ich kannte, um ihre Miete bezahlen zu können. Das Autorenkino ernährt seine Schauspieler leider nicht. Das ist ein eigenes Konzept, eine eigene Grammatik: Schuss, Gegenschuss, Zweier, kleine Fahrt, Travelling nach da und dort, Nahaufnahmen vom Gesicht, Musik, Schnitt. Ein Auto, aus dem zwei Menschen aussteigen, ist ein Höhepunkt. Man kann alles erzählen und kommt nicht von der Stelle. Ich bin begeistert! Das ist Boulevardtheater. Sinnloses Geplapper, aber ich könnte da stundenlang zugucken.

… und schöpfen neue Ideen und Inspiration für Ihre Filme?

Christian Petzold: Nein, das nicht. Das ist eher vorweggenommenes Hospiz.

„Wenn man in Trilogien denkt, das habe ich von meinem Freund Harun Farocki gelernt, denkt man nicht nur an ein einzelnes Haus, sondern an einen Platz oder eine Straße.“

Blickt man auf Ihr Oeuvre, fällt auf, dass Sie gerne in Trilogien arbeiten. Was schätzen Sie am Denken in Trilogien? 

Christian Petzold: Das hängt mit meiner Antwort von vorhin zusammen, dass Film nicht das Chippendale-Museum an Rande der Stadt ist. Film soll eher Baulücken füllen. Da ist ein Haus, das muss mit anderen Häusern korrespondieren. Wenn man in Trilogien denkt, das habe ich von meinem Freund Harun Farocki gelernt, denkt man nicht nur an ein einzelnes Haus, sondern an einen Platz oder eine Straße. Man muss nicht alles in einem Film erzählen, muss nicht die ganze Welt in einem Film schultern. Das nimmt den Druck aus der Geschichte raus. Das andere ist, wenn ich in Trilogien denke, kann ich sofort den nächsten Film besser planen, kann die Schauspieler in Teilen schon mitnehmen. Mein neuer Film ist erst vor zwei Wochen fertiggeworden. Und ich wusste noch nicht, ob er den Abschluss meiner „Elemente“-Trilogie sein kann, die ich mit „Undine“ und „Roter Himmel“ begonnen habe, die Wasser und Feuer abdecken. Aber ich merkte, dass in dem ganzen Film so viel Sturm und Wind ist, dass ich jetzt weiß, dass er das Element Wind ist. Ich habe das Gefühl, der Wind durchlüftet. Der Wind als Element ist nicht nur zerstörerisch als Sturm. Mit dem Wind kommen auch neue Gedanken und Frische und Neuanfang. Der Film handelt genau davon, von einer Gruppe von Menschen, die versuchen, einen Neuanfang zu machen. Deswegen glaube ich, ist „Miroir No. 3“ der dritte Teil dieser Trilogie. Vielleicht ist es so. Das kam mir zumindest vor zwei Tagen in den Sinn.

Abschließend die Frage: Warum fühlen Sie sich im Kino so wohl?

Christian Petzold: Das Kino ist ein so schwerfälliger Apparat, der der Welt so sehr hinterherhängt. Aber das merkwürdige ist, dieser schwerfällige Apparat weiß mehr als die Gegenwart, mehr als Social Networks, die Tagesschau, die Nachrichtenmagazine… Die Referenz für das Kino hat irgendetwas zu tun mit Traum, Unterbewusstsein, Begehren, kollektiven Ängsten. Durch diese Schwerfälligkeit, die Kino hat, kann es wahrscheinlich viel mehr in die Zukunft schauen als alle anderen Künste. Das Kino ist immer noch das Medium, das aus den Tiefenbohrungen lebt. Das ist wahnsinnig erstaunlich. 


Das Gespräch führte Barbara Schuster