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Björn Wilhelm: „Die Anzahl der ‚Tatorte‘ ist trotz aller Herausforderungen stabil“


Der „Tatort“ ist frisch aus der Sommerpause zurückgekehrt. Ein willkommener Anlass um mit dem neuen Fiction-Koordinator Björn Wilhelm über die Sonntagskrimis, aber auch die Einzelstücke der ARD zu sprechen. Dabei geht es um interne Abstimmungen, Quotenentwicklungen, die non-lineare Nutzung und den Stellenwert des Fernsehfilms.

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Björn Wilhelm ist seit 1. März 2022 beim BR Leiter der Programmdirektion Kultur. Seit November 2024 verantwortet er die neu aufgestellte ARD-Koordination Fiktion (Credit: BR/Vera/Johannsen)

Der „Tatort“ steht vor einer Saison der Veränderungen: Borowski und das Frankfurt-Team sind schon Geschichte, in München und Wien stehen große Abschiede bevor, neue Gesichter bei Falke, in Dresden, Franken und Dortmund. Ist das zu viel Fluktuation oder ein unumgänglicher Generationswechsel?

Björn Wilhelm: Es ist ja nicht so, dass kein Stein auf dem anderen bleibt. Die Stärke des „Tatort“ lag schon immer in seiner Vielfalt und darin, dass er in Bewegung ist und bleibt. Neben den Gesichtern, die uns seit langem vertraut sind und die für uns alle zum Sonntagabend gehören, sind neue Teams nicht nur spannend, sondern völlig normal, weil Figuren „in Rente“ oder Darstellerinnen und Darsteller neue Wege gehen. Für uns zählt, dass jede neue Figur ihren eigenen Charakter, ihre eigene Geschichte und ihre eigene Perspektive mitbringt. Nur so entsteht ein Zusammenspiel aus Alt und Neu, das den „Tatort“ lebendig hält und dem Publikum immer wieder neue Impulse gibt.

Wenn es um Neubesetzungen geht, um neue Konstellationen, sind das autarke Entscheidungen der Landesrundfunkanstalten oder wird darüber in größerer Runde diskutiert, um vielleicht zu ähnliche Konstellationen zu verhindern?

Björn Wilhelm: Das passiert natürlich immer im Miteinander: Die „Tatort“-Redaktionen der einzelnen Landesrundfunkanstalten arbeiten mit Kreativen aus den unterschiedlichen Gewerken an ihren neuen Teams – von der Idee bis zur Umsetzung. Sie erarbeiten Konzepte, entwickeln Stoffe und sind für die Auswahl des passenden Personals vor und hinter der Kamera zuständig. Aufgabe der ARD-Koordination Fiktion ist es, darauf zu achten, dass ein stimmiges, zukunftsorientiertes Gesamtportfolio entsteht.

Wie kann man sich die Arbeit in der Koordination grundsätzlich vorstellen, werden Themen und Besetzungen abgestimmt, um Überschneidungen zu vermeiden? Ist das überhaupt möglich?

Björn Wilhelm: Koordination heißt für mich, Vielfalt klug zu orchestrieren: Wir stimmen uns eng ab – bei Teams, Themen und Besetzungen – damit Überschneidungen vermieden und Unterschiede bewusst hervorgehoben werden. Selbstverständlich ist ein solches Vorgehen aufwändiger als eine zentral gelenkte Planung. Aber gerade die Mischung aus klarer Linie und kreativer Freiheit macht die Marke stark. Die ARD-Koordination Fiktion versteht sich dabei als Klammer, die alles zusammenhält, ohne die einzelnen Stimmen zu übertönen.

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Edin Hasanovic und Melika Foroutan sind eines von vielen neuen „Tatort“-Teams und legen am 5.10. für den HR als Hamza Kulina und Maryam Azadi in Frankfurt los (Credit: HR/ARD Degeto / Sommerhaus / Daniel Dornhöfer)

Wie groß ist eigentlich der aktuelle Bestand der Sonntags-Krimis. Zählen Sie Tschiller vom NDR noch dazu? Wird es nach dem letzten „Polizeiruf“ aus Halle, einen neuen, fünften 110-Standort geben?

Björn Wilhelm: Aktuell haben wir 19 aktive „Tatort“-Teams sowie vier feste „Polizeiruf 110“-Standorte. Filme mit der Figur Nick Tschiller sind vorerst nicht geplant. Wie es mit dem „Polizeiruf 110“ nach dem Abschied des Teams aus Halle weitergeht, soll an dieser Stelle noch nicht verraten werden – nur so viel: Sie dürfen gespannt sein.

Der Sonntagskrimi ist eine der letzten Bastionen, deren linearer Sendeplatz heilig ist. Könnte hier „online first“ in Zukunft dennoch ein Thema werden?

Björn Wilhelm: Klar ist: Wir lieben den Sonntagabend. Der Sonntagabend ist für den „Tatort“ ein kultureller Fixpunkt – das wollen und werden wir nicht aufgeben. Gleichzeitig sehen wir, wie stark die Mediatheksnutzung wächst: Gerade jüngeres Publikum entdeckt den „Tatort“ zunehmend dort: zeitlich flexibler und oft auch in ganz anderen Nutzungsmustern. Deshalb denken wir nicht in Gegensätzen, sondern in Ergänzungen: Der lineare Sendeplatz bleibt das Sonntag-20.15 Uhr-Ritual. Die Mediathek öffnet zusätzliche Räume und Zielgruppen.

Wie steht es konkret um die non-lineare Nutzung?

Björn Wilhelm: Wie gesagt, immer mehr Menschen nutzen bevorzugt die Mediathek, quer durch alle Altersgruppen. Im Schnitt kommen schon jetzt pro Fall nochmal fast zehn Prozent der Publikumszahlen aus dem Fernsehen über die Mediathek dazu. Der „Tatort“ vollzieht damit einen allgemeinen Trend zur verstärkten zeitsouveränen Nutzung nahtlos mit. In der gesamten Saison 2024/25 hat sich das auf eindrucksvolle 89,3 Millionen „Tatort“-Abrufe summiert – ein Wert, der seit Jahren steigt.


„Wir kommen erfreulicherweise langsam weg vom starren Blick auf die Sonntagsquote.“

Wie sind Sie mit der Entwicklung der Zuschauerzahlen generell zufrieden?

Björn Wilhelm: Die Bindung ist enorm – es ist wirklich großartig, dass der „Tatort“ auch nach 55 Jahren eine solch überwältigende Erfolgsgeschichte ist. Die lineare Ausstrahlung im Ersten ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Der Marktanteil für die Erstausstrahlungen im Jahr 2025 steht aktuell im Schnitt bei sehr starken 29,6 Prozent! So ist der „Tatort“ nach wie vor ein verlässlicher Anker am Sonntagabend – aber wir kommen erfreulicherweise langsam weg vom starren Blick auf die Sonntagsquote. Ein „Tatort“/„Polizeiruf 110“-Film hat ein langes Leben: Er läuft vielfach im Hauptprogramm, in den Dritten Programmen, bei ONE und findet in der Mediathek ein stetig wachsendes Publikum. Wenn man all diese Ebenen zusammendenkt, zeigt sich die eigentliche Stärke: Der „Tatort“ erreicht über viele Kanäle hinweg Millionen Menschen unterschiedlichster Generationen – und bleibt dadurch dauerhaft relevant.

Alle müssen sparen. Betrifft das auch den Königssendeplatz der ARD? Falls ja: Wie äußert sich das konkret, weniger neue Produktionen, mehr Wiederholungen?

Björn Wilhelm: Zunächst mal: Die Anzahl der „Tatorte“ ist trotz aller Herausforderungen stabil, da braucht sich das Publikum keine Sorgen machen. Wie bei allen unseren Programmen, arbeiten wir auch hier wirtschaftlich, wobei jede Landesrundfunkanstalt selbst die Kosten für sich im Blick hat. Kernaufgabe ist: jedes Jahr eine starke Zahl neuer Filme, die das Publikum immer wieder aufs Neue fesseln und diskutieren lassen. Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass Ausstattung, Drehorte und Produktionswerte dem Niveau entsprechen, das das Publikum von „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ erwartet.

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Denis Moschitto (vorne) wird Partner von Wotan Wilke Möhring in der ersten „Tatort“-Koproduktion mit NOP (Credit: NDR/Georges Pauly)

Rücken Koproduktionen wie zuletzt zwischen NDR und NOP aus den Niederlanden stärker in den Fokus?

Björn Wilhelm: Koproduktionen sind definitiv ein Thema – sie bieten die Chance, Ressourcen zu bündeln, neue Perspektiven einzubringen und Geschichten auf besondere Weise zu erzählen. Beispiele wie NDR und NOP zeigen, dass solche Kooperationen sehr erfolgreich sein können, wenn alle Partner an einem Strang ziehen und die kreative Handschrift erhalten bleibt. Für uns gilt: Koproduktionen sollen Mehrwert bringen, nicht Kompromisse erzwingen.

Welche Rolle spielt der „Polizeiruf 110“, kommt ihm als eine Art „Stimme des Ostens“ eine besondere Bedeutung zu oder wird intern kaum noch zwischen „Tatort“ und „Polizeiruf“ unterschieden?

Björn Wilhelm: „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ sind Geschwister, aber keine Zwillinge. Beide stehen für starke, eigenständige Krimiformate – und doch mit einer gemeinsamen Strahlkraft am Sonntagabend. Der „Polizeiruf“ hat seine Wurzeln im Osten, das prägt ihn bis heute und verleiht ihm eine eigene Glaubwürdigkeit. Aber er ist längst mehr als eine regionale Marke: Er erweitert den Sonntagabend um eine alternative Tonalität, andere Erzähltraditionen und eine gewisse Freiheit im Umgang mit Genre und Figuren. Gerade diese Unterschiede machen die Einheit stark.

Lassen Sie uns auf den Fernsehfilmbereich blicken, wo die ARD gerade mit „Wir vier und der Enkeltrick“ einen besonderen Erfolg feiern konnte. Dennoch ist oft von einem Bedeutungsverlust, dieser einstigen deutschen „Paradedisziplin“ zu hören. Wie ist Ihre Einschätzung?

Björn Wilhelm: Über den Erfolg von „Wir vier und der Enkeltrick“ freuen wir uns sehr, denn er zeigt, was auf dem Sendeplatz am Mittwochabend möglich ist. Von Bedeutungsverlust kann also keineswegs die Rede sein, gerade 90-Minüter, die mal keine Ermittlerkrimis sind, sind doch heute im deutschen Fernsehen wertvolle Solitäre.

Wie sehen Sie die Zukunft des Mittwochs-Sendeplatzes in Zeiten, da der Fokus auf die Mediathek immer stärker wird? Mangelt es dem Sendeplatz und dem Fernsehfilm generell an Attraktivität für junges Publikum?

Björn Wilhelm: Lassen Sie uns weniger von Sendeplätzen sprechen als von der Farbe, die heute auf dem Mittwoch gelernt ist. Das sind Filme mit einem starken Profil, mit wichtigen Themen, und wir glauben sehr daran, dass wir damit auch Jüngere ansprechen können. Zum Beispiel war das packende Familiendrama „Bis zur Wahrheit“ linear und in der ARD-Mediathek sehr erfolgreich, auch bei den Jüngeren. Klar, am Sonntag ist es auch vom jungen Publikum weiterhin eher gelernt, um 20.15 Uhr die Kult-Marke „Tatort“ linear einzuschalten.

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Beeindruckender Fernsehfilm-Erfolg: „Wir vier und der Enkeltrick“ mit Soogi Kang, Katharina Thalbach, Ursula Werner und Uschi Glas (Credit: SWR/wüste medien/O-Young Kwon)

Wie sieht hier Ihre Strategie aus? Reihenformate wie vielleicht „David und Goliath“ scheinen Teil des Plans zu sein?

Björn Wilhelm: Natürlich bleibt der Fokus auf Einzelstücken und ihren wichtigen Themen. Mit den „Schnitzel“-Filmen des WDR gibt es aber auch am Mittwoch kleinere Reihen. Bestimmte Formate und Figuren in gewissen Rollen wiederkehren zu lassen, ist deshalb auch jetzt schon Praxis: Zum Beispiel freuen wir uns nach „Die Verteidigerin – Der Gesang des Raben“ am 22. Oktober auf den Thriller „Die Verteidigerin – Der Fall Belling“, nun mit Andrea Sawatzki in der Hauptrolle. Wir schauen uns das alles an, aber die Einzelstücke bleiben sehr wichtig.

Was lässt die finanzielle Ausstattung an Erstausstrahlungen auf dem Sendeplatz noch zu?

Björn Wilhelm: Wir werden die Anzahl an Erstausstrahlungen 2025 auf dem Niveau halten wie im Vorjahr. Dabei gibt es verschiedene Finanzierungsmodelle, Koproduktionen mit externen und internen Partnern bzw. Landesrundfunkanstalten. Jedes Budget wird individuell von den jeweils Zuständigen erstellt.

Welche künftigen neuen Produktionen sind schon fix und vermeldenswert für den Mittwochabend?

Björn Wilhelm: Der Mittwochabend verspricht Qualität auf höchstem Niveau in den populärsten Sujets: Mit „Die Nichte des Polizisten“ (SWR, NDR) – Ausstrahlung am 8. Oktober – haben wir ein preisgekröntes Drama in Anlehnung an einen der brisantesten Mordfälle der letzten Jahrzehnte, dem Mord an der jungen Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Am 12. November freuen wir uns auf den neuen Film von Regisseur Daniel Harrich: „Verschollen“ (SWR, BR) erzählt einen packenden Thriller mit Axel Milberg, der sich auf die Suche nach seinem Sohn, einem vermissten Umweltwissenschaftler, begibt und in Brasilien auf Verbrechen im Namen des Klimaschutzes stößt. Mit „Prange“ (NDR) haben wir Ende des Jahres eine hochkarätig besetzte Komödie im Programm, in der Bjarne Mädel und Olli Dittrich ein skurriles Nachbarschaftspaar spielen, das um die Gunst einer Paketbotin, gespielt von Katharina Marie Schubert, buhlt. Nur drei Beispiele aus einem Line-up, das hochwertige Unterhaltung, relevante Themen und beliebte Schauspielerinnen und Schauspieler verspricht. Ich freu mich drauf!

Das Interview führte Frank Heine