Seit fast 50 Jahren besteht die Wiener Filmförderung und seit genau 25 Jahren fördert sie als Filmfonds Wien in der heutigen rechtlichen Form das österreichische und Wiener Filmschaffen. Anlass genug, um mit Christine Dollhofer einen Blick zurück zu werfen, aber auch, um die Gegenwart zu beleuchten. Denn auch der Jahresbericht 2024 wurde vorgestellt.
Um gleich mal mit der Tür ins Haus zu fallen: 600 Kinofilme, 550 TV-Produktionen in 25 Jahren! Das lässt sich doch auf jeden Fall feiern!
Christine Dollhofer: Diese Zahlen sind unglaublich. Wenn man die Liste mit all den geförderten Projekten der letzten 25 Jahre durchschaut, werde ich auch etwas sentimental, weil sie einfach sehr schön die Geschichte der österreichischen Filmlandschaft widerspiegelt. Es ist interessant, zurückzublicken und zu sehen, wie sich Regiepersönlichkeiten aber auch Firmenstrukturen verändert haben. Von 1998 bis 2003 habe ich ja mit Constantin Wulff die Diagonale geleitet. Und sehr viele Filme, entstanden mit Geldern des FFW, feierten damals als Debüts dort ihre Premiere, waren die ersten Arbeiten von Regiepersonen, deren Karriereweg der FFW seit 25 Jahren begleitet. Interessant ist auch, wie sich die Branche insgesamt weiterentwickelt hat, wie es immer wieder Reibungen mit der Regierung gab – ich erinnere an das Jahr 2000, als Österreich die erste Schwarz-Blaue Regierung hatte und es viele Proteste gab in der Filmbranche. 25 Jahre später standen wir wieder ganz knapp vor einer Schwarz-Blauen Regierung. Es gab oft „Feuer am Dach“ in der Branche. Es ist eine sehr lebendige, volatile Szene, die viele Entwicklungen durchgemacht hat und sich eigentlich in einem ständigen Veränderungsprozess befindet. Umso schöner ist es zu sehen, dass die Stadt Wien einen großen finanziellen Beitrag zur Entwicklung dieser Branche geleistet hat.
Wie viel hat die Stadt Wien, die Trägerin des Filmfonds Wien ist, bis dato investiert?
Christine Dollhofer: Über 266 Mio. Euro hat die Stadt Wien in den letzten 25 Jahren insgesamt in die Wiener Filmbranche investiert. Wenn man hier den Wiener Filmbrancheneffekt der letzten Jahre ansetzt, der zwischen 400 und 500 Prozent schwankt, dann bedeutet das, dass die Förderungen des Filmfonds Investitionen in Höhe von einer Milliarde Euro in die Wiener Filmbranche ausgelöst haben. Darauf sind wir sehr stolz. Weitere wirtschaftliche Effekte sind da noch gar nicht miteingerechnet, wie Gastronomie, Hotellerie etc. Das ist beachtlich.
„Es ist großartig, dass sich eine Stadt eine Förderung wie den FFW leistet und so viel Geld in eine Branche steckt.“
Die Filmförderung in Wien gibt es aber schon länger als 25 Jahre…
Christine Dollhofer: Eine Wiener Filmförderung gibt es seit 1976. 1992 wurde Wolfgang Ainberger aus der Landesverwaltung heraus als Filmbeauftragter installiert und hat die Förderung zum Wiener Filmfinanzierungsfonds transformiert. Damals wurde nach dem Intendantenprinzip gefördert. 1999 begann dann unter Peter Zawrel der Reformprozess zum Filmfonds Wien. In diesem Zuge kam es zu einer „Gewaltenteilung“ in die Bereiche Geschäftsführung – Kuratorium – Jury. Und die Ausgliederung zur eigenständigen Fonds-Behörde erfolgte. Die neue Rechtsform trat am 5. Januar 2000 in Kraft. Ein Jahr später erfolgte die finale Umbenennung in Filmfonds Wien.
Wie hat sich das Budget verändert?
Christine Dollhofer: Im Jahr 2000 waren es 5,6 Mio. Euro, 2024 hatten wir ein Budget von 13,5 Euro. Da ist also eine ordentliche Entwicklung im finanziellen Beitrag passiert. Im Laufe der Zeit kam die Herstellungsförderung für TV-Projekte dazu, ein schleichender Prozess mit der Installierung einer eigenen Förderschiene im Jahr 2009. Neben der Herstellung von Kino und TV fördert der FFW in den Bereichen Projektentwicklung, Struktur, Verwertung und Festivalteilnahmen.
Die Stadt Wien ist Ihre Geldgeberin und das Budget stammt aus dem Kulturhaushalt…
Christine Dollhofer: Das Geld kommt aus dem Kulturbudget, richtig. Das ist wichtig, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen. Der FFW ist eine kulturelle Filmförderung, entsprechend ist unser Leitbild. Natürlich sind wir auch eine Wirtschaftsförderung, weil es darum geht, Wien als Film- und Medienstandort sowie als Drehscheibe des internationalen Filmschaffens zu stärken. Unsere primäre Aufgabe ist es aber, die Wiener Kreativen in ihren Ausdrucksmöglichkeiten zu unterstützen.
Wie ist der Filmfonds Wien im Vergleich zu anderen Regionalförderern ausgestattet?
Christine Dollhofer: Verglichen mit anderen Bundesländern sind wir die größte regionale Förderung in Österreich. Auch im europäischen Vergleich haben wir ein sehr gutes Budget. Wir sind Mitglied bei Cine Regio und da sieht man, wie unterschiedlich regionale Förderungen funktionieren und ausgestattet sind. Der FFW ist budgetär im oberen Bereich. Das ist erfreulich. Ein Fünftel der Österreicher*innen lebt in Wien. Die Stadt hat mittlerweile über zwei Mio. Einwohner*innen. Es ist großartig, dass sich eine Stadt eine Förderung wie den FFW leistet und so viel Geld in eine Branche steckt, die ja auch eine Zukunftsbranche ist. Dieses Geld hat dazu beigetragen, dass sich Wien als Film-Cluster herausgebildet hat. Die meisten Produktionsfirmen sind hier, fast alle Postproduktionshäuser, es gibt jetzt mit den HQ7 Studios neue Filmstudios, wir haben die Vienna Synchron Stage und natürlich tolle Drehlocations. Seit es die automatische Filmförderung gibt, wird in Wien noch mehr gedreht. Dafür ist die Vienna Film Commission die erste Anlaufstelle. Sie ist ebenfalls eine Tochter der Stadt Wien und macht einen hervorragenden Job dabei, internationale Produktionen nach Wien zu holen und zu begleiten.
Die Kulturabteilung der Stadt Wien hat noch eine eigene Filmförderung…
Christine Dollhofer: Das ist die MA7, die Magistratsabteilung 7, die sich um den geringer budgetierten, künstlerischen Film kümmert, um den Kurzfilm, den Dokumentarfilm, und auch Kino- und Festivalförderung vergibt… Unsere Antragsteller*innen sind Produktionsfirmen. Bei MA7 sind das vorwiegend Einzelpersonen. Nicht möglich ist es, von beiden Wiener Filmförderungen gefördert zu werden.
„Man kann hier wachsen, sich in unterschiedlichen Formaten ausprobieren und in andere Produktionsbereiche aufsteigen.“
Durch was zeichnet sich die österreichische Förderlandschaft aus, durch was die Wiener Filmszene?
Christine Dollhofer: Wien und Österreich zeichnen sich durch eine sehr breite Filmförderung aus – vom Experimentellen bis hin zum Kommerziellen, alles kann hier gedeihen. Sehr erfreulich war dieses Jahr die Einladung von Marie Luise Lehner und Florian Pochlatko auf die Berlinale. Beide haben davor nur Kurzfilme gemacht. Man kann hier wachsen, sich in unterschiedlichen Formaten ausprobieren und in andere Produktionsbereiche aufsteigen. Diese Vielfalt und Eigenwilligkeit sind total wichtig. Wir lassen in der Förderung auch sehr viel zu. Projekte werden nicht nach Kompatibilität ausgewählt, müssen keinem Schema entsprechen. Bei uns wird sehr viel ermöglicht, was out of the box ist, und interessanterweise wird das dann auch gesehen und sorgt oft international auf Festivals für Begeisterung. Wir brauchen aber auch den Publikumsfilm, den kommerziellen Film. Die Mischung macht’s. Das funktioniert ja auch sehr gut bei uns. Wobei man sagen muss, dass sich die Kinolandschaft stark verändert hat. Früher gab es durchaus immer mal wieder österreichische Produktionen, die 600.000 Besucher*innen anlockten. Heute ist ein Film mit 100.000 verkauften Tickets ein Erfolg. Der Markt ist sehr kompetitiv geworden, es gibt weniger Kinos, durch die Digitalisierung und das Aufkommen der Streamingplattformen ist das Angebot sehr groß geworden. Deswegen ist es wichtig, dass das Kino immer auch etwas Besonderes bleibt. Filme fürs Kino müssen sich unterscheiden, brauchen einen USP. Eine größere Freiheit.
Der Erfolg von künstlerischen Filmen bzw. Arthousefilmen lässt sich auch nicht allein an den Besuchszahlen im Kino bemessen.
Christine Dollhofer: Richtig. Es kann sein, dass ein Film nur 3000 Tickets verkauft hat, dafür aber auf 80 Festivals lief, von mehreren Territorien gekauft wurde, in Verlängerung noch einen Plattformstart erhält und im regulären TV-Programm zu sehen sein wird. Die Summe aller Sichtungen macht es aus. Die alleinige Bemessung an der Performance im Kino ist schwierig. Natürlich braucht es immer eine gewisse österreichische DNA in den Projekten. Aber die verändert sich mit der Gesellschaft. Und die Gesellschaft heute ist eine andere als vor 25 Jahren. Begrüßenswert finde ich, dass viel mehr Filme mittlerweile im Verbund mit europäischen Partner*innen entstehen.
Da schimpft man aber dann oft über einen Euro-Pudding…
Christine Dollhofer: Im Förderjahr 2024 hatten wir 16 Koproduktionsländer dabei. Die Projekte, die wir fördern, sind aber alles andere als Euro-Pudding, weil die Zusammenarbeiten sehr natürlich erfolgen. Die Produktionsfirmen, ob etabliert oder jung, sind heute viel besser vernetzt, sind interessiert am Austausch mit europäischen Kolleg*innen, nehmen an Programmen und Weiterbildungsmaßnahmen teil. Deswegen ist es uns als FFW wichtig, gute Koproduktionsmodelle zu fördern. Sie sind eine Investition in die Zukunft. Wenn Firmen mit unseren Nachbarländern zusammenarbeiten und dabei gute Erfahrungen machen, entstehen tolle Netzwerke. Mehr als 50 Prozent unseres Fördervolumens geht in Koproduktionen. Die rein nationalen Produktionen werden immer weniger, auch, weil es finanziell schwieriger geworden ist.
Die Produktionskosten sind andere als vor ein paar Jahren…
Christine Dollhofer: Ohne die automatischen Förderungen hätten es rein österreichische Kinoprojekte sehr schwer, dann wären höchstens Kammerspiele oder Low-Budget-Projekte umsetzbar. Wenn alle arbeitsrechtlichen Vorgaben und Kollektivverträge erfüllt werden sollen – und das ist Teil unserer Förderphilosophie, denn man soll schließlich von seinem Beruf leben können –, braucht es mittlerweile einfach mehr Geld.
Der Filmfonds Wien war auch immer vorn mit dabei, wenn es um aktuelle Themen ging wie Nachhaltigkeit, Gender Equality oder Kinderschutz.
Christine Dollhofer: Es ist wichtig, dass wir Förderinstitutionen in Österreich, ob national oder regional, versuchen, an einem Strang zu ziehen und gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderung gemeinsam aufzugreifen. Beim Grünen Produzieren ist auf alle Fälle die LAFC ein Leuchtturm und hat mit Evergreen Prisma einen Standard geschaffen, der anerkannt ist. Wenn ein Diskurs in der Branche aufkommt und das Kuratorium ihn als wichtig erachtet, wollen wir natürlich dabei sein. Grünes Produzieren, Code of Ethics, Kindeswohlkonzept und Gender Budgeting sind die vier Säulen, die seit meinem Amtsantritt dazugekommen sind. Wir Fördereinrichtungen tauschen uns untereinander aus, sind oszillierende Gefäße, die versuchen, in den Richtlinien nicht unterschiedliche Wege zu laufen, und auch Synergien nutzen. Ich merke insgesamt, dass in der Branche mehr Gemeinsamkeiten da sind. Klar gibt es da und dort unterschiedliche Auffassungen und Interessen. Aber trotzdem überwiegt die Gemeinsamkeit. Das Gegeneinander-Ausspielen, Kunst vs Kommerz, das früher sehr stark war, hat sich verflüchtigt. Im Großen und Ganzen wollen wir alle eine florierende Produktionswirtschaft.
Wenn wir auf die aktuelle Lage bei den Einreichungen blicken: Was fällt auf?
Christine Dollhofer: Der Wettbewerb ist brutal geworden. Beim ersten Call des Jahres hatten wir fast 60 Einreichungen mit einem Antragsvolumen, das höher ist als unser Jahresbudget. Der erste Termin im Jahr ist immer extrem. Dieses Jahr war es vielleicht noch mal ein bisschen mehr, weil beim ÖFI gerade eine große Unsicherheit herrscht bezüglich ÖFI+. Ich verstehe natürlich, dass man bei einem neu installierten Modell oft erst in der Praxis merkt, an welchen Ecken nachgeschärft werden muss und dass es viel intensiver genutzt wird als anfangs gedacht. Von der neuen Regierung braucht es nun rasch Ansagen, wann und wie es weitergeht mit ÖFI+. Die Branche braucht Klarheit, Stabilität und Kontinuität.
„Besonders freut mich, dass sich die Frauenquote auch im TV-Bereich auf 50 Prozent hin entwickelt hat.“
Wenn wir ins Förderjahr 2024 zurückblicken: Was sticht aus dem jüngst veröffentlichten Bericht heraus?
Christine Dollhofer: Wir hatten 2024 das Glück, dass wir eine Budgeterhöhung von zwei Mio. Euro bekommen haben. Dieses Geld hat uns in der Herstellungsförderung mehr Spielraum verschafft, und wir konnten wirklich viele Projekte auf den Weg bringen, sowohl bei den Koproduktionen, bei den Debüts und bei den etablierten Filmschaffenden. Im 50:50-Gender Budgeting sind wir in unserem plusminus Fünf-Prozent-Ziel geblieben. Besonders freut mich, dass sich die Frauenquote auch im TV-Bereich auf 50 Prozent hin entwickelt hat. Das letzte Jahr war außerdem ein sehr erfolgreiches Festivaljahr, wir hatten auf allen A-Festivals geförderte Filme vertreten.
Als selektive Förderung entscheidet eine Jury über die Auswahl. Angefangen hat die Wiener Filmförderung aber mit dem Intendantenprinzip. Was schätzen Sie an der selektiven Vorgehensweise?
Christine Dollhofer: Die Jurymitglieder bringen unterschiedliche Perspektiven mit und die entsprechend mehrperspektivische Diskussionen über Projekte mit Blick auf Drehbuch, Produktion und Verwertung sind sehr bereichernd. Die meisten Entscheidungen werden einvernehmlich getroffen. Es werden alle Argumente abgewogen. Es geht um die Qualität des Projekts, um Time Slots, welche Chancen ein Projekt in der Auswertung hat, wie viel Potenzial man darin sieht, welche Biografien dahinterstecken, was die Leute davor gemacht haben etc… Die produktionswirtschaftliche Seite ist natürlich ebenso wichtig: Wie realistisch ist die Finanzierung? Wie haben andere Förderungen entschieden? Macht unsere Förderung überhaupt Sinn? Oder müssen wir als Förderstelle vorangehen, um andere zu motivieren? Es ist sehr unterschiedlich.
Was hat sich für die Produktionsfirmen mit Blick auf das Einreichverfahren verändert im Lauf der Zeit?
Christine Dollhofer: Ich war in den 2000er Jahren in den Kommissionen des ÖFI und Filmfonds Wien. Im Vergleich dazu sind die Anforderungen extrem gewachsen. Ich habe großen Respekt vor der unglaublichen Arbeit der Produktionsfirmen. Es wird von den Fördernehmer*innen viel abverlangt. Neben den produktionswirtschaftlichen Voraussetzungen und den finanziellen Risiken steht auch die Sorgfaltspflicht der Produzent*innen im Vordergrund, die gewährleisten müssen, dass die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsklima passt und sich alle Beteiligten sicher fühlen. Denn die Attraktivität der Filmberufe muss verbessert werden, um auch den Nachwuchs dafür zu begeistern.
Abschließend zum Jubiläum zurück: Gab es einen Aspekt, der Sie selbst überrascht hat?
Christine Dollhofer: Die Gender- und Diversitäts-Debatte war immer schon Thema. Aber es hat sich lange Zeit wenig in der Förderung abgebildet. Es ist erfreulich zu sehen, dass sich mittlerweile tatsächlich viel verändert hat! Dass Gender Equality und die Sorge um Vielfalt für selbstverständlich angesehen werden. Was mich auch sehr freut, ist die angesprochene europäische Komponente, dass die Produzent*innen in Österreich immer mehr über den Tellerrand blicken, dass das vernetzte Arbeiten wichtiger geworden ist und wir als Förderung auch Stoffe und Filme unterstützen, die gar nicht hier in Österreich angesiedelt sind, sondern „nur“ mit österreichischem Kreativteam entstehen. Ich bin Europäerin und liebe das europäische Filmschaffen. Wien ist in der Mitte Europas und eine wichtige Drehscheibe. Für den Filmfonds Wien macht es Sinn, dieses Über-den-Tellerrand-Blicken mitzumachen. Es freut mich, dass das die Wiener Kulturpolitik auch so sieht und nicht nur Wien abgebildet sehen will in den Filmen, sondern das hier vorhandene Kreativpotenzial in den Fokus gerückt wird.
Das Gespräch führte Barbara Schuster