Am ersten Tag der Seriencamp Conference ragte die deutsche Serie „Angemessen Angry“ heraus, die einerseits sehr sehenswert klingt und aussieht, andererseits mit der Thematisierung von sexueller Gewalt auch herausfordernd wird.
Bei dem allseits beliebten „Work in Progress“-Panel des Seriencamp in Köln, auf dem die neuesten, noch nicht ganz fertiggestellten deutschen Serienproduktionen vorgestellt werden, waren in der ersten Runde am Mittwoch die Netflix-Serie „Achtsam Morden“, die ZDFneo-Horrorserie „Hameln“ und „Angemessen Angry“ von RTL+ zu sehen, wobei sich letzteres Format gegen die starke Konkurrenz als vielleicht vielversprechendstes Format mit den stärksten Eindrücken durchsetzte.
Bei kleineren und wilderen Formaten hat RTL in den vergangenen Jahren ein gutes Händchen bewiesen. „Hübsches Gesicht“ war bereits sehenswert, die erste Staffel der bösen Comedy-WG „Wrong“ war eine funkelnde Perle. Jetzt kommt die Serie „Angemessen Angry“, die schönerweise dann in wenigen Wochen ihre Weltpremiere beim Filmfest München feiern wird.
Im gezeigten Ausschnitt ist „Discounter“-Star Marie Bloching mit einer Skimaske bewaffnet zu sehen, wie sie einen jungen Mann in Unterhosen ans Bett gefesselt hat und ihm eine letzte Chance gibt, seine Taten bei einer Handy-Aufnahme zu gestehen. Die Szene ist atemlos, fühlt sich rau und kantig an und erinnert in der Protagonistin an die Hackerin Lisbeth Salander aus der populären Millennium-Trilogie, die Jagd auf Vergewaltiger macht.
Denn darum geht es ebenso in „Angemessen Angry“. „Unsere Serie ist eine Superheldin-Serie, bei der die Protagonistin vergewaltigt wird und daraus ihre Superkraft entwickelt, mit der sie Vergewaltiger aufspüren kann“, erklärte die Studio-Zentral-Produzentin Solmaz Azizi, die gleich zu Anfang des Panels eine Trigger-Warnung wegen der thematisierten Gewalt ausspricht. „Wir wussten, dass wir von Anfang an zu wenig Geld haben werden und mussten uns kreative Ideen einfallen lassen. Wir hatten Sensibilitäts-Workshops für alle Beteiligte auch was die Sprache und die Pressearbeit angeht.“ Die Serie „Angemessen Angry“ entstand als zweites Gewinner-Projekt des Storytellers-Wettbewerbs von RTL.
„Ich selbst bin eine Überlebende von sexueller Gewalt“, erzählte Regisseurin und Drehbuchautorin Elsa van Damke auf der Bühne des Seriencamp. Als sie 15 Jahre alt war, hätte sie gerne ein Format wie „Angemessen Angry“ geschaut. „Der bloße Fakt, dass wir nicht ständig wütend auf Männer wegen ihres Verhaltens sind, ist schon eine Superkraft.“ In der Serie wird auch mit Humor mit den Situationen umgegangen, durch die Frauen im Leben gehen müssen. Dabei ist Elsa van Damke der weibliche Blick auf das Thema wichtig.
„Es gibt keine nackte Frau im Wald bei uns. Bei uns sind der Busfahrer, der Lehrer, der Ehemann oder der Freund die Täter. Wir haben witzige und schmerzvolle Momente im Drehbuch gefunden, die Überlebende verstehen, aber Männer nicht unbedingt“, sagte van Damke. Drehbuchautorin Jana Forkel ergänzt, dass das Projekt erst ein Film werden sollte, sie sich aber wegen des Storytellers-Wettbewerbs dann für eine Serie entschieden. „Es gibt einen sehr schmalen Grat zwischen Weinen und Lachen. Und ich denke, wir haben ihn hier getroffen“, sagte Forkel.
Der RTL-Redakteur Thomas Disch zeigte sich stolz auf der Bühne. „Es ist eine kleinere Show, aber für mich ein großer Diamant.“ Der Start des Formats werde tendenziell im Herbst in einer dunkleren Jahreszeit stattfinden. „Es ist ein Streaming-Format, das es nicht um 20.15 Uhr auf RTL geben wird.“
Neuer Horror von ZDFneo
Eine weitere auf dem Panel vorgestellte Serie war das ZDFneo-Horrorformat „Hameln“. Das ZDF probiert sich in den vergangenen Monaten immer stärker in diesem Genrebereich. Für das Format „Hameln“, das die Geschichte um den Rattenfänger der titelgebenden Stadt in die Jetzt-Zeit holt, konnte der Genre-Veteran Rainer Matsutani („Sides“, „Nur über meine Leiche“) gewonnen werden.
Im gezeigten Zusammenschnitt sehen vor allem auch die Horrorszenen gut und wertig aus. Nur Schauspieler Götz Otto erinnert in seiner Rolle eher an die „ProSieben Märchenstunde“. „Ich mag Horror. Man muss ein Fan sein, um mit solch einer Geschichte zu starten. Der Rattenfänger hat mich als Legende immer fasziniert, vor allem die Tatsache, dass das damals wirklich passierte. Ich wollte kein Kostümdrama, sondern eine moderne Geschichte in einem Szenario machen, wenn die Kinder von damals zurückkämen“, erklärte Creator Matsutani.
Matsutani, der die ZDFneo-Redakteurin Michelle Rohmann noch von der Arbeit an „SOKO Stuttgart“ kennt, erinnert sich an den Start des Projekt, dem zuerst keine große Chance ausgerechnet wurde durchzukommen. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir sagten, dass wir keine Chance haben. Mich packte schon der Titel“, erwiderte Rohmann. „Es ist nicht nur Horror, sondern auch Abenteuer, Young Adults und drei junge Menschen mit Behinderung, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen.“
Die ersten beiden Episoden von „Hameln“, die sich gerade im Schnittraum befinden, werden eine FSK 12 haben. „Wir mussten aber nicht so viel ändern. Aber auch da konnten wir noch eine Menge Dinge machen, die man früher nicht machen konnte“, sagte Rohmann. Geplanter Start des Formats ist Januar/Februar 2025.
Tom Schillings neue Netflix-Serie
Der frische CCO von Constantin Film für TV/Streaming, Jan Ehlert, war dann auf der Bühne für die neue Netflix-Serie „Achtsam Morden“ mit Tom Schilling in der Hauptrolle als Anwalt, der einen seiner Klienten um die Ecke bringt. „Es gibt eine ziemlich erfolgreiche Buchreihe. Wir sicherten uns die Rechte, noch bevor das Buch herauskam.“
Es gab eine etwas längere Entwicklungsphase bei dem Serienprojekt. „Am Anfang ging es darum, alle auf das gleiche Level zu bekommen, was an dieser Geschichte witzig ist und was nicht. Das hat etwas länger gedauert. Wir sind sehr fortgeschritten in der Postproduktion“, sagte Ehlert.
Auch auf der Bühne für das Projekt war Jan Bennemann, Director Series DACH. „Wir bei Netflix haben das Motto, die Welt zu unterhalten, was gar nicht so einfach ist. Was dabei hilft, ist Qualität.“ Auf die Frage, ob „Achtsam Morden“ eher auf das deutsche oder weltweite Publikum abziele, sagte er: „Wir als Content-Team denken nicht global gegen lokal. Unsere Aufgabe ist es, unser deutschsprachiges Publikum zu begeistern. Wenn sie begeistert sind, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch weltweit ankommt. Manche sagen unser schwarzer Humor ist ziemlich britisch, was auch gut rund um die Welt reist.“
Eine der Regisseurinnen des Projekts ist die aufstrebende Filmemacherin Martina Plura, die gerade auch mit ihrem ZDF-Film „Unsichtbarer Angreifer“ im Fernsehen zu sehen war und die Bennemann als eine Person lobte, die den Ton der Geschichte gut getroffen habe. „Es ist eine dunkle Komödie mit viel schwarzem Humor. Man will wirklich wissen, wie es weitergeht.“