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Mickey Paatzsch & Arkadij Khaet zu „Chabos“: „Kein Sozialdrama, sondern mittendrin“


Das Regie-Drehbuch-Duo Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch startet jetzt mit der ZDFneo-Serie „Chabos“ auf dem Seriencamp Festival durch, bevor das Format später im Jahr im ZDF zu sehen ist. Ein Interview über die triste Schönheit des Ruhrgebiets, Außenseitertum und dass Nostalgie nie zum Selbstzweck eingesetzt werden darf.

Chabos
V.l.: Das Regie- und Drehbuch-Duo Mickey Paatzsch (l.) und Arkadij Khaet (r.) mit „Chabos“-Gaststar Domian in der Mitte (Credit: Frank Dicks/ZDF)

Die ZDFneo-Serie „Chabos“ ist inspiriert vom BBC-Original „Ladhood“, trägt aber viele Ihrer eigenen Jugenderfahrungen in sich. Wie haben Sie diese Geschichte entwickelt?

Arkadij Khaet:
Die BBC kam auf uns zu und sagte: „Schreibt mal alles auf, woran ihr euch aus dem Jahr 2006 noch erinnern könnt – und wir geben euch dafür sogar noch Geld.“ So war es nicht ganz, aber so hat es sich zumindest für uns angefühlt. Und dann haben wir angefangen. „Chabos“ basiert auf Erlebtem, Erinnertem und Ausgedachtem. Und zwar in genau dieser Mischung – wie ein halbwahrer, halbgelogener Freundschaftsmythos, den man sich spät nachts auf dem Balkon erzählt. Was uns wichtig war: diese Jungs nicht als Problemfälle oder Klischee-Gang zu zeigen, sondern als das, was sie wirklich waren – unfertige Menschen mit großer Klappe und noch größerem Herzen. Jungs, die sich hinter Coolness und Codes verstecken, weil sie sonst nicht wissen, wohin mit ihren Gefühlen. Kein Sozialdrama, sondern mittendrin. Mit Witz, Tempo und Schmerz. Die Vorlage „Ladhood“ war dabei der Auslöser, der uns daran erinnert hat, dass unser jugendliches Chaos vielleicht doch dramaturgisch verwertbar ist.

Mickey Paatzsch: Lea Gamula, damals Producerin bei BBC Studios, kam mit der Idee auf uns zu, die britische Serie „Ladhood“ zu adaptieren. Uns überzeugte vor allem die Grundidee: Ein Millennial blickt auf seine Jugend in den 2000er-Jahren und die damals begangenen Fehler zurück. Uns fiel aber auch auf, was das Original nicht leistet: die beiden Zeitebenen dramaturgisch zu verknüpfen und horizontal zu erzählen. In den letzten Minuten des Coming-of-Age-Klassikers „Stand by Me“ wird mit wenigen Sätzen angedeutet, was aus den jugendlichen Protagonisten geworden ist. Das war immer berührend – und viel zu kurz! Diese Grundspannung, die auch jedem Klassentreffen innewohnt – Was ist aus den Menschen unserer Jugend geworden? – haben wir in „Chabos“ ins Zentrum gestellt.

Sie beide lernten sich beim Kölner Filmstudium kennen. Was schätzen Sie am jeweilig anderen? Wie ergänzen Sie sich auch beim Regie führen und dem Drehbuch schreiben?

Mickey Paatzsch: „Chabos“ ist ein eigener Mix aus Spaß und Drama. Wir auch! Arkadij bringt mehr Spaß, ich mehr Drama. Trotz aller Unterschiede gibts genug Gemeinsamkeiten. Neulich waren wir zusammen in einer Sneak-Preview und fanden den Film beide doof. Schade. Unser kreativer Geschmack liegt nah genug aneinander, dass man ähnliche Dinge gut findet und weit genug auseinander, dass eine kreative Reibung besteht.

Arkadij Khaet: Wir teilen dieselbe Abneigung gegen langweilige, erwartbare Geschichten. Und diese Geschichten werden besser, wenn sie zwei Gehirne durchlaufen, die beide den gesamten Kontext kennen und immer mitdenken. Man wird unmittelbar gezwungen, sich selbst zu hinterfragen, ohne jedes Mal einen Machtkampf zu führen. Wir diskutieren lautstark, aber niemals vor anderen. In der Öffentlichkeit wird jede Idee verteidigt, als ob es die eigene wäre. Regie führen wir ähnlich: Wir teilen uns die Arbeit nicht auf wie ein Beamter, sondern führen gemeinsam. Nach über zehn Jahren wissen wir, wann der andere übernehmen muss und wann wir beide besser still sind. Zusätzlich ist Mickey ein guter Autofahrer und ich habe keinen Führerschein. Ich wüsste nicht, wie ich beim Film ohne ihn funktionieren würde. Das ist praktisch, wie metaphorisch gesprochen.

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Auf den Spuren von Larry Clarks „Kids“: die jungen Protagonisten in der ZDF-Serie „Chabos“ (Credit: ZDF, BBC Studios Germany)

Wie war die Erfahrung, mit BBC Studios Germany und dem ZDF zusammenzuarbeiten?

Mickey Paatzsch: Es war mutig von BBC Studios und ZDF uns als jungen Filmemachern die Chance zu geben „Chabos“ umzusetzen. Gemeinsam mit Lea Gamula und Nina Sollich haben wir das Projekt von der Idee bis zum fertigen Drehbuch entwickelt. Mit Kristl Philippi vom ZDF hatten wir eine sehr respektvolle und kluge Sparringspartnerin an unserer Seite, die das Projekt auf vielen Ebenen geprägt hat. Auch in der filmischen Umsetzung wurde uns von unserer Produzentin Eva Holtmann großes Vertrauen entgegengebracht – wir konnten die Serie so realisieren, wie wir es für richtig hielten. Dafür sind wir dankbar und hoffen, der Mut seitens ZDF und BBC Studios wird mit Zuschauer*innen belohnt – und schafft Raum für weitere gewagte Projekte.

Arkadij Khaet: BBC Studios und das ZDF – das war wie eine transnationale Ehe: unterschiedliche Sprachen und Gewohnheiten, aber ein gemeinsames Ziel. Ich habe viel gelernt – über Timing, über Prozesse, über die Kunst, gleichzeitig britisch höflich zu bleiben und dabei deutsch gründlich zu arbeiten. Gorgeous!

„Das Ruhrgebiet ist visuell reich, gleichzeitig völlig untererzählt.“

Die Serie wurde in Köln und Duisburg gedreht und feiert jetzt zudem ihre Premiere auf dem Seriencamp Festival in Köln. Was verbindet Sie mit dem Bundesland Nordrhein-Westfalen?

Arkadij Khaet: Ich wurde im Kleinkindalter von meinen Eltern ins Ruhrgebiet verschleppt. Lange Zeit dachte ich, überall in Deutschland sei es so schön wie hier – graue Fassaden, verwaiste Industrieflächen und Innenstädte voller liebenswerter Fehlplanung. Erst während meines Studiums in Ludwigsburg habe ich gemerkt: Nee, ist es nicht. Ich machte täglich Striche an die Wand meines WG-Zimmers, bis ich zurück in den Pott durfte. Duisburg ist hässlich und arm. Es ist dreckig und hängt in peinlich folkloristischer Weise an der Erinnerung von Kohle- und Stahlindustrien, die Menschen und Umwelt gleichermaßen zerstört haben. Aber genau deshalb hat es Charakter. Plump – ja. Aber ehrlich. Duisburg ist eine Stadt, die deutlich besser ist als ihr Ruf. Hier sind die filmischen Bilder noch nicht gentrifiziert, und wir wollten diese unverbrauchte Kulisse nutzen. Das Ruhrgebiet ist visuell reich, gleichzeitig völlig untererzählt – und als Filmemacher viel reizvoller als der hundertste Drohnenshot über Kreuzberg.

Mickey Paatzsch: Und dann ist da noch Köln. Das ist keine erstklassige Stadt, aber in der zweiten Liga spielt sie ganz vorne mit. Duisburg und Köln tun nicht so, als wollten sie gefallen. Genau unser Setting: ausdrucksstark und ungeschönt. Wir sind beide in NRW aufgewachsen, haben hier studiert und unsere ersten gemeinsamen Kurzfilme gedreht. Besonders Köln verbinden wir mit dieser Zeit. Für uns ist es also der perfekte Ort, um die Premiere von „Chabos“ zu feiern.

Ihr Protagonist Peppi wird nicht zum Klassentreffen eingeladen, was die Handlung ins Rollen bringt. Inwiefern spiegelt dieses Außenseitertum auch Ihre eigenen Erfahrungen?

Arkadij Khaet: Ich glaube, viele Menschen tragen dieses latente Außenseitergefühl mit sich herum – besonders, wenn man kreativ arbeitet. Man schaut automatisch immer ein bisschen von außen rein. Und genau da entstehen oft die besten Geschichten. Aber bei Peppi geht’s weniger ums klassische Außenseitertum, sondern um etwas viel Gemeineres: das Gefühl, bewusst ausgeschlossen worden zu sein. Er wurde weggelassen, gelöscht – und das merkt er. Und was noch schlimmer ist: Er versteht sogar, warum. Peppi weiß von Anfang an, dass es konkrete Gründe geben könnte, warum man ihn nicht dabeihaben will – weil er Menschen verletzt hat. Es geht um die Frage: Was bleibt von uns übrig, wenn die anderen sich irgendwann entscheiden, ohne uns weiterzumachen? Genau da setzt „Chabos“ an – in dieser Schwebe zwischen verletztem Stolz und ehrlichem Blick in den Spiegel.

Mickey Paatzsch: Warum Peppi nicht eingeladen wird, bleibt natürlich ein Geheimnis. So viel sei aber verraten: Es liegt nicht daran, dass er ein Außenseiter war – im Gegenteil. Peppi war eher ein Mitläufer, der im Zuge dessen so manche Jugendsünde begangen hat. Oft sind es die Außenseiter von damals, die bei Klassentreffen plötzlich die spannendsten Geschichten erzählen. Sie waren schon immer individuell und haben ihr eigenes Ding gemacht. Mein inneres „Außenseitertum” hätte ich im Rückblick gerne viel mehr ausgelebt.

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Der Cast der ZDFneo-Serie „Chabos“, die später im Jahr im ZDF zu sehen ist (Credit: ZDF, BBC Studios Germany)

Sie, Herr Khaet, wurden noch in der damaligen Sowjetunion resp. dem heutigen Moldawien geboren. Ihre Familie emigrierte nach Deutschland, Sie lebten zwischenzeitlich aber auch in Israel. Können Sie mit dem Begriff „Migrationshintergrund“ etwas anfangen? Würden Sie sagen, dass Biografien wie die Ihre in der deutschen Filmbranche heute selbstverständlicher geworden sind, als das früher noch der Fall war? 

Arkadij Khaet: Ich glaube, Identität wird sehr stark von außen konstruiert: Ich wurde – je nach Kontext – schon immer unterschiedlich anmoderiert. Früher war ich deutsch-russischer Regisseur, dann irgendwann jüdischer, seit dem Russland-Ukraine-Krieg bin ich Moldawe. In Israel war ich „Germanit“, und jetzt werde ich über den Ruhrpott gefragt. Ich finde das Gefühl interessant, wenn man immer wieder neu als „von woanders“ gelesen wird – obwohl man längst mittendrin steckt. Und trotzdem: Dieser biografische Rucksack macht auch frei. Man muss nie so tun, als hätte man eine klare Identität – und kann auch hin- und herwechseln. Ob solche Biografien heute selbstverständlicher sind? Vielleicht. Sicherlich besser kapitalisierbar, und sie werden gern ausgestellt – was wiederum andere Probleme mit sich bringt: Diversität hat mittlerweile einen gewissen Marktwert, aber wirklich selbstverständlich ist sie noch lange nicht. Es gibt nach wie vor Stereotypen, Schubladen – und das wohlmeinende Staunen, wenn jemand mit Migrationsgeschichte plötzlich nicht nur über Migration erzählen will. Und wehe, man will einfach nur eine gute Serie machen, in der es nicht um Identität geht – dann gucken alle verwirrt. Die deutsche Filmbranche tut gern so, als sei sie offen und divers – solange die Diversität nicht Regie führt, produziert oder Entscheidungen trifft. Aber gut, vielleicht muss man sich erst mal zehnmal beweisen, bevor man auch mal mittelmäßige Filme drehen darf. Ich glaube, was sich verändert hat, ist der Mut, auch mal das Erwartbare zu verweigern. Es reicht nicht mehr, nur die „Identität“ auszuleuchten – wir wollen auch über Liebe, Jugendkultur und Klassentreffen schreiben. Und das tun wir jetzt. Mit Migrationshintergrund oder ohne.

„Nostalgie entsteht, wenn wir Unbehagen an der Gegenwart empfinden.“

Die Serie spielt auf zwei Zeitebenen: der Gegenwart und in die Prä-Smartphone-Ära der frühen 2000er-Jahre. Es gibt prominente Gastauftritte von Ikonen wie Domian oder Sabrina Setlur. Welche Rolle spielt die Nostalgie in Ihrer Generation?

Arkadij Khaet: Nostalgie entsteht, wenn wir Unbehagen an der Gegenwart empfinden. Dabei denken wir zurück und verklären die Vergangenheit. Nostalgie ist etwas, woran man sich festhält, wenn man nicht weiterweiß. Dabei darf sie niemals Selbstzweck sein. Sie macht sichtbar, wie viel sich verändert hat – und wie wenig. Wenn heute jemand sagt: „Früher war alles besser“, meint er meistens: „Früher war ich jünger.“ Wenn man in die 00er-Jahre blickt, stellt man schnell fest: Früher war wirklich alles schlechter – außer die Zukunft. Und trotzdem: Als wir begonnen haben, uns gedanklich in die 00er-Jahre zu begeben und zu recherchieren, haben wir festgestellt, dass wir vor einer verschlossenen Auster sitzen, die filmisch noch nicht geöffnet wurde. Die 00er-Jahre – it’s a gift that keeps on giving.

Mickey Paatzsch: Nostalgie im Film kann starke Gefühle auslösen – birgt aber auch die Gefahr, die Vergangenheit zu verklären oder einfach nur abzubilden. Mit „Chabos“ wollten wir nicht nur reproduzieren, sondern die gesellschaftlichen und popkulturellen Phänomene der 2000er hinterfragen. Nostalgie muss wehtun – aber sie soll auch Spaß machen. So haben wir versucht, den Zeitgeist dieser Ära lebendig werden zu lassen; mit allen Stars und Gadgets, die dazugehören. AO schreit das ICQ!

Die Fragen stellte Michael Müller