Fortsetzung des Sensationserfolgs von 2019, die unmittelbar an „Joker“ ansetzt und Arthur Fleck im Gefängnis von Arkham die Bekanntschaft von Harley Quinn machen lässt.
FAST FACTS:
• Einer der ganz großen Toptitel im Kinorestjahr 2024
• Mit Spannung erwartete Fortsetzung von „Joker“ aus dem Jahr 2019
• Wieder mit Oscargewinner Joaquin Phoenix, diesmal zusammen mit Lady Gaga
• Blockbuster-Regisseur Todd Phillips sitzt wieder auf dem Regiestuhl
• „Joker“ verkaufte im Oktober 2019 4,1 Mio. Tickets in Deutschland; weltweites Einspiel: 1,1 Mrd. Dollar
• „Joker“ gewann außerdem den Goldenen Löwen und Venedig plus zwei Oscars (bei elf Nominierungen)
• Weltpremiere im Wettbewerb der 81. Mostra in Venedig
CREDITS:
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 138 Minuten; Regie: Todd Phillips; Drehbuch: Todd Phillips & Scott Silver; Besetzung: Joaquin Phoenix, Lady Gaga, Brendan Gleeson, Catherine Keener, Zazie Beetz; Verleih: Warner Bros.; Start: 4. Oktober 2024
REVIEW:
That’s entertainment! Dass muss man Todd Phillips neidlos zugestehen: Eier hat er. Radikaler, konsequenter, gewagter und überraschender kann man sich die Fortsetzung des einzigen Films, der jemals den Hauptpreis bei einem A-Festival gewinnen und zudem weltweit mehr als eine Milliarde Dollar einspielen konnte, kaum vorstellen. Wie er dieses irre Ding am Studio vorbeigeschmuggelt hat, darüber werden künftig Bücher geschrieben. Wobei man nicht vergessen darf, dass „Joker“ 2019, als er in Venedig den Goldenen Löwen gewinnen konnte, längst kein garantierter Hit war, schon gar nicht, nachdem man gesehen hatte, was der davor auf Komödien („Hangover“ und Co.) abonnierte Phillips mit seinem Standalone-Film aus dem DC-Comics-Universum für ein unnachgiebiges Brett hingelegt hatte: zu diesem Zeitpunkt einer der gewagtesten Studiofilme seit Jahren, der durch das Prisma der Batman-Welt einige der großen kontroversen amerikanischen Filme der Siebzigerjahre evozierte, insbesondere „Taxi Driver“ und „King of Comedy“. Wer indes von einer Kopie sprach, hatte nicht genau hingesehen: „Joker“ nutzt Elemente und Haltung dieser Filme als Grundlage, auf die er seine bittere Vision aufbaut.
Wenn überhaupt, dann ist „Joker: Folie à Deux“ noch gewagter, eine erneute Erinnerung daran, dass Warner Bros. das Studio ist, für das bahnbrechende Klassiker wie „Bonnie & Clyde“, „The Wild Bunch“, „Clockwork Orange“, „Der Exorzist“, „Beim Sterben ist jeder der Erste“ oder „Natural Born Killers“ entstehen konnten. Was man diesmal nicht mehr hat, ist das berauschende Gefühl der Entdeckung: Jetzt kennt man die Welt, die der Filmemacher und sein Star Joaquin Phoenix, der für seine Darstellung des Arthur Fleck einen Oscar als bester Schauspieler gewinnen konnte, für den faszinierendsten aller Batman-Bösewichte ersonnen haben, eine Metropole am Abgrund, die auf einen echten Regen wartet, der all den Abschaum von den Straßen waschen wird. Davon weichen sie nicht ab, darauf bauen sie auf. Um dann Wege zu gehen, eine Richtung einzuschlagen, die dem einen oder anderen Fan vielleicht vor den Kopf schlagen werden, aber stimmig sind und im Einklang mit Todd Phillips’ Vision und unterstreichen, dass „Joker“ vor fünf Jahren eine Ursprungsgeschichte erzählt hat, deren Fortsetzung nicht den üblichen Handlungsmustern folgt und die vor allem eingefleischten DC-Comics-Fans den Boden unter den Füßen wegziehen dürfte.
Allzu viel sollte man nicht verraten. Aber wie die bereits veröffentlichten Trailer schon andeuten, wird es sich um eine Liebesgeschichte handeln, zwischen Arthur Fleck, der nach den Ereignissen des ersten Films nach seinen fünf Morden in Arkham vor den Toren von Gotham City als krimineller Geisteskranker einsitzt, und Harley Quinn, die Arthur auf einem der Gänge der Anstalt erstmals in einer Gesangsgruppe sitzen sieht und sofort eine verwandte Seele sieht. Harley bringt die Musik in Arthurs Leben. „Folie à Deux“ als Musical zu bezeichnen würde vielleicht zu weit gehen, aber wie in den großen Klassikern des Genres wie „Vorhang auf!“ oder „Singin‘ in the Rain“, die hier immer wieder als Referenz herangezogen werden, erfüllen die vielen eingesetzten Standards auf dem American Songbook stets einen dramaturgischen Zweck, sind mit viel Feingefühl ausgewählt worden, um Einblicke in den nicht selten labilen Gemütszustand der Titelfigur zu gewähren, seinen Fantasien Bild und Ton zu verleihen. Todd Phillips greift damit das Ende von „Joker“ auf, als Joaquin Phoenix den Song „That’s Life“ von Frank Sinatra rezitierte, der auch hier wieder leitmotivisch zum Einsatz kommt.
Wie die altbekannten Songs von Burt Bacharach, den Bee Gees, den Carpenters oder Billy Joel indes eine neue völlig neue Bedeutung annehmen, wenn man sie durch die Augen von Arthur Fleck sieht, sorgt für elektrisierende Szenen. Nicht zuletzt, wenn Joaquin Phoenix in versierten Choreographien gemeinsam mit Lady Gaga vor der Kamera steht, die eine großartige Harley Quinn abgibt, sich im Verlauf der Handlung nicht zu der Figur entwickelt, wie man sie aus den Comics kennt, sondern eine völlig andere Bedeutung für die Geschichte annimmt: Ihre trainierte Stimme ergänzt sich verblüffend gut mit der nicht ausgebildeten Singstimme von Phoenix, erzählt auch viel über die Dynamik ihrer Beziehung, die Anziehungskraft und Macht, die Harley über Arthur besitzt. Der Showstopper ist schließlich – Überraschung! – „The Joker“ aus dem Musical „The Roar of the Greasepaint – The Smell of the Crowd” (am besten bekannt wohl in der Version von Sergio Mendes): „There’s always a funny man in the game / But he’s only funny by mistake / Everyone laughs at him, just the same / They don’t see his lonely heartbreak”.
Die Rahmenhandlung bildet indes der Prozess gegen Arthur: Während draußen vor dem Gerichtshaus sich die Massen im Joker-Kostüm zusammenrotten, um auf den großen Knall zu warten, will Bezirksanwalt Harvey Dent den Angeklagten überführen. Das ist manchmal etwas langatmig geraten, entfaltet aber dann den nötigen Sog, als die Handlung sich auf das eigentliche Thema des Films zuspitzt: der Kampf um die Seele von Arthur Fleck. Hier verdichtet sich, was ein kurzer Animationsfilm im Stil der Looney Tunes ganz zu Beginn des Films, realisiert von dem französischen Filmemacher Sylvain Chomet („Das große Rennen von Belleville“), bereits als Leitmotiv andeutet. Hier befindet sich der Joker auf dem Weg zur Bühne im ständigen Clinch mit seinem Schatten, der nichts Gutes im Schilde führt und dafür sorgt, dass sein eigentlicher Herr von einem Trupp Polizisten verprügelt wird, was zur Überblendung in den Realfilm führt. „Joker: Folie à Deux“ ist ein Film, der innerhalb seiner Parameter große Risiken und Wagnisse eingeht, der in einer so klaren Linie auf eine Auflösung zusteuert, über die man reden wird. Wie man vor fünf Jahren über „Joker“ geredet hat, nur dass die Fortsetzung eine völlig andere Agenda verfolgt und den ersten Film retroaktiv in einem ganz anderen Licht dastehen lässt. That’s entertainment!
Thomas Schultze