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REVIEW VENEDIG: „Babygirl“

Abgründiger Psychothriller über eine erfolgreiche Business-Managerin, die sich wider besseren Wissens auf eine gewagte Affäre mit einem Praktikanten einlässt.

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„Babygirl“ von Halina Reijn (Credit: Niko Tavernise)

CREDITS:
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 114 Minuten; Regie & Drehbuch: Halina Reijn; Besetzung: Nicole Kidman, Harris Dickinson, Antonio Banderas, Sophie Wilde, Esther McGregor; Verleih: Constantin Film; Start: 16. Januar 2025

REVIEW:
Wenn man von Halina Reijn nur die erste Hollywoodregiearbeit kennt, die pechschwarze Teeniehorror-Anordnung „Bodies Bodies Bodies“ von 2022, wird man sicherlich überrascht sein von der Abgründigkeit und Ernsthaftigkeit, mit der „Babygirl“, der erste Beitrag der niederländischen Schauspielerin im Wettbewerb eines A-Festivals, gewagt wie bei einem fortwährenden Drahtseilakt die Untiefen weiblicher Sexualität auslotet. Wer indes schon Reijns Regiedebüt kannte, das in Deutschland nur als Videopremiere bei Plaion (immer eine Qualitätsempfehlung) erschienene erotische Psychodrama „Instinct – Gefährliche Begierde“ mit Carice van Houten aus dem Jahr 2019, der wird ihren dritten Spielfilm als Rückkehr zu alter Form ansehen: „Bodies Bodies Bodies“ ist die Aberration; „Instinct“ und „Babygirl“ sind die engen Verwandten, beides durchaus provokative und sicher auch kontroverse Versuche, gezielt und konsequent dahin zu gehen, wo Sex gefährlich ist, ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.

Die erwachsenen Frauen in den Filmen von Halina Reijn sind faszinierende, großartige Figuren. Sie sind selbstbewusst, kompliziert, widersprüchlich, manchmal überfordert, voller Bedürfnisse und Fantasien, schwach, stark, das ganze menschliche Spektrum rauf und runter. Und man kann die Augen nicht von ihnen nehmen. Schon doppelt nicht, wenn sie von Nicole Kidman gespielt werden. Und schon gleich dreimal nicht, wenn das letzte Logo noch gar nicht ausgeblendet ist und man schon die Geräusche von intensivem Sex hört: Wir erleben Nicole Kidman als Romy beim Vögeln mit ihrem Ehemann, dem von Antonio Banderasgespielten Theaterregisseur Jacob. Und sehen sie schon gleich danach, wie sie sich aus dem Bett stiehlt und zum Orgasmus masturbiert, während sie sich geheim billige Unterwerfungspornographie ansieht. Romy ist, nun ja, eine komplizierte Frau. Weil ihre sexuellen Fantasien so überhaupt nicht zu korrelieren scheinen mit ihrem Leben als glückliche Familienmutter mit zwei pubertierenden Töchtern und schon gar nicht mit ihrem Berufsleben als taffe Gründerin und Geschäftsführerin eines florierenden Technologiekonzerns, der Roboter konzipiert, die das Leben der Menschen einfacher gestalten sollen. 

Sie ist eine summa cum laude Yale-Abgängerin, der Inbegriff einer Erfolgsfrau, ein Vorbild für andere Frauen, weltgewandt, elegant, immer top gekleidet und überzeugend. Sie gibt sich keine Blöße. Und ist doch zutiefst unbefriedigt, hat noch nie einen Höhepunkt beim Sex mit ihrem Mann gehabt, obwohl sie ihn abgöttisch liebt. Dann tritt Samuel in ihr Leben, ein junger Jedermann, in einer irren Szene. Auf dem Weg zur Arbeit in ihrem atemberaubenden Büro in einem Wolkenkratzer von Manhattan erlebt Romy mit, wie ein Dobermann einen Mann attackiert, um dann zielstrebig und muskulös auf sie zuzurennen – und dann blitzartig stehenbleibt und handzahm wird, als Samuel ein strenges Kommando ruft. Wie es ihm gelungen sei, den Hund zu bändigen, wird Romy ihn später fragen. Weil er immer einen Keks bei sich trage, wird er antworten. Und fragen, ob sie denn auch einen wolle. Das charakterisiert perfekt die heikle Beziehung, auf die sich die Geschäftsfrau mit ihrem neuen Praktikanten einlassen wird. Obwohl sie weiß, welche Probleme sie damit heraufbeschwört. Obwohl sie weiß, dass nichts Gutes kommen kann von diesem bizarren Machtspiel, dem sie sich unterwirft. Und doch kann sie nicht anders, auch wenn es womöglich ihren Untergang bedeuten wird.

„Babygirl“ ist eine bewusste und gekonnte Variation der Erotikthriller der Achtziger- und Neunzigerjahre, anspielungsreich und gewagt, eine Umkehrung der altbekannten Tropen, ein weiblicher Gegenentwurf zu den ausgeprägten Männerfantasien eines Joe Eszterhas, ein moderner „Enthüllung“, keine Altherrenfantasie, nur dass die Frauen hier in der eigentlichen Machtposition sind und auch am Ende nicht zerstört werden. Worum es geht, ist die Erfüllung der Gefahr, das Ausleben tief gehegter Bedürfnisse, wobei Halina Reijn wie schon in „Instinct“ so clever ist, sich nicht in die Karten sehen zu lassen, nie wirklich zu klären, was Samuels wahre Motive sein könnten: Harris Dickinson, der schon in „Triangle of Sadness“, „The White Lotus“ und „Murder at the End of the World“ souverän Szenen gestohlen hat, ist eine Offenbarung in dieser Rolle, geschmeidig und animalisch, entspannt und dominant, wunderbar die Balance haltend zwischen unbedarftem Jungen und geschicktem Manipulator. Er ist Verführer und Brandstifter, Dompteur und Streicheltier. Und genau das, was Romy gefehlt hat. Wenn er dann in einer Montage zu den Klängen von George Michaels „Father Figure“ zu tanzen beginnt, ist ohnehin alles zu spät.

Fortwährend wird man als Zuschauer überrascht und gezwungen, sich mit seiner eigenen Rolle als Voyeur auseinanderzusetzen in diesem jederzeit überzeugenden, fast immer begeisternden Film voller Überraschungen, der einen immer wieder in Staunen versetzt, wie weit die großartige Nicole Kidman bereit ist, in ihrer schwierigen Rolle zu gehen. Sie macht in ihrer Darstellung keine Gefangenen, wie der Film selbst auch keine Gefangenen macht und für sich definiert, wie ein überzeugendes erotisches Drama in den Nachwehen von #metoo aussehen kann. Ein bisschen muss man sogar an Zulawski denken, an Borowczyk, an den Louis Malle von „Verhängnis“, nur dass Halina Reijns Film kein Todestrip ist (schmunzelnd referenziert sie „Hedda Gabler“), sondern eine Reise ans Licht, auch wenn man weiß, was mit Ikarus passiert ist, als er der Sonne zu nahe kam.

Thomas Schultze