Kurzweilig war auch die Pressekonferenz mit Luca Guadagnino und seinem „Queer“-Cast um u.a. Daniel Craig, Leslie Manville, Jason Schwarzman und Drew Starkey. Auch J. W. Anderson war da. Der Modedesigner und Creative Director von Loewe (aktuell gibt es eine ziemlich coole Kampagne mit, natürlich, Daniel Craig; der Flughafen in Venedig ist zugepflastert damit ;-)) zeichnet nämlich für das fantastische Kostümbild des Films verantwortlich. Es ist die zweite Zusammenarbeit von Guadagnino und Anderson nach „Challengers – Rivalen“.
Nach seinem elektrisierenden Liebesdreieck mit der Welt des Profi-Tennis als Background, taucht Luca Guadagnino in „Queer“ nun ein in die Welt von William S. Burrouhgs, der die 1985 erschienene Vorlage lieferte. Das Buch begleitet den italienischen Filmemacher, dessen „Challengers“ eigentlich die Mostra 2023 hätte eröffnen sollen, dann aber vom Studio aufgrund des Hollywoodstreiks zurückgezogen wurde, schon sehr lange. „Als ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe, war ich 17 Jahre alt“, erzählte Guadagnino in der Pressekonferenz in Venedig. „Ich war ein einsamer Junge aus Palermo, der davon träumte, Welten durch Kinofilme zu erschaffen. Ich las dieses dünne Buch und es hat mich auf Anhieb gepackt, ich war hin und weg von der lebhaften Vorstellungskraft dieses Schriftstellers, den ich davor nicht kannte. Diese tiefgehende Beziehung, die er beschrieb zwischen diesen beiden Charakteren, ohne jegliche Verurteilung hinsichtlich ihres Verhaltens oder ihres Lebensstils. Es geht um die Romantisierung des Abenteuers, eines Abenteuers mit jemanden, den man aufrichtig liebt. All das hat mich verändert, für immer. Und weil ich diesem 17-jährigen Jungen treu bleiben wollte, habe ich immer daran gedacht, diese Geschichte irgendwann zu verfilmen.“
Luca Guadagnino hofft, dass das Publikum am Ende des Films mit einer Vorstellung von sich selbst aus dem Kino kommt, sich mit Fragen beschäftigt wie: Wer sind wir, wenn wir alleine sind, nach wem suchen wir, wen wollen wir an unserer Seite? Ganz egal, wer man ist. Ob ein Heroinabhängiger in Mexico City – einem Mexico City, das übrigens nur in der Vorstellung der Figur so existiert -, egal, ob man Männer oder Frauen liebt, ganz egal. Wer ist man, wenn man allein ist in diesem Zustand und man zurückbleibt mit dem Gefühl, wie man sich in jemand anderen verliebt hat.
Auf die Frage, wie die intimen Szenen zwischen Hauptdarsteller Daniel Craig und Drew Starkey entstanden sind, wie sich die beiden darauf vorbereitet haben, scherzte Craig zunächst: „Ah, da können wir doch zur nächsten Frage springen.“ Dann erzählte er, dass es viele Monate vor Drehstart bereits Proben gegeben habe. „Mit jemandem Tanzen ist zum Beispiel ein großartiges Tool, um einander kennenzulernen. Und wenn man Sexszenen dreht, das wissen ja wohl alle hier im Raum, gibt es keinerlei Intimität. Man befindet sich an einem Set mit jede Menge Menschen um einen herum.“ Das Anliegen aller sei gewesen, diese Szenen so berührend, so echt, so natürlich wie möglich sein zu lassen. „Und Drew ist ein wunderbarer, fantastischer Schauspielkollege.“ Dieses Lob gab dieser sofort zurück und erzählte, dass sie sehr intensive Bewegungsproben absolvierten mit dem Choreograph des Films, „Mit diesen Bewegungsproben haben wir uns nicht nur auf die intimen Szenen vorbereitet, sondern generell, um uns frei fühlen zu können in unseren Rollen. Wenn man sich gemeinsam auf dem Boden rollt und wälzt, ist das eine gute Methode, um jemanden kennenzulernen“, so Starkey.
Für Drehbuchautor Justin Kuritzkes war es eine große Ehre, den Roman von Burroughs zu adaptieren und wieder mit Luca Guadagnino zusammenzuarbeiten. „Wir kannten uns von ‚Challengers‘. Ich habe sofort Ja gesagt, auch wenn ich zunächst keine Ahnung hatte, wie ich diese Vorlage in ein Drehbuch gießen könnte. Aber ich hatte eine Vorstellung davon, wie sich ein Burroughs Buch anfühlt. Ich kannte einiges von ihm wie ‚Naked Lunch‘ und die ‚The Yage Letters‘, ‚Queer‘ jedoch nicht. Ich war sehr überrascht, dass es eine so aufrichtige Liebesgeschichte ist. Mich hat beschäftigt, wie ich diese Liebesgeschichte in den Fokus des Films stellen kann und gleichzeitig all das, was Burroughs und das Buch ausmachen, nicht zu vernachlässigen.“
Auf die Frage, was die Zusammenarbeit mit J.W. Anderson auszeichnet, sagte Guadagnino nur: „Am liebsten würde ich alle Filme mit ihm machen. Und er kann machen, was immer er will.“ Anderson erzählte, dass „Queer“ eines seiner Lieblingsbücher sei. „Außerdem ist Luca der einige Mensch in der Filmbranche, mit dem ich zusammenarbeiten kann. Er ist für mich der einzige, der allen Beteiligten totales Vertrauen schenkt und es zulässt, dass jeder seinen Farbtupfer einbringt. Bei ‚Queer‘ war es mir ein Anliegen, etwas anderes zu erschaffen als bei ‚Challengers‘. Mir war es wichtig, dass alles historisch korrekt ist. Das heißt, wir hatten jedes Teil in nur einer Ausführung.“ Da grätschte Craig rein und sagte: „Das war hart, ich musste aufpassen, keinen Kaffee über den Anzug zu schütten.“ Mit Luca habe man den Ehrgeiz, etwas zu Erschaffen, was eine Langlebigkeit besitzt, so Anderson abschließend. Guadagnino skizzierte Andersons Gabe mit den Worten: „Jonathan ist ein Meister seines Fachs außerhalb der Kinowelt. Wenn es dann darum geht, das Kostümbild für eine Kinogeschichte zu entwerfen, ist er total fokussiert darauf, dass die Figuren und die Geschichte zu keiner Zeit überschattet werden. Er setzte sich intensiv mit der Welt von William S. Burroughs auseinander, überlegte sich, welche Anzüge er getragen haben könnte und fand ein Bild für diesen luziden Stil der Kleidung, die im Buch beschrieben wird. Bei der Zusammenarbeit mit Jonathan geht es nicht nur um die Ästhetik, sondern immer auch um die tiefgründige Erforschung der Figuren und der Geschichte.“
Stellte „Queer“ eine größere Herausforderungen dar als seine anderen Filme, beziehungsweise wie unterschied sich die Arbeit an „Queer“ von seinen anderen Filmen? Guadagnino erzählte, dass es ein ziemlich einfacher, aufrichtiger Prozess gewesen sei, „dank des fantastischen Teams, das mich unterstützte. Die Arbeit war freudvoll, voller Spaß, aber auch melancholisch und manchmal kompliziert, weil wir die Welt nicht on location drehen konnten, sondern in den Cinecittà Studios in Rom waren.“ Über allem sei der Wunsch gestanden, „wirklich einen Burroughs-Film zu machen. Deshalb haben wir unser Bestes gegeben, diese Welt zu durchdringen, eine Welt, die in vielen, vielen seiner Bücher aufgebaut wird. Während Burroughs diese Welten mit Wörtern baute, waren wir vor der Herausforderung, sie zu visualisieren, sie zu Leben zu erwecken in Kinobildern. Ich habe mich also gefragt, welcher Kanon in der Kinogeschichte mir nahesteht, welcher hier zu mir spricht. Das waren eindeutig Powell und Pressburger, diese großen britischen Filmemacher, die einige der wichtigsten Werke der Filmgeschichte hervorgebracht haben. Bei ihnen ging es nämlich auch einzig und allein um die Erschaffung von Bilderwelten, einer freudvollen Phantasiewelt. Ich habe mir vorgestellt, wie Powell und Pressburger sich an die Adaption von ‚Queer‘ gemacht hätten. Wir haben uns von dieser Textur und diesem intellektuellen Blickwinkel genähert.“
Und natürlich wurde auch in der PK von „Queer“ wieder eine ziemlich überflüssige Frage gestellt, auf die Luca Guadagnino glücklicherweise super reagiert hat. Als eine Kollegin wissen wollte, ob Daniel Craig als ehemaliger James Bond und Superstar keine Bedenken hatte, die Rolle des Lee in ‚Queer‘ zu spielen und ob er sich vorstellen könnte, dass es auch einen schwulen James Bond geben könnte, sagte Guadagnino: „Leute, lasst uns in diesem Raum bitte wie Erwachsene benehmen! Es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass niemand jemals die Wünsche von James Bond kennen wird. Punkt. Wichtig ist nur, dass er seine Missionen ordentlich anpackt.“
Aus Venedig berichten Barbara Schuster & Thomas Schultze