Bei der KINO 2025 wurde schon am ersten Tag sehr unverblümt über die Herausforderungen gesprochen, denen sich der Kinomarkt gegenübersieht. Einige davon zu adressieren, liegt in den Händen der neuen Regierung. SPOT unterhielt sich mit Carolin Lindenmaier vom HDF über eine politische Selbstverpflichtung, das Bild des Kinos in der Presse – und eine Botschaft an den neuen Kulturstaatsminister.

Stellen wir erst einmal nur einen Namen in den Raum: Jon Voight.
Carolin Lindenmaier: Ein Name, der mich erst einmal schmunzeln lässt – aber ich denke, wir sprechen nicht über die Goldene Himbeere, sondern seine Rolle als „Hollywood-Sonderbotschafter“. Sagen wir es positiv: Es ist bemerkenswert, welcher Raum der Filmwirtschaft in aktuellen Debatten eingeräumt wird.
Nun lässt sich aktuell nicht sagen, in welche Richtung es gehen wird, aber zumindest der US-Präsident hat sich gegenüber dem Ausland erst einmal mit ausgesprochen kämpfersicher Rhetorik positioniert. Wie sehr lässt so etwas auch auf Kinoseite aufhorchen?
Carolin Lindenmaier: Selbstverständlich verfolgen wir das sehr aufmerksam. Aber ich denke man muss sich dem Thema auch mit ein wenig Gelassenheit und Vertrauen widmen. Wir sollten uns nicht von jedem politischen Wind die Tür zuschlagen lassen. Wir haben in der Vergangenheit oft genug gesehen, wie großspurige Ankündigungen wieder einkassiert wurden, auch in diesem Fall ist man nach dem allerersten Vorstoß wieder auf die Bremse getreten. Das heißt nicht, dass wir uns nicht schon unmittelbar nach den allerersten Zolldrohungen mit unseren politischen Partnern beraten hätten. Aber aktuell lässt sich nicht sagen, wohin die Reise geht.
Richten wir den Blick ins Inland: Seit ein paar Tagen haben wir eine neue Regierung, aber zumindest der Koalitionsvertrag lässt nicht ad hoc darauf schließen, dass es in der Filmpolitik zu einem Kurswechsel zulasten der Kinowirtschaft kommen könnte. Wie beurteilen Sie das Papier?
Carolin Lindenmaier: Ein Koalitionsvertrag ist schon ein besonderes Papier. Es ist noch kein Gesetzestext, aber doch eine Art politische Selbstverpflichtung, die naturgemäß voller Kompromisse ist, die sich oft auch in kleinsten Formulierungen verbergen. Da muss man sehr genau hinsehen. Dies im Hinterkopf behaltend, bin ich eigentlich recht zufrieden mit dem, was sich darin zur Kinowirtschaft findet. Denn unsere zentrale Forderung nach einer verlässlichen Investitionsförderung für Kinos findet sich dort klar wieder. Das ist ein wichtiges Signal, denn es zeigt, dass die neue Regierung die strukturellen Herausforderungen unserer Branche erkannt hat. Natürlich geht es jetzt darum, sich aktiv dafür einzubringen, dass diese Ansätze in praktische Maßnahmen übersetzt werden. Aber der Grundton stimmt schon mal – und das ist entscheidend für den weiteren Dialog.
Welche Botschaft würden Sie dem neuen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer gerne vermitteln?
Carolin Lindenmaier: Auch anhand dessen, was er gerade auf der Bühne des Deutschen Filmpreises gesagt hat, habe ich den Eindruck, dass ihm der Erfolg des deutschen Films am Herzen liegt. Für uns geht es zuallererst darum, bewusst zu machen, dass über den Erfolg des deutschen Films an der Kinokasse entschieden wird. Wer will, dass die Filmbranche als Ganzes in Schwung kommt, der muss vom Publikum her denken. Nicht nur, was die Inhalte anbelangt, sondern auch mit Blick auf die Infrastruktur. Umso mehr freuen wir uns, dass sich Staatsminister Weimer mit der neuen Regierung für eine verlässliche Investitionsförderung einsetzt. Entscheidend ist dabei vor allem der Rahmen, den eine solche Förderung setzt. Mit einem solchen Programm – nennen wir es gerne „Zukunftsprogramm Kino Plus“ – müssen künftig mehr Standorte erreicht werden. Dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass Kinos mehr sind als ein Motor der Filmwirtschaft. Denn florierende Kinos beleben ihre Innenstädte und Regionen wie kaum ein anderes kulturelles Angebot.
„Ein Hebel, an dem die Kinos selbst aktiv werden können“
In Vorbereitung für unser Gespräch kam mir ein Interview ins Gedächtnis, dass Sie 2022 einem Sender gaben, der sie mit Aussagen wie „Ist das Konzept Kino überhaupt noch vertretbar in Zeiten von Energiekrise und geringer Auslastung?“ oder „Es hat sich herausgestellt, dass das Kino durch Heimkino ersetzbar ist“ konfrontiert hat. Aussagen, die leider ins Bild dessen passen, wie die Presse Kino allzu oft zu titulieren scheint: als Auslaufmodell. Sehen Sie das anders?
Carolin Lindenmaier: Nein, ich stimme absolut zu, dass so etwas durchaus tendenziös klingt. Leider scheinen sich – aber das betrifft beileibe nicht nur das Kino – negative Schlagzeilen immer besser zu verkaufen als positive Nachrichten. Aber das gibt uns die Gelegenheit zu reagieren – und zum Glück wissen es die Kinobetreiberinnen und Kinobetreiber besser. Sie haben in der Vergangenheit schließlich immer und immer wieder unter Beweis gestellt, wie resilient ihr Geschäftsmodell ist. Verwunderlich finde ich solche Aussagen dennoch, denn tatsächlich stellt sich immer wieder heraus, dass nicht nur wir der Ansicht sind, dass es etwas komplett anderes ist, ob man einen Film zuhause im TV oder auf dem Laptop ansieht oder eben im Kino. Sondern vor allem, dass das Publikum so denkt, schauen wir doch aktuell nur auf die sensationellen Zahlen, die „Konklave“ rund ein halbes Jahr nach Kinostart geschrieben hat. Es geht um die Fokussierung auf den Film, um das Eintauchen in eine andere Welt. Schon das ist in den heimischen vier Wänden nicht annähernd vergleichbar. Hinzu kommt die große Leinwand, der tolle Sound – und für mich immer auch das leckere Popcorn. Und natürlich vor allem der gesellschaftliche Aspekt, das Gemeinschaftserlebnis. Dass man darüber bei Abgesängen auf das Kino immer wieder hinwegsieht, verblüfft mich schon. Schließlich käme niemand auf die Idee, die Gastronomie totzusagen, nur weil die Menschen auch zuhause kochen oder Lieferdienste in Anspruch nehmen können.
Vielleicht sogar passend zum miserablen letzten Wochenende wurde die provokante Frage „Dauerkrise als neues Normal?“ gleich im ersten Top-Thema des Kongresses gestellt. Wie ernst ist die Lage?
Carolin Lindenmaier: Wir sind uns sicherlich einig bei der Feststellung, dass das Kino schon immer sehr schwankungsanfällig war. Mal boomt es, dann fehlt wieder der rechte Knaller, die Temperaturen schießen in die Höhe – und schon gehen die Zahlen in den Keller. Die Marktteilnehmer sind sich dieser Dynamik selbstverständlich bewusst, dennoch variiert die Stimmung gerne mal zwischen ‚himmelhoch jauchzend‘ und ‚zu Tode betrübt‘, je nachdem, in welche Richtung das Pendel gerade ausschlägt. Ich denke die Kunst liegt darin, eine Art übergeordnete Konstante auszumachen und darauf strategisch zu reagieren. Und ja, jetzt gerade muss es darum gehen, wie wir das Kinogeschäft auch bei durchaus veränderten Besuchszahlen rentabel bekommen. Das ist in keiner Form ein Aufruf zur Schwarzmalerei, aber es ist ein klares Statement: Kino muss sich weiterentwickeln. Technisch wie inhaltlich, Eventisierung ist ein entscheidendes Schlagwort. Das Schöne ist doch: Die Fülle der Möglichkeiten ist geradezu unbegrenzt, wer hätte denn gedacht, dass sich „Stricken im Kino“ zu einem derartigen Renner entwickeln würde, mit dem tatsächlich auch ganz neue Publikumsschichten angesprochen werden? Das ist ein wunderbares Paradebeispiel dafür, wie Kinos auf Publikumswünsche reagieren, wie sie zuhören und flexibel reagieren. Darin steckt enormes Potenzial.
Christine Berg hatte in ihrem Interview zum Kongress nicht zuletzt den steigenden Kostendruck thematisiert. Stellt er die eigentliche Bedrohung dar?
Carolin Lindenmaier: Es ist völlig richtig, dass sich das Kino an dieser Stelle wachsenden Herausforderungen gegenübersieht. Auf der anderen Seite ist das ein Hebel, an dem die Kinos selbst aktiv werden können. Auf das Filmangebot haben wir keinen Einfluss, aber bei den Betriebskosten gibt es durchaus Felder, die man adressieren kann – was übrigens oft Hand in Hand mit mehr Nachhaltigkeit geht. Unter dem Strich wollen wir natürlich auch ein wenig aufrütteln. Den Stillstand darf nicht eintreten.
Was steht nun für die kommenden Monate ganz oben auf Ihrer Agenda?
Carolin Lindenmaier: Als Verantwortliche für die politische Kommunikation des Verbandes geht es für mich jetzt natürlich zuallererst darum, die Kontakte zu den neuen Gesprächspartnern aufzubauen bzw. bestehende zu vertiefen. Ziel ist es, eine gewisse Leidenschaft für das Kino zu entfachen, denn wenn Entscheidungsträger für etwas brennen, steigen die Chancen für einen Einsatz in unserem Sinne. Das ist eine Aufgabe, die ich natürlich nicht allein übernehmen muss, nicht zuletzt unsere Kinobotschafter helfen ganz zentral dabei mit, dass der Kinofunke überspringt. Vorderstes Anliegen ist für uns, wie schon eingangs gesagt, ein Kinoinvestitionsprogramm. Dieses im Haushalt zu verankern – und das finanziell so ausgestattet, dass wir die Breite der Kinolandschaft damit erreichen – ist erst einmal unser größtes und wichtigstes Ziel.