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Gesine Mannheimer und Saskia Vömel: „Das Pendel kann noch in beide Richtungen ausschlagen“

„Verunsicherung“ ist derzeit noch eines der häufigsten Schlagworte, die fallen, wenn es um die geplante Förderreform geht. Unser Gespräch mit den Geschäftsführerinnen der AG Verleih bildet da keine Ausnahme. Der klare Appell für Nachjustierungen im Reformwerk und baldige Planungssicherheit geht einher mit einem positiven Ausblick auf spannende Projekte, darunter nicht zuletzt den International Film Distribution Summit.

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Gesine Mannheimer und Saskia Vömel, die Geschäftsführerinnen der AG Verleih (Credit: Sebastian Barz)

Kommende Woche geht das Filmförderungsgesetz in die Erste Lesung im Bundestag, am 7. Oktober tagt der Kulturausschuss. Soweit sind wesentliche Eckdaten klar. Dennoch hat sich kurz nach Ende der parlamentarischen Sommerpause noch wenig daran geändert, dass wesentliche Säulen der Förderreform noch mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden sind. Anlässlich der Filmkunstmesse Leipzig sprachen wir mit den Geschäftsführerinnen der AG Verleih, Gesine Mannheimer und Saskia Vömel, über ihren Blick auf den Fortgang des Reformprozesse und den Stellenwert, der dem Verleih nach derzeitigem Stand im Gesamtkonstrukt zukommt. Daneben werfen wir einen Blick auf kommende spannende Projekte – darunter vor allem den International Film Distribution Summit.

Die unabhängigen Verleiher auch auf Verbandsebene zu begleiten und die Zukunft mitzugestalten, war Ihnen nach eigenem Bekunden eine Herzensangelegenheit. Lässt sich zwei Jahre nach Amtsantritt sagen, dass sich Ihre Erwartungen an die Tätigkeit erfüllt haben?

Gesine Mannheimer: Absolut. Natürlich sprechen wir von einem stetigen Lernprozess, gerade in diesen Schlüsseljahren rund um eine Förderreform, die jetzt noch einmal in eine besonders intensive Phase eintritt. Die politischen Prozesse zu begleiten und tatsächlich die Chance zu haben, ein derart ambitioniertes Vorhaben mitzugestalten, macht bei aller Anstrengung auch Spaß. Selbst wenn man hautnah erfährt, wie langsam Dinge mitunter vorangehen können…

Saskia Vömel: Ich freue mich tatsächlich sehr, dass wir gerade in einer so entscheidenden Phase unseren Beitrag leisten können. Jetzt gilt es einmal abzuwarten, was uns am Ende erwartet, momentan hat das ja noch etwas von einer Wundertüte.

…die ja leider mitunter für Enttäuschungen stehen. Mit welchen Erwartungen ist man nach der Vorlage erster konkreter Eckpunkte zur Förderreform im Februar 2023 denn in diesen Prozess gegangen – und wie fällt Ihr Fazit zum aktuellen Stand aus?

Saskia Vömel: Diese Eckpunkte hatten damals wirklich aufhorchen lassen. Auch wir hatten uns darüber gefreut, dass das System auf revolutionäre Weise neu aufgestellt werden soll, dass man den deutschen Film und seine Auswertung entschieden stärken will, dass man in diesem Kontext versprach, gerade auch die Förderung von Kino und Verleih zukunftsfähig aufzustellen. Kurz gesagt: Dass man alle Bestandteile im Kontext betrachten will. Wir hatten wirklich gehofft, dass Einigkeit darüber besteht, dass man Zielgruppen auch kleinteilig erreichen muss, um guten Filmen die nötige Aufmerksamkeit und damit ihr Publikum zu verschaffen. Und wir dachten natürlich, dass Anfang 2025 alles steht. Schließlich war man mit diesem Timing angetreten. Jetzt sind es nur noch rund drei Monate, bis die Reform abgeschlossen sein soll. Und der Stand der Dinge ist: Angefangen von der Frage der Ausstattung von Fördertöpfen über jene nach dem Punktewert in der Referenzförderung bis hin zu jener nach möglichen Übergangsregeln fehlen uns bzw. unseren Mitgliedern elementare Informationen, um zu planen, um zu kalkulieren. Momentan vergeht fast kein Tag, an dem nicht ein Mitglied um Rat fragt, wie man Herausbringungsbudgets für das nächste Jahr kalkulieren oder wie man mit der Unterzeichnung eines DFFF-Verleihvertrags verfahren soll. Weil man nicht weiß, wie die künftigen Regeln aussehen werden. Das bremst gerade vieles massiv aus.

Gesine Mannheimer: Saskia hat es schon angeschnitten. Die Prämisse war doch, dass man deutlich mehr Besuche für den deutschen Film generieren will – und dass dafür auch entsprechend mehr Gewicht auf die Bereiche Verleih, Vermarktung und Abspiel entfallen soll. Bislang sind wir aber das Gefühl nicht losgeworden, dass der Diskurs ausgesprochen produktionsfokussiert geführt wird. Selbstverständlich hoffen wir, dass die Produktionsbedingungen über eine sinnvolle und in sich geschlossene Kombination der vier Säulen aus FFG-Reform, Steueranreizmodell, Investitionsverpflichtung und kultureller Filmförderung signifikant verbessert werden können. Aber wir müssen den Finger in die Wunde legen, denn für den Verleih vermögen wir den Plan noch nicht zu erkennen. Dass zu einem Zeitpunkt, zu dem unsere Mitglieder längst ihre Kampagnen und Budgets für 2025 planen müssen, noch so viele wesentliche Punkte ungeklärt sind, ist gelinde gesagt schwierig.

Saskia Vömel: Und nicht nur das. An den Stellen, an denen sich die FFG-Novellierung konkret beurteilen lässt, sehen wir keine Verbesserung, im Gegenteil. Wenn man die Referenzförderung anhand des FFG-Entwurfs grob durchrechnet, wird klar, dass der Verleih schlechter dasteht als vorher. Das steht diametral zu dem, womit Claudia Roth angetreten war. Auf Basis der Berechnungen, die wir verleihseitig durchgeführt haben, sehen wir einen 35-prozentigen Anteil des FFA-Topfes für Verleihförderung als zwingend an. Wohlgemerkt: Nur um zumindest auf den alten Status Quo zu kommen. So wie die Dinge stehen, müssen wir leider zu der Erkenntnis gelangen, dass sich die Rolle des Verleihs manchen wichtigen Akteuren immer noch nicht in ausreichendem Maße erschließt. Verleih zu sein, bedeutet nicht, ein paar Rechte von A nach B zu schieben und noch ein wenig Werbung zu schalten. Es ist eine immens komplexe, herausfordernde Arbeit, die unverzichtbar ist. Denn der beste Film wird ohne die Arbeit des Verleihs kein Publikum finden. Das ist einfach so.

„Nimmt man ein wesentliches Element heraus, kippt die Sache.“

Saskia Vömel

Nun gibt es die Überlegung, den Verleih beim Steueranreizmodell mitzudenken. Gesetzt den Fall, dass sich das überhaupt umsetzen lässt – würde es auch den kleineren Unternehmen helfen? (Das Gespräch fand statt, bevor BKM-Referatsleiter Jan-Ole Püschel diesbezügliche Erwartungen bei der Filmkunstmesse klar ausbremste; Anm.d.Red.)

Gesine Mannheimer: Zunächst einmal ist festzustellen, dass die FFA allein für unsere Mitglieder nie ausgereicht hat, um ihre Budgets aufzustellen. Sie haben schon immer auch die kulturelle Filmförderung der BKM benötigt. An dieser Stelle scheint zwar ein gewisser Optimismus angebracht, aber in trockenen Tüchern ist noch nichts. Wir hoffen auf einen Topf von 2,5 Mio. Euro für die Herausbringung von Filmprojekten – aber mehr als eine Hoffnung ist das noch nicht. Unabhängig davon wäre eine Berücksichtigung beim Anreizmodell als automatische und damit planbare Säule ein erheblicher Gewinn. Sicherlich würde ein Unternehmen davon umso mehr profitieren, je größer es ist. Aber es wäre für alle Verleiher eine große Hilfe, denn es würde eine gewisse Sicherheit geben. Schließlich wird die kulturelle Säule als selektive, jurybasierte Förderung stets mit Unwägbarkeiten verbunden bleiben.

Saskia Vömel: Zur Frage, ob das Modell umgesetzt wird, möchte ich noch ergänzen: Wir sprechen von einem Förderkonzept, das gezielt auf mehreren Säulen aufsetzt, die untereinander verknüpft sind und gegenseitige Wechselwirkung entfalten. Nimmt man ein wesentliches Element heraus, kippt die Sache. Insofern können wir aktuell nur von ganzem Herzen hoffen, dass dieses Steueranreizmodell Realität wird und zudem auch für den Verleih als Antragsteller greift. Was nützen steuerlich finanzierte Kinofilme, die dann keinen Verleih haben, der diese auch wirksam beim Publikum sichtbar machen kann? Ob das Steueranreizmodell tatsächlich eine Chance hat, die Unterstützung der Länder zu finden? Wir wissen es derzeit schlicht nicht. Es gibt sehr viel, was an dieser Stelle noch schiefgehen kann – als gesetzt gilt doch im Augenblick eigentlich nur, dass es höchstwahrscheinlich nicht zum 1. Januar kommt. Und das verschärft die Planungssituation nur weiter.

Wie blickt man denn auf den weiteren Prozess? Überwiegt der Optimismus oder doch die Sorge, dass der Zug noch aus den Schienen springt?

Gesine Mannheimer: Sorge ist natürlich sehr präsent. Was auch daran liegt, dass es in diesem Prozess kaum etwas Verlässliches gibt. Wir haben unzählige Gespräche geführt, bei denen man den Eindruck gewinnen musste, dass verstanden wurde, dass der Prozess von der Idee bis zur Auswertung zwingend als Ganzes betrachtet werden muss. Allerdings stellte man wiederholt fest, wie sehr Partikularinteressen bedient wurden. Sei es bei der Verteilung von Fördergeldern oder, um ein besonders frappierendes Beispiel zu benennen, den Verwertungsfenstern, die plötzlich wieder auf den Tisch kommen. Es gab leider sehr viele Gelegenheiten, bei denen man dachte, einen Schritt weiter zu sein, nur um dann zurückgeworfen zu werden. Gut, das ist Politik. Aber es löst natürlich Unsicherheit aus – zumal innerhalb eines rasant schrumpfenden Zeitrahmens Entscheidungen getroffen werden müssen. Wie viele Kompromisse wird man dafür eingehen müssen? Und an welcher Stelle? Das sind die Fragen, die sich uns in diesen entscheidenden Wochen stellen.

Saskia Vömel: Das FFG dient nicht der Förderung von Serien und Streaminginhalten. Sondern der des Kinofilms. Dementsprechend ist es zwingend, Kinos und Verleih im Blick zu haben. Natürlich benötigen wir gute Filme, natürlich sind produzentische Interessen wichtig. Aber wie will man Kinofilme wirklich fördern, wenn man nicht an deren Auswertung denkt?

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Die Kampagnenarbeit für den Arthouse-Hit „The Zone of Interest“ war ein Highlight für die Agentur Jetzt & Morgen (Credit: Sebastian Gabsch)

Wie tief sitzt der Schmerz seitens der AG Verleih denn beim Thema Sperrfristen-Regelung im FFG-Entwurf?

Saskia Vömel: Tief. In unsere Rolle als Geschäftsführerinnen der AG Verleih sind wir quasi mit den Debatten rund um die Branchenvereinbarung eingestiegen. Was wir erlebt haben, war ein langwieriger Prozess. Aber doch einer, bei dem beeindruckte, wie sehr die Stakeholder in der Lage waren, aufeinander zuzugehen, Kompromisse zu finden. Dass dieser hart erkämpfte Konsens seitens der Politik zerschlagen wurde, finden wir schon entmutigend. Wir verstehen, dass es in Verhandlungen ein Geben und Nehmen ist, aber die Branche hatte mit der Branchenvereinbarung gezeigt, dass sie in der Lage ist, gemeinsame Lösungen zu finden, starke Partikularinteressen haben dies zunichte gemacht.

Gesine Mannheimer: Bei vertikal integrierten Konzernen mag das etwas anders sein. Aber für unabhängige Verleiher ist ein gesichertes Auswertungsfenster elementar, um ein Geschäftsmodell zu haben, mit dem es sich lohnt, deutsche Filme herauszubringen. Wenn dieses Fenster immer weiter aufgeweicht wird, wird es schwierig. Nicht nur für die Akteure. Sondern für die Filme selbst. Denn wer soll sich ihrer annehmen, wenn die Chance auf ein Recoupment immer weiter schwindet?

Bei aller berechtigen Kritik am Prozess: Kann man zumindest den Eindruck gewinnen, dass die BKM bemüht ist, vor dem Hintergrund einer mehr als angespannten Haushaltslage etwas für die Branche herauszuholen?

Saskia Vömel: Natürlich haben auch wir mitbekommen, wie intensiv in den Haushaltsverhandlungen darum gerungen wurde, etwas für die kulturelle Filmförderung herauszuholen. Engagement ist da, das stellt wohl auch niemand in Abrede. Nichtsdestotrotz muss man hohe Ansprüche haben. Es geht um nichts weniger als um die Zukunft der Auswertung deutscher Kinofilme – und diese Förderreform ist das zentrale Tool, um die Weichen richtig zu stellen. Uns ist klar, dass es gerade in der aktuellen politischen Konstellation nicht einfach ist, solchen Themen gerecht zu werden. Aber seitens der Koalition stehen die Ankündigungen und Versprechen im Raum – und es ist unsere Aufgabe, deutlich auf die weißen Flecken hinzuweisen. Es geht dabei nicht darum, irgendjemanden ein Scheitern vorhalten zu wollen. Sondern um konstruktive Beiträge, die nicht zuletzt auf der Hoffnung fußen, dass sich noch etwas bewegt und dass die Reform den Ankündigungen gerecht wird.

Gesine Mannheimer: Dass man die kulturelle Säule offenbar aufstocken kann, freut uns natürlich, wobei bis zum endgültigen Haushaltsbeschluss noch nichts in trockenen Tüchern ist. Es ist ein sonderbarer Zustand gerade, vor allem, weil man einfachnicht planen kann. Das Pendel kann noch in beide Richtungen ausschlagen. Umso wichtiger ist es gerade, dranzubleiben, Geschlossenheit und Stärke zu zeigen. Das wiederum gelingt nur über enge Vernetzung.

„Momentan stehen wir an einem Punkt, an dem eine „Jetzt erst recht!“-Mentalität herrscht“

Gesine Mannheimer

Nicht nur in diesem Sinne darf man den jüngst umbenannten International Film Distribution Summit IFDS wohl durchaus als Leuchtturmprojekt betrachten – sondern gerade auch dahingehend, dass diese Veranstaltung wie kaum eine zweite, das illustriert, was bereits angesprochen wurde: die Komplexität der Verleiharbeit.

Gesine Mannheimer: Das ist in der Tat ein ganz wunderbares Projekt und ein tolles Tool. Schließlich gibt es viele Gelegenheiten, bei denen man als Branche zusammenkommt und sich über diverse Themen austauscht. Aber eine tatsächlich auf den Verleih fokussierte Veranstaltung gab es vor dem IFDS nicht, obwohl die Bandbreite der Themen immens groß ist. Mit der ersten Auflage 2022 wurde eine echte Lücke geschlossen – das sehen wir auch an der Zusprache für dieses Event. Gerade für Unternehmen, die das Jahr über sehr tief im Tagesgeschäft verwurzelt sind, ist es eine ideale Gelegenheit, sich in fokussierter Form über neue Strategien und Ansätze, Best-Practice-Beispiele und innovative Lösungen zu informieren und auszutauschen. Das gelingt umso besser im Zusammenspiel mit dem European Work in Progress. IFDS und EWiP stehen gemeinsam dafür, engagierte Menschen und innovative Projekte zusammenzubringen, aktiv mitzugestalten und dabei auch Stellung zu beziehen, zu zeigen, wofür man steht – seitens der AG Verleih natürlich nicht zuletzt die kulturelle Vielfalt im Film.

Saskia Vömel: Dieser Deep-Dive in die Facetten der Verleiharbeit ist wirklich etwas Besonderes, insbesondere dank des Fokus auf Innovation und neue Zukunftsmodelle. Es gibt schon eine ganze Reihe an Projekten, die sich direkt aus diesem Austausch entwickelt haben – und wir gehen natürlich davon aus, dass sich das fortsetzt.

Wie gelingt es eigentlich, gerade in einem branchenpolitisch derart zentralen Jahr noch Kräfte für die eigene Unternehmung – die Agentur Jetzt & Morgen – aufzubringen?

Saskia Vömel: Wir lieben die Kampagnenarbeit für Kinofilme, die Netzwerkarbeit zu gesellschaftspolitischen Themen, die Chance, sich dafür ins Zeug zu werfen, Akteure zusammenzubringen und Filme ins Bewusstsein zu rücken. Das ist tatsächlich die Quelle unserer Kraft: Die Leidenschaft dafür, Menschen für wichtige Themen zu begeistern, den Diskurs zu fördern und damit gemeinsam mit den Verleihern und Kinos im Idealfall auch etwas zur Demokratiebildung beizutragen. In Orten, die für eine offene und diverse Gesellschaft und deren Austausch elementar sind. Wir sind wirklich dankbar, über Jetzt & Morgen eine solche Rolle spielen zu können.

Ist diese Arbeit, das Einstehen für eine offene Gesellschaft und für Demokratie, denn zuletzt schwieriger geworden?

Gesine Mannheimer: Momentan stehen wir eher an einem Punkt, an dem eine „Jetzt erst recht!“-Mentalität herrscht, an dem die Motivation noch viel stärker ist, mit Film zu arbeiten, um gesellschaftlich etwas Positives zu bewirken. Aber natürlich macht man sich Gedanken darüber, was geschieht, wenn sich Machtverhältnisse noch weiter in die falsche Richtung verschieben, wenn Kräfte bei der Verteilung von Geldern mitentscheiden, die ganz andere Vorstellungen davon haben, wie eine Gesellschaft aussehen sollte. Und es ist durchaus so, dass wir immer wieder Alarmsignale von Partnern hören, bei denen sich politische Konstellationen schon negativ ausgewirkt haben, gerade wenn es um Erinnerungsarbeit oder Projekte für den demokratischen Zusammenhalt geht. Aber momentan ist die Kraft jener, die sich engagiert dagegenstemmen, zum Glück noch viel größer.

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Preisträger des International Innovation Distribution Award 2023: Enrique Costa, Gründer und Geschäftsführer von Elastica Films mit Laudatorin Sabine Chemaly. 2024 geht der IDS frisch umbenannt als IFDS – International Film Distribution Summit in die dritte Runde.

Saskia Vömel: Wir planen übrigens ganz aktuell erstmals zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar kommenden Jahres einen Kinotag unter dem Motto „Nie wieder ist jetzt!“ in Kooperation mit der Stiftung EVZ – und führen dazu am Rande der Filmkunstmesse Leipzig erste konkrete Gespräche. Wir wollen an diesem Tag ganz explizit den Raum Kino nutzen, um zu zeigen, welche Wege es bei Erinnerung und Aufarbeitung gibt. Angedacht ist zunächst ein Start in Berlin, Frankfurt und Rostock, ab 2026 wollen wir dann mit einer bundesweiten Etablierung beginnen. Ziel ist es, mit dieser Aktion gerade auch in der Fläche präsent zu werden – und gerade auch dort, wo es nicht einfach ist. Denn man muss alle Möglichkeiten nutzen, um dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen.

Zu den großen Projekten, die Jetzt & Morgen in jüngerer Vergangenheit begleitet hat, zählt „The Zone of Interest“. Nun mag Leonine kein Mitglied der AG Verleih sein – aber sagt ein solcher Erfolg etwas Grundsätzliches über den Markt aus?

Saskia Vömel: Zunächst einmal wollen wir uns natürlich herzlich bei Leonine für deren Vertrauen bedanken. Wir haben den Film über einen sehr langen Zeitraum betreut und haben große Freiheit in der Kampagnenarbeit genossen. Natürlich ließ sich in diesem Zeitraum beobachten, wie sich alle Bausteine ineinanderfügen, bis hin zur Oscar-Kampagne. Aber am Ende des Tages zu sehen, welche Massen ein solches Thema bewegen kann, ist einfach nur großartig – und auch wichtig. Nicht nur für sich genommen. Denn Erfolge wie dieser oder auch jener anderer Arthouse-Hits der jüngeren Vergangenheit wie „Systemsprenger“, „Sterben“ oder „Die Unbeugsamen“ schaffen Vertrauen in anspruchsvolle künstlerische Filme. Auf allen Seiten. Dass sich das Publikum Filmen stellt, die es herausfordern, damit aber auch bereichern, ist von zentraler Bedeutung. Dass es geschieht, ist wunderbar – aber man muss stets den Aufwand sehen, der hinter solchen Erfolgen steckt. Denn selbst ein so fantastischer Film wie „The Zone of Interest“ muss den Zuschauerinnen und Zuschauern erst einmal nahegebracht werden, braucht glaubwürdige Empfehlung, Einbettung und Gütesiegel.

Gesine Mannheimer: Der ganze Markt schaut darauf, was funktioniert und was nicht. Auch deswegen sind diese Filme so wichtig, die einer ganzen Branche zeigen, dass mehr geht als nur leichtes Bombast-Entertainment. Filme, die das Gefühl geben, dass es sich lohnt, sich für vermeintlich schwierige Themen ins Zeug zu werfen.

Kurz vor unserem Gespräch fand das diesjährige Kinofest statt. Hat sich die AG Verleih zu den Ergebnissen schon eine konkretere Meinung abseits der gemeinsamen Mitteilung der Verbände gebildet?

Gesine Mannheimer: Dass es so großen Zuspruch gefunden hat, finden wir natürlich erst einmal super, auch wenn die Hoffnung bleibt, dass ein Kinofest auch einmal von weniger phänomenalem Wetter begleitet werden könnte, damit die Zahlen mal so richtig durch die Decke gehen. Aus Sicht der AG Verleih ist aber natürlich festzustellen, dass in erster Linie Filme profitieren, die eher von Majors als von unseren Mitgliedern verliehen werden. Was unsere Filme anbelangt, waren die Effekte zuletzt ausgesprochen überschaubar. Das liegt sicherlich auch daran, welche Kinos an diesem Kinofest teilnehmen und wie man es platziert – die Ausrichtung ging speziell in diesem Jahr sehr klar in Richtung Familien, dementsprechend hat man in diesem Segment auch die mit Abstand höchsten Zuwächse gesehen. Vielleicht sind die fünf Euro als Kernargument auch etwas, das im Arthouse-Segment nicht so gut zieht wie in anderen Bereichen, vielleicht bräuchte es auch noch mehr Engagement beim Rahmenprogramm – wobei es natürlich Betreiber gibt, die an dieser Stelle schon absolut vorbildlich agieren; was zum Beispiel Christopher Bausch und sein Team in Frankfurt auf die Beine stellen, ist großartig. Unter dem Strich sprechen wir von einem langfristigen Projekt, bei dem man vielleicht noch einen Weg findet, um es auch im Arthouse noch stärker zu verankern. Momentan jedenfalls unterstützen unsere Mitglieder das Kinofest primär wegen der Sache selbst, weniger wegen des direkten Nutzens, den sie daraus ziehen.

Saskia Vömel: Wir überlegen natürlich ständig, was einen konkreten positiven Effekt auf die Filme unserer Mitglieder und die Kinos, die sie zeigen, haben könnte. Von daher blicken wir jetzt besonders gespannt auf Cineville, das Mitte August endlich auch nach Deutschland gekommen ist. Das ist ein unheimlich interessantes Projekt. Denn es zeigt in den Niederlanden schon seit vielen Jahren – und in Österreich seit Kurzem – dass es großes Potenzial birgt, die Menschen auch für Filme zu interessieren, die sie ansonsten links liegenlassen würden. Das Publikum auf eine Entdeckungsreise abseits etablierter Marken zu schicken, ist ein immenser Gewinn. Deshalb ist Cineville auch ein Projekt, dass wir seitens der AG Verleih aus vollstem Herzen unterstützen.

Und wie sieht es mit Cinfinity als weiterem geplanten Modell aus?

Saskia Vömel: Natürlich haben wir uns auch mit dessen Initiatoren ausgetauscht. Ich bin ehrlich gesagt gespannt, wie es letztlich umgesetzt wird, schließlich ist es auch eine finanzielle Herausforderung, die da gestemmt werden will. Aber auch dieses Modell ist zunächst einmal ein vielversprechender Ansatz – und bei beiden Lösungen ist besonders erfreulich, dass sie direkt aus der Kinobranche kommen. Die Ansätze von Cineville und Cinfinity mögen unterschiedlich sein, aber am Ende zielen beide auf das ab, was wir alle wollen: Möglichst große Vielfalt auf den Leinwänden und möglichst volle Säle. Das ist der richtige Gedanke!

Was wird Sie in den kommenden Monaten abseits der Förderreform beschäftigen?

Gesine Mannheimer: Die Förderreform ist und bleibt natürlich erst einmal ein Brocken, darüber hinaus unterstützen wir natürlich intensiv den IFDS im Oktober. Wir blicken aber auch einem aufregenden Herbst bei Jetzt & Morgen mit vielen tollen Filmen und wichtigen gesellschaftlichen Themen entgegen, darunter „In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen, „Riefenstahl“ von Andres Veiel, „Vena“ von Chiara Fleischhacker oder „The Outrun“, den neuen Film von Nora Fingscheidt, die ja schon ein kleiner Fixstern in unserem Kosmos ist. Wir kümmern uns mit „Der Buchspazierer“ und „Woodwalkers“ um zwei ganz große, wunderbar gelungene Bestselleradaptionen, wo wir die Buchfans aktivieren – und ich blicke jetzt schon auf das nächste Jahr, wo neben unserem vorhin genannten Kinotag auch der Start der Buchverfilmung „Mit der Faust in die Welt schlagen“ ansteht, der einen ganz wichtigen Beitrag im kommenden politisch wichtigen Jahr dazu liefert, was empfundene Perspektivlosigkeit gesellschaftlich anrichten kann. 

Und was nehmen Sie von der Filmkunstmesse für Ihre Arbeit mit?

Saskia Vömel: Nicht zuletzt immens wichtiges Feedback. Am Ende sind die Kinos das Nadelöhr. Wenn man nicht die Kinos an der Seite hat, die an einen Film und sein Thema glauben und die sich ihrerseits dafür ins Zeug werfen, dann können wir uns auf den Kopf stellen und werden doch nicht viel bewegen. Die gegenseitige Partnerschaft macht den Unterschied – umso mehr freuen wir uns auf den Austausch. In Leipzig, in Köln und überall, wo man zusammenkommt.

Das Gespräch führte Marc Mensch