Neue Festivalleitung, neuer Wind: Das erste Filmfest Hamburg unter der Leitung von Malika Rabahallah ist live, mit einer Eröffnung, die ganz anders war wie gewohnt, aber Lust machte auf zehn Tage Feiern des Kinos mit ihrer spontanen Emotionalität und unmittelbaren Energie. Und einer fabelhaften Rede von Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda, die Bestand haben wird.
Wird jetzt alles neu? Eine unnötige Frage, weil es das ja gar nicht muss: Das Filmfest Hamburg war in den Jahren mit Festivalleiter Albert Wiederspiel immer eine sichere und zuverlässige Bank, angriffslustig und wehrhaft, politisch und engagiert. Das wird auch unter Malika Rabahallah so sein. Das hat sie im Interview mit SPOT versprochen, das hat sie nun auch bei der Eröffnung des 32. Filmfest Hamburg in drei proppevollen Sälen des Cinemaxx am Dammtor bestätigt.
Wird jetzt alles anders? Das schon eher, weil Malika Rabahallah eine andere Energie mitbringt, eine unverkennbar weibliche Energie, und einen anderen Blick bei maximaler Leidenschaft für das Kino. Bevor sie auf die Bühne kam, wurde das Publikum eingestimmt mit modern-träumerischem Elektro-Pop der Hamburger Sängerin Kuoko. Im Anschluss hatte Moderatorin Thelma Buabeng sofort die Sympathie des Publikums gewonnen mit ihrer einnehmenden und schlagfertigen Art.
Mit stürmischem Applaus wurde dann Malika Rabahallah auf der Bühne empfangen. Anstatt einer langen Rede stellte sie sich und ihre Idee vom Filmfest Hamburg in einer Art Q & A mit Thelma Buabeng vor. Sie zählte stolz ihre wichtigsten Gäste auf und begrüßte im Publikum ihre drei Schwestern, die extra aus Paris eingeflogen waren, um Rabahallah gebührend zu unterstützen an ihrem großen Abend. Auf drei Dinge freue sie sich ganz besonders, betonte die neue Festivalleiterin. Dass der Hamburger Mohammad Rasoulof mit seinem deutschen Oscarbeitrag „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ Deutschlandpremiere feiert auf dem Filmfest. Dass der Douglas Sirk Preis in diesem Jahr doppelt verliehen würde, an die großartigen Filmemacher Jacques Audiard und Andrea Arnold, die auch ihre neuen Filme, „Emilia Pérez“ („Den müssen Sie einfach gesehen haben!“ – Malika Rabahallah) bzw. „Bird“, zeigen werden. Und dass sie sich den einen großen Traum habe erfüllen können, an einem Tag des Festivals die Hamburgerinnen und Hamburger umsonst ins Kino einzuladen. Was neben den 14 Kinobetreibern nicht zuletzt auch dank der Unterstützung von Kultursenator Carsten Brosda möglich gemacht werden konnte.
Stichwort für den SPD-Politiker, unter lautem Applaus den weiten Weg auf die Bühne zu nehmen. „Wenn man schnellster Kultursenator Deutschlands googelt, kommt was anderes dabei raus“, sagte er schlagfertig als Replik auf die Ankündigung Thelma Buabengs, bei ihm handele es sich um „den beliebtesten Kultursenator Deutschlands – das habe ich gegoogelt.“ Dann legte er eine kluge, witzige, anspielungsreiche und bewegende Rede hin, die ihresgleichen sucht unter den Eröffnungsreden deutscher Filmfestivals. Brosda zitierte Lenin und Oscar Wilde, Grönemeyer („Bleibt alles anders!“) und Bernd Begemann, „Nordsee ist Mordsee“ und „Absolute Giganten“.
Lenin habe angeblich gesagt, es gebe Jahrzehnte, in denen nichts passiert, und dann gebe es Wochen, in denen Jahrzehnte passieren. „Ich weiß nicht, wie es ihnen geht“, sagte er in Anspielung auf die Großwetterlage in Deutschland und auf der Welt. „Man hat aktuell das Gefühl, dass wir permanent in solchen Jahrzehntwochen leben (…) Wenn man es in Film übersetzt, dann ist das ein bisschen so wie in einer Szene von ,Everything Everywhere All at Once‘, wenn man einfach nicht weiß, von welcher Ecke der nächste Schlag kommt. Und man vor allem nicht weiß, an welcher Stelle man aus diesem Multiversum herauskommt und wieder in der richtigen Dimension ankommt, wenn man sich so ansieht, was um uns herum passiert.“
Der September sei dann in Hamburg die nette Variante der Überforderung durch die Jahrzehntwochen, „weil wir miterleben dürfen, welch großartige Kultur wir in der Stadt haben. Wenn wir klug sind, begreifen wir das nicht nur als eine Möglichkeit nach dem Sommer wieder Zerstreuung in der Stadt zu finden, sondern begreifen es hoffentlich auch als Erinnerung daran, dass wir uns klarmachen können, wozu wir Menschen in der Lage sind, wenn wir die Kreativität und die Energie, die wir haben, versuchen, in etwas Positives zu übersetzen und uns zu fragen, was können wir damit eigentlich machen, und nicht uns zu fragen, was können wir damit kaputtmachen.“ Er freue sich wahnsinnig, Malika Rabahallah als neue Leiterin des Filmfest Hamburg auf der Bühne zu sehen: „Diese Mischung aus energiegeladenem Wirbelsturm und wohltuender Föhnluft ist etwas, was diesem Festival guttun wird. Es ist auch gar nicht so: Endlich eine Frau! Sie war einfach die Beste!“
Auch Brosda freute sich auf den Tag, an dem das Filmfest die Bürgerinnen und Bürger der Stadt einlädt, Kino umsonst zu erleben. „Natürlich auch mit dem leichten Hintergedanken, dass diejenigen, die an diesem Tag kommen, an den anderen 364 Tagen im Jahr auch ein bisschen geneigter sind, darüber nachzudenken, ob sie denn da auch kommen, und da dann gerne auch Eintritt zu zahlen. Denn so teuer ist das gar nicht. Man kann vor allem eine ganze Menge erleben, und dieses Ganzkörpererlebnis in Kinosaal ist wirklich, wirklich etwas Besonderes und etwas ganz anderes, als zu Hause auf dem Sofa auf ,Willst du die nächste Folge auch noch gucken‘ zu klicken.“ Schließlich wurde Carsten Brosda auch noch politisch, filmpolitisch. Aber das können Sie in einer eigenen Meldung nachlesen. Vor allem aber sagte er auch noch: „Das Kino strahlt!“ Und das tat gut.
Mit dem Film „Könige des Sommers“ von Louise Courvoisier wurde das Festival im Anschluss mit einem tollen Film endgültig eröffnet. Lesen Sie hier schon einmal unsere Besprechung. Es dauert jetzt nämlich noch bis Februar 2025, bis Pandora den Film in die deutschen Kinos bringt.
Aus Hamburg berichten Barbara Schuster und Thomas Schultze.