Heute ist es so weit, heute wird der Deutsche Filmpreis 2025 verliehen. In einem ersten gemeinsamen Interview sprechen Vicky Krieps und Florian Gallenberger über ihre Aufgabe als neues Präsidiums-Duo der Deutschen Filmakademie und die Themen, die ihnen am Herzen liegen.
Herr Gallenberger, Sie haben mit Vicky Krieps eine neue Kollegin an Ihrer Seite, um gemeinsam die Präsidentschaft der Deutschen Filmakademie zu führen. Warum war Sie die Richtige für die Nachfolge von Alexandra Maria Lara?
Florian Gallenberger: Als mir Alexandra Maria Lara sagte, dass sie das Amt aus beruflichen und privaten Gründen nicht mehr weitermachen könne, habe ich überlegt, wie es bei mir weitergeht und mit wem ich Lust hätte, dieses Amt weiterzuführen. Da bin ich auf Vicky Krieps gekommen. Wir hatten bei meinem Film „Colonia Dignidad“ zusammengearbeitet. Das hatte ich in unglaublich guter Erinnerung. Ich habe Vicky damals als Person kennengelernt, die unglaublich integer ist, die für das steht, was sie denkt. Und gleichzeitig ist sie ein Mensch, mit dem man sehr gut zusammenarbeiten kann. Alles Eigenschaften, die für dieses Amt sehr gut sind. Also habe ich sie angerufen und ihr von der Idee erzählt. Ich hatte ihr gesagt, dass es in der jetzigen Zeit, die mit großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen einhergeht, wichtig sei, dass Menschen in dieses Amt kommen, die aus einer Herzensüberzeugung daran arbeiten. Und Vicky sagte mir unlängst, dass genau das der Punkt gewesen sei, wo sie aus ihrer persönlichen Historie heraus gedacht hat: Ja, das muss ich machen!
Frau Krieps, was hat das mit Ihnen gemacht, die Idee „Präsidentschaft Filmakademie“?
Vicky Krieps: Was mich ansprach, war tatsächlich die politische Komponente. Eine Präsidentschaft ist eher eine Art zum Repräsentieren als Agieren. Florian hat mich da sehr erreicht und berührt, denn in Deutschland und ganze Europa geht es darum, jeden Posten mit Menschen zu besetzen, die integer sind und keine Angst haben zu sprechen und sich zu äußern. Wenn ich eine Sache über mich sagen kann, dann das: Ich spreche geradeheraus. Mich kann man nicht beeinflussen. Ich bin jemand, der zuhört, und jemand, der ehrlich antwortet und etwas im Sinne einer größeren Gemeinschaft weitertragen kann. Ich freue mich, den deutschen Film zu repräsentieren, der eine wichtige Kunstform ist, in Deutschland aber gar keinen so leichten Stand hat, weil über ihn gerne auch geschimpft wird und er angesehen wird, als sei er ein krankes Kind. Das ist er aber nicht.
„„Momentan befinden wir uns in Deutschland in einer schlechten Situation, was die Rahmenbedingungen der Filmfinanzierung anbelangt.““
Florian Gallenberger
Was sind denn die aktuell virulenten Themen aus Ihrer Sicht?
Vicky Krieps: Mich interessieren Filmbildung und Kommunikation. Das geht von Fragen, wie wir es schaffen, noch mehr mit unseren Nachbarländern zusammenzuarbeiten, wie wir uns untereinander als Filmschaffende noch besser austauschen und vernetzen können bis hin zu, wie wir das Filmhandwerk, die Tradition und das Wissen über Film schützen und wahren können, damit es auf keinen Fall verloren geht.
Florian Gallenberger: Ich habe vor allem die Filmfinanzierung im Blick. Momentan befinden wir uns in Deutschland in einer schlechten Situation, was die Rahmenbedingungen der Filmfinanzierung anbelangt. Das hätte längst schon reformiert sein sollen, kam dann aber ins Stocken, weil die Ampelkoalition zerbrochen ist. Jetzt kommt es drauf an, unter einer neuen Regierung, dass wir da endlich eine Situation kriegen, in der wir wissen, woran wir sind und die uns international konkurrenzfähig sein lässt. Davon sind wir weit entfernt. Das wirkt sich jeden Tag auf unsere Arbeit aus. Alle sind vorsichtig und haben Angst. Diese Situation führt nicht nur dazu, dass die Filme schlechter ausgestattet sind und weniger Produktionen umgesetzt werden können. Die Angst, die Sorge schlägt auch auf die Inhalte durch. Der besondere Film, der außergewöhnliche Film, der nicht nach einem bekannten Rezept entsteht, wird eben nicht gemacht. Das führt zu einer inhaltlichen Verödung. Deshalb ist es nicht nur aus produzentisch-finanzieller Sicht wichtig, dass hier endlich einmal Klarheit einkehrt, sondern auch aus inhaltlicher Warte.
Der gesellschaftspolitische Aspekt wurde angesprochen. Da spielt mit rein, dass das Kino nach wie vor unter Druck steht, dass man immer noch darum kämpft, dass die Menschen nach Corona wiederkommen, sich öffnen für den etwas anderen Film. In Ihrer Eigenschaft als Präsidenten der Filmakademie, was glauben Sie, kann die Akademie machen, damit das Kino, der deutsche Film in der Gesellschaft eine Wirkung entfalten kann?
Vicky Krieps: Erst einmal müsste man die Leute anders heranführen. Der Gang ins Kino ist nicht Teil der Kultur In Deutschland. Das ist sehr schade. Da gibt es einen Riesendefizit. Den Kindern müsste man bereits im Schulalter beibringen, wie schön es ist, ins Kino zu gehen. Und zwar nicht nur Marvel-Filme. Kinder sind eigentlich total offen. Das erlebe ich auch mit meinen Kindern, die dann positiv überrascht sind, wenn sie einen etwas anderen Film angeschaut haben. Es ist wichtig, sich nach einem Film zusammenzusetzen und zu reden. Aber auch das steckt nicht in den Adern der Deutschen, dieses gesellige Beisammensitzen, wie es in anderen Kulturen der Fall ist. Der Gang ins Kino müsste also dringend gefördert werden. Aber das benötigt Zeit. Die Filmakademie ist auf diesem Gebiet bereits tätig und organisiert Screenings. Kinogehen ist wie Sport. Wenn man nie Sport macht, verkümmern die Muskeln. Und in Deutschland ist dieser Muskel „Kinogehen“ nie trainiert worden. Andere Länder sind uns da Lichtjahre voraus.
Florian Gallenberger: Ich erinnere mich an eine Vorführung unseres Films „Colonia Dignidad“ in Frankreich vor zehn Jahren. Da waren 1200 Schulkinder anwesend. Als ich meine Überraschung äußerte, sagte man mir, dass das Teil des Unterrichts sei. In Frankreich gibt es das Fach Film – in Deutschland nicht. Die Filmakademie versucht seit Jahren, da positiv einzuwirken. Aber hier friert eher die Hölle zu, als dass man mit einem solchen Thema in die Kulturministerkonferenz gelangt. Da scheitert man an der föderalen Struktur. Es kommt hinzu, dass die deutsche Filmbranche, obwohl nicht sonderlich groß, wahnsinnig kleinteilig ist. Es ist ein inhomogenes Zusammenspiel. So gibt es in dieser Gruppe nicht den einen, der es entscheiden könnte, wie es geht. Es ist eher ein relativ unkoordiniertes Miteinander, und keiner kann diesen Weg vorgeben. Die Deutsche Filmakademie ist deshalb eine wichtige Institution, weil hier viele versammelt und vereint sind, die die Sichtbarkeit des Films voranbringen können und daran arbeiten, dass das Label „deutscher Film“ nicht vor allem kritisch gesehen wird. Darum wollen wir kämpfen.
„Die deutsche Sprache kann Gedanken Formulieren in einer Art und Weise, wie das keine andere Sprache auf der ganzen Welt kann. Das spiegelt sich auch im deutschen Filmschaffen wider, das absolut einzigartig ist.“
Vicky Krieps
Die Akademie hat mittlerweile 2400 Mitglieder und glänzt durch eine Vielstimmigkeit. Wie sieht es denn im Nachwuchsbereich aus? Und wie steht es um die neuen Talente in der Filmbranche allgemein?
Florian Gallenberger: Die Akademie führt auch den wichtigsten deutschen Nachwuchspreis durch, den First Steps Award. Da geht es nicht nur um einen Preis und Preisgeld – was natürlich auch alles wichtig ist – sondern First Steps ist längst zu einem großen Netzwerk von Menschen geworden, die von Filmhochschulen kommen, die am Anfang ihrer Karriere stehen und für die die Auszeichnung eine Brücke, einen Übergang ins professionelle Filmschaffen darstellt. Die Preisträger:innen werden zu Juniormitgliedern der Akademie. Diese Möglichkeit, so auch eine Eintrittsmöglichkeit für die Jungen zu bieten, haben wir bewusst gewählt und die wird bei uns auch gelebt. Aber grundsätzlich ist die Situation in der Filmbranche gerade so schwierig, weil sie mit so viel Unsicherheit verbunden ist. Wenn ich mich für einen Beruf entscheide, will ich davon auch leben können. In dieser unsicheren Lage macht es die filmischen Berufe nicht attraktiver. Die Akademie ist nicht die eierlegende Wollmilchsau, die alles selbst machen kann. Wir kümmern uns aber um den Nachwuchs, versuchen, zu ihm eine Brücke zu schlagen. Und wenn die Rahmenbedingungen hoffentlich bald so werden, wie wir es uns wünschen, wird die Branche auch wieder attraktiver sein, in den Filmbereich einzusteigen.
Der Deutsche Filmpreis steht an. Was sehen Sie in dem aktuellen Jahrgang der Nominierten? Wie würden Sie ihn beschreiben? Wird das deutsche Filmschaffen von den sechs nominierten Spielfilmen auch repräsentiert?
Florian Gallenberger: Diese Frage stellt sich jedes Jahr und ich finde tatsächlich, dass die Repräsentanz Jahr für Jahr gut funktioniert und so auch in diesem Jahr. Mit „Vena“ ist der kleine Nachwuchsfilm dabei, der bei First Steps ausgezeichnet wurde. Mit „In Liebe, Deine Hilde“ haben wir Andreas Dresen, einen der bekanntesten deutschen Filmemacher, dabei. „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ zeigt, wie weit das deutsche Filmschaffen ausgreift. „Köln 75“ ist ein kleinerer Film mit unglaublich guter Energie. „Islands“ kommt als Noir wieder auf eine ganz andere Art daher. Und „September 5“ ist international ausgerichtet, könnte auch ein amerikanischer Film sein. Es ist eine unglaubliche Bandbreite, groß, klein, persönlich, historisch, deutsch, international. Wunderbar. Diese Reichhaltigkeit ist auch eine Eigenschaft für deutsche Filme.
Vicky Krieps: Trotzdem stellt auch das nicht alles dar, was es im deutschen Film gibt. Das ginge gar nicht. Im Schatten passiert oft das viel Interessantere. Auch in der Kunst. Die kleinen Kunstfilme werden es ganz selten in Vitrinen schaffen. Trotzdem sind genau das die Filme, auf die ich am stolzesten bin. Als Künstlerin ist mir wichtig, dass man von seiner Arbeit leben kann, dass man hin und wieder auch eine Anerkennung bekommt. Aber man muss auch immer wieder die Dinge machen, an die man wirklich glaubt, die man nicht macht, weil man dafür belohnt werden will. Das sind die Dinge, die mich am meisten geprägt haben.
In einem Satz: Was schätzen Sie am deutschen Filmschaffen?
Florian Gallenberger: Es fällt mir schwer, das zu beantworten. Ich habe Filme in vielen verschiedenen Ländern gedreht. Wenn ich einen Film in Indien oder China mache, mache ich ihn genauso, wie wenn ich ihn in Deutschland machen würde. Und die Möglichkeit, in eine andere Person, eine andere Zeit, an einen anderen Ort zu reisen, wenn ich den Film dann sehe, das zu erleben – das ist für mich der Zauber von Kino, von deutschem wie von Kino aus anderen Ländern…
Vicky Krieps: Ich mag die Art, wie die Deutschen denken. Die deutsche Sprache kann Gedanken Formulieren in einer Art und Weise, wie das keine andere Sprache auf der ganzen Welt kann. Das spiegelt sich auch im deutschen Filmschaffen wider, das absolut einzigartig ist. Und sich vor nichts und niemandem zu verstecken braucht.
Das Gespräch führten Barbara Schuster & Thomas Schultze