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Roundtable Szenenbild: „Es ist ein Mehrwert, den unsere Arbeit bietet“


Astrid Poeschke, Melanie Raab, Matthias Müsse und Nancy Vogel sind in der Kategorie Bestes Szenenbild für ihre Arbeit an „Cranko“, „September 5“ und „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ nominiert. Welchen Stellenwert ihr Gewerk hat, erzählen sie im Interview. Verhindert war Raabs Kollege Julian R. Wagner. 

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Die Nominierten der Kategorie Bestes Szenenbild (v.l.): Nancy Vogel, Matthias Müsse, Astrid Poeschke, Melanie Raab (nicht teilnehmen konnte Julian R. Wagner) (Credit: SPOT)

Wie wichtig ist das Szenenbild für das Gelingen eines Films?

Melanie Raab: Sehr wichtig. 

Astrid Poeschke: Ja, wir sind mit die ersten, die nach Produktion und Regie kommen, um die Visualität und das Konzept eines Films vorzubereiten und die Grundsteine für den kommenden Dialog mit den Kollegen der anderen Gewerke zu legen. Wir sind zwar unserem Naturell entsprechend oft gerne hinter der Kamera. Aber wir sind sehr wichtig für das, was vor der Kamera passiert. 

Nancy Vogel: Auch für die Schauspieler:innen sind wir wichtig, weil wir ihnen mit unserer Arbeit helfen, sich in die Welt eines Films und damit auch in ihre Rollen hineinfühlen zu können. Sicher können sie auch vor einer grünen Wand spielen, aber es ist sicherlich leichter, wenn man das Umfeld hat und auf eine haptische Weise eintauchen kann in die Geschichte.

Matthias Müsse: Die wenigsten machen sich bewusst, wie komplex unsere Arbeit ist. Ich finde das immer sehr anschaulich, wenn man die Schauspieler:innen in ihren Kostümen aus dem Bild nimmt, kommt alles, was übrigbleibt, von uns: die Auswahl der Motive, die Kulissen, die gebaut werden, die Einrichtung… Das ist ein großer Baustein vom Gesamtkunstwerk. 

Melanie Raab: Es ist nicht ganz einfach, das Leuten zu vermitteln, die nichts über Film wissen. Man nimmt es als selbstverständlich hin, dass da einfach an Schauplätzen gefilmt wird. Dass wir aber selbst an Originaldrehplätzen ungeheuer viel Arbeit leisten, damit sie drehbereit sein können, kann ohne Hintergrundwissen nicht gesehen werden. 

Astrid Poeschke: Das trifft auch für viele Kollegen beim Dreh zu. Wenn sie ans Set kommen, ist unsere Arbeit meistens schon erledigt. Wie viel Arbeit das dann war, können sie nicht beurteilen. Oder Leute, die im Zweifelsfall viel Geld dafür ausgeben, dass wir unsere Arbeit gut machen können, sehen bei ihrem Besuch nur das Resultat und nicken zustimmend, aber haben den Eindruck, dass der Drehort weitgehend so von der Produktion gefunden wurde, wir vom Szenenbild vielleicht noch ein paar Akzente gesetzt haben. Aber so ist es nicht. 

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„Cranko“: Szenenbild Astrid Peschke (Credit: Philip Sichler / Zeitsprung Pictures / SWR / Port au Prince Pictures)

Es gibt die alte Binsenweisheit, Filmmusik sei dann besonders gut, wenn man sie nicht hört. Trifft das auch aufs Szenenbild zu: Ist Szenenbild dann besonders gut, wenn man es nicht bewusst wahrnimmt?

Matthias Müsse: Stimmt, das lässt sich gut übertragen. Für mich macht ein gutes Szenenbild aus, dass es sich nicht wichtig macht oder in den Vordergrund spielt im Sinne von, dass es für seine Kunstfertigkeit wahrgenommen werden will. Ausnahmen sind sehr artifizielle Kunstfilme, die wir auch sehr mögen, zum Beispiel die Arbeiten von Wes Anderson: Da will man das sehen, da will man diese Pastelligkeit, diese Symmetrie… Da erwartet man das und freut sich drauf. In der Regel ist es aber doch so, dass wir Geschichten miterzählen wollen, wo wir einfach einen Teil beisteuern wollen – und zwar den Teil, der der Geschichte ihre Glaubwürdigkeit gibt. Ich finde es wichtig, dass diese Bodenhaftung da ist und es ein Setting gibt, das es mir erlaubt, der Geschichte und den Figuren zu folgen. 

Astrid Poeschke: Zu Beginn der Kunstform gab es ein großes artifizielles Kino, insbesondere das expressionistische Kino, da waren die Bauten fast so etwas wie Hauptfiguren… Das hat sich geändert, zunächst mit dem Tonfilm und dann mit dem Zweiten Weltkrieg. In der Zeit nach dem Krieg hat sich ein neues Kino entwickelt, das sich dem Realismus verpflichtet gefühlt hat. Erst in Italien, später sind dann die Franzosen raus auf die Straße und haben mit freier Kamera gedreht. Damit hat sich auch die Aufgabe des Szenenbilds verändert: Unsere Aufgabe ist es, Grundlagen für das Erzählen der Geschichte zu liefern. 

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„September 5“: Julian R. Wagner Szenenbild; Melanie Raab Set Decorator (Credit: Constantin Film)

Fühlen Sie sich ausreichend wertgeschätzt für das, was Sie bei Filmen leisten?

Matthias Müsse: Die Regie, die Produktion, die Kamera und die anderen gestaltenden Gewerke sehen, was wir machen. Die sehen die Qualität, die fordern die Qualität ein. Sie stellen auch die Mittel zur Verfügung, um diese Qualität herzustellen – nicht immer genügend, das sind dann auch mühsame Diskussionen. Aber insgesamt stelle ich eine positive Entwicklung fest, die auch mit den Streamern zu tun hat: Wenn man für sie arbeitet, arbeitet man für ein internationales Publikum. Das verlangt automatisch nach einem wertigeren Look. Die Standards sind da einfach andere als beim deutschen Film vor 20 Jahren, sage ich einmal vorsichtig. Das wird gewollt und gefordert und gefördert. Dass Außenstehende nicht gleich unsere Arbeit sehen und loben, treibt mich nicht um. Ich bin auch nicht der Ansicht, dass das jeder erkennen und verstehen muss. Insgesamt halte ich es aber auch für wichtig, dass es ein Mindestmaß an Filmbildung gibt und verstanden wird, welche Gewerke es gibt, durch deren verzahnte Zusammenarbeit ein Film überhaupt erst entstehen und funktionieren kann. Es ist ein Mehrwert, den unsere Arbeit bietet. Ich vermisse es schmerzlich, wenn dieses Verständnis bei Studierenden fehlt, zum Beispiel in München an der HFF, wo Szenographie gar nicht unterrichtet wird, sondern man es sich selbst beibringen muss oder gar von außen eingerichtet wird. Da wird das große Potenzial von Szenographie komplett verspielt. Das ist tragisch. So werden Filme nicht besser. Was wir machen, ist ein wichtiges Mittel, um Filme reicher und reichhaltiger zu machen. Da habe ich den Wunsch, dass es in der Vermittlung mehr Verständnis gibt. 

Nancy Vogel: Regie und Kamera wird eine totale Wichtigkeit gegeben, aber die anderen Kreativgewerke werden stiefmütterlich behandelt, fallen teilweise komplett hinten runter. Man sieht das spätestens am Set: Da fehlt dann das Verständnis für die Arbeit der anderen. Darunter leidet die Zusammenarbeit, die bekanntlich das A und O bei der Produktion eines Films ist. 

Melanie Raab: Ich habe das in eigener Erfahrung an der Filmhochschule in Babelsberg erlebt, dass die Möglichkeit einer Zusammenarbeit und des Austauschs unter den Gewerken Gewerken / Studierenden gar nicht stattgefunden hat und auch nicht von den Lehrenden gefördert wurde. Das hat sich in den letzten Jahren durchaus geändert, man ist auf einem guten Weg, aber es könnte und müsste dennoch viel mehr getan werden, damit ein Bewusstsein entsteht. Da fehlt der Augenöffner. 

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„Hagen – im Tal der Nibelungen“: Matthias Müsse Szenenbild, Nancy Vogel Set Decorator (Credit: Constantin Film)

Gibt es denn genügend Nachwuchs in Ihrem Feld?

Matthias Müsse: Als Mitglied des Vorstands des Berufsverbands fühle ich mich da zur Antwort berufen. Ich denke, da einen gewissen Überblick zu haben, wir sind auch sehr eng vernetzt mit den Ausbildungsstätten, die es gibt in Ludwigsburg, Berlin und Köln, um die wichtigsten für das Szenenbild zu nennen. Der Nachwuchs bei den Head of Departments kommt. Da gibt es auch tolle Talente. Für uns ist ein viel größeres Thema die anderen für das Art Department wichtigen Gewerke. Es gibt keine Ausbildung. Es gibt keinen Markt, der sich besonders attraktiv zeigt. Es fehlen die Möglichkeiten, die Projekte. Wir erleben einen deutlichen Rückzug aus der Branche von Leuten, die versucht haben, Fuß zu fassen, aber auch von Kolleg:innen, die bereits etabliert waren. Es fehlt die Perspektive. Die Ausbildungssituation als solche ist nicht schlecht, obwohl ich mir da für München eine bessere Anknüpfung wünsche. 

Gratulation noch einmal zu Ihrer Arbeit an den für den Deutschen Filmpreis nominierten Projekten und zur Nominierung. Können Sie skizzieren, was die besonderen Herausforderungen bei Ihrer Arbeit an den nominierten Filmen waren, was hat besonders Freude gemacht?

Astrid Poeschke: Ich muss bei Ihrer Frage nach der Freude strahlen, weil ich mir schon seit längerem gewünscht hatte, in ein Projekt involviert zu sein, das sich mit Ballett beschäftigt. Und dann landete „Cranko“ auf meinem Tisch, ein Filmprojekt über eines der tollsten Ballette der Welt mit den weltbesten Tänzern ever. Das war ein Geschenk und erwies sich dann auch als die ersehnte großartige Reise. Hinter den Kulissen sitzen zu können während der Aufführungen, war persönlich für mich eine gewaltige Bereicherung. Ich mag das ohnehin, wenn in Filmen die Theaterwelt eine Rolle spielt. Das zu verschränken mit dem Technischen und dem Organisatorischen, ist eine besondere Herausforderung, die uns gut gelungen ist. Wir hatten dieses große Haus in Stuttgart als Partner an unserer Seite und dann natürlich diese hochsensible Künstlerpersönlichkeit, die den Lebensweg vieler Menschen bestimmt hat, die ihm begegnet sind. Das zum Leben zu erwecken, zum Teil auch umzuinterpretieren, um die Figur verständlich zu machen, war fantastisch. 

Wie sah die Recherche aus?

Astrid Poeschke: Zu Cranko und den Balletten gibt es wahnsinnig viel. Die Theateraktivitäten waren schon viel länger fotografisch gut dokumentiert. Das Ballett war zunächst nur eine kleine Einheit, gar keine eigene Sparte in diesem großen Haus. Es gab einen Förderverein. Die Schwaben sind ganz wunderbare Mäzenaten der Kunst. Erst mit Cranko wurde das Ballett eine eigene Abteilung, heute gibt es eine angeschlossene Ballettschule. Dazu gab es viel Fotomaterial, zu Cranko selbst kaum, gefühlt vielleicht drei Fotos. Da kam viel Recherche über Literatur dazu. Und dann ging es mir darum, in die Zeit generell einzutauchen und das herauszufiltern, was für den Film wichtig sein könnte, um in der Zeit und mit der Zeit zu arbeiten.

Melanie Raab: Bei „September 5“ war die größte Herausforderung, dass wir sehr authentisch sein wollten und mussten. Große Anforderungen wurden an die Technik gestellt, die in diesem Studio verwendet wurde und bei uns nicht nur als Dekoration angebracht wurde, sondern tatsächlich auch funktionieren musste. 

Besonders beeindruckend fanden wir, dass dieses Studio absolut glaubwürdig war, gerade auch in seiner Enge, diese Kulisse es der Kamera von Markus Förderer aber dennoch erlaubte, sich offenbar völlig frei zu bewegen und regelrecht zu wirbeln.

Melanie Raab: Das ist schön auf den Punkt gebracht. Genau das war die große Herausforderung: Wir hatten keine floating walls, es gab keine Möglichkeit, Wände zu bewegen und Platz zu schaffen für die Kamera. Wir mussten die Architektur dieses Studios in der Bavaria so exakt und realistisch wie möglich nachbauen, gleichzeitig aber auch immer überlegen, wie sich neben den Schauspieler:innen auch die Kamera darin bewegen kann. Gleichzeitig wollten wir immer den Maßgaben von Tim Fehlbaum entsprechen und mussten den Anforderungen, die die Technik an sich gestellt hat, gerecht werden. Das musste verschmelzen als Ganzes. Im Entwurf haben wir viele Möglichkeiten angedacht. Letztlich haben wir uns gefunden in einem Grundriss, der zwar nur eine bestimmte Anzahl von Räumen hatte, aber genügend Optionen für die filmische Umsetzung bot. Dass die Kamera derart entfesselt sein konnte, ist natürlich Markus Förderers Konzept geschuldet, der gerade die Enge des Raums als Herausforderung und Möglichkeit begriff und sich den Gegebenheiten anpasste: Allen war klar und bewusst, dass sich die Technik nicht bewegen lassen würde. Alles wirkte real, nichts jemals wie eine Kulisse.

Nancy Vogel: Wie schön zu sehen, dass es funktionieren kann! Diese Sprungwände bauen wir sehr oft, machen Löcher da, wo eigentlich keine sein müssten. Man macht es, um die Arbeit beim Dreh zu vereinfachen. Dass es auch anders geht, man sich beim Dreh den Gegebenheiten des Sets anpassen kann, ohne dass ein Manko entsteht, finde ich ermutigend, gerade weil bei „September 5“ genau diese Enge ein wichtiges Stilmittel ist und Spannung aufgebaut wird.

Ich kann mir vorstellen, dass „Hagen“ wie ein diametraler Gegenentwurf dazu ist.

Matthias Müsse: Mich verbindet eine lange Arbeitsfreundschaft mit den beiden Regisseuren. Wir hatten lange schon darauf gehofft, wieder miteinander arbeiten zu können, nachdem das letzte Projekt zehn Jahre zurücklag. Dann kamen sie an mit „Hagen“. Die Nibelungen sind ein Monument deutscher Kultur. Das hat mich sofort begeistert, vielleicht auch ob der Bedeutung und der Möglichkeiten, die sich auftaten. Gleichzeitig habe ich Cyrill Boss und Philipp Stennert auch gleich gesagt, dass ich keine Lust hätte, an etwas beteiligt zu sein, dass auf dem nächsten AfD-Parteitag gezeigt werden könnte. Die Gefahr ist natürlich gegeben, wenn man es mit den Nibelungen zu tun. Diese Sorge konnte mir sofort genommen werden. „Hagen“ sei kein strahlendes Heldenepos, sondern ein Film über Männer, die den falschen Idealen folgen. Dafür galt es, den richtigen gestalterischen Ansatz zu finden. Die Nibelungen sind schon zahllose Male inszeniert worden, als Oper, im Theater, mehrfach im Kino, darunter der Meilenstein von Fritz Lang. Es war eine tolle Herausforderung, einen anderen und neuen Zugang zu finden, dass man sagt, es lohnt sich, diese Geschichte noch einmal zu erzählen. Für einen Szenenbildner war es ein Traum. 

Nancy Vogel: Die Zusammenarbeit mit Matthias ist wie ein Sechser im Lotto. Und das dann noch mit einem historischen Film! Ich hatte viel Respekt vor der schieren Größe des Unterfangens. Wir hatten mehr als 100 Drehtage. Wir haben uns immer wieder gefragt: Halten wir das überhaupt aus? Die Arbeit hatte eine Dimension, die ich mir vorher nicht hatte vorstellen können. Ich kann mich erinnern, wie mir Michael Ballhaus einmal von einem seiner Projekte mit 77 Drehtagen erzählte, und ich mir dachte: Um Gottes Willen! Und jetzt hatten wir 110 Tage, ein ganzer Haufen mehr. Es war ein harter Ritt, aber ich kann auch sagen, dass es wahnsinnig viel Spaß gemacht hat, jeder Tag, weil wir ein so tolles Team hatten und unglaublich tolle Voraussetzungen in den Barrandov Studios vorfanden. Rückblickend war es eine der schönsten Arbeiten meiner Karriere.

Das Gespräch führten Thomas Schultze und Barbara Schuster