Tim Fehlbaum, Andreas Dresen und Mohammad Rasoulof bilden beim Deutschen Filmpreis 2025 das Trio der Kategorie Beste Regie. Beim Roundtable-Gespräch mit THE SPOT, das leider ohne Rasoulof stattfand, standen die nominierten Arbeiten im Mittelpunkt.
Was bedeutet es Ihnen, als Regisseur für den Deutschen Filmpreis nominiert zu sein? Was bedeutet es, im diesjährigen Kreis nominiert zu sein?
Andreas Dresen: Ich finde die anderen in der Regiekategorie nominierten Filme in diesem Jahr richtig toll. Deswegen ist es auch eine große Ehre, mit dabei zu sein. Generell finde ich beim Deutschen Filmpreis schön, dass so viele unterschiedliche Departments ausgezeichnet werden. Mit dem Großteil des Teams von „In Liebe, Eure Hilde“ arbeite ich schon seit langem zusammen und alle stecken so viel Zeit und Herzblut in die Filme. Deshalb freut mich besonders, dass wir so viele Nominierungen erhalten haben. Das ist eine tolle Anerkennung für die Teamarbeit.
Tim Fehlbaum: Ich freue mich auch besonders darüber, dass die Leistung der unterschiedlichen Gewerke anerkannt wird. Denn davon lebt unser Film, und ich weiß wie viel Arbeit und Passion unser Team in diesen Film gesteckt hat.
Freut es einen denn noch als Filmpreis-Regular?
Andreas Dresen: Na klar! Ich habe dieses Jahr aber gar nicht damit gerechnet, dass wir noch eine so große Rolle spielen, weil der Film ja schon über ein Jahr alt ist, bei der Berlinale 2024 das Licht der Welt erblickte. Es ist sehr schön, dass er immer noch im Bewusstsein der Akademiemitglieder ist. Dieses Jahr ist es fast egal, wer gewinnt, weil alle Filme toll sind. Das ist nicht immer so.
Tim Fehlbaum: Mir geht es genauso. Es ist ein besonderes Jahr und ich bewundere die Arbeiten der anderen Nominierten. Gerade auch die Leistung unseres Regie-Kollegen Mohammad Rasoulof. Ich kann mir nur vorstellen, was es beutetet, unter diesen Bedingungen einen Film zu machen, und habe den höchsten Respekt davor.
„Ein Film entsteht im Team. Als Regisseure sind wir alleine ja vollkommen verloren.“
Andreas Dresen
Sicherlich macht man aber Filme nicht mit dem Hintergedanken, den Deutschen Filmpreis gewinnen zu wollen.
Andreas Dresen: Doch, natürlich. Das ist der Hauptantrieb. Ich übe die Dankesrede schon immer am ersten Drehtag. 😄
Spaß beiseite. Der Eindruck ist, dass beide Filme, so unterschiedlich sie auch sind, und unterschiedlicher können sie ja fast nicht sein, sich dadurch auszeichnen, dass sie in sich 100prozentig stimmig sind und ihrem Thema und künstlerischen Vision absolut verpflichtet sind. War es Ihnen ein inneres Bedürfnis, diese Filme zu machen? Es fühlt sich so an, als mussten sie gemacht werden. Stimmt dieser Eindruck?
Andreas Dresen: Für einen Film benötigt man sehr viel Geld von fremden Leuten und die Mitarbeit von vielen Menschen. Ein Film entsteht im Team. Als Regisseure sind wir alleine ja vollkommen verloren. Aus diesen Gründen überlegt man sich auch gründlich, ob man mit einem Film auf diese lange Reise gehen soll und ob die Dringlichkeit da ist, das jetzt gerade zu erzählen. Sie haben gesagt, unsere Filme sind unterschiedlich. Vielleicht formal, inhaltlich sind sie aber gar nicht so weit voneinander weg. Die Herangehensweise ist ähnlich: Wir alle drei nehmen eine intime Situation als Ausgangsbasis. Bei Tims Film ist das vielleicht am auffälligsten, weil wir das dahinter ablaufende Weltgeschehen kennen. Man guckt wie durch ein Fenster auf die Monitore und sieht, was da draußen abgeht und wie die Leute in diesem Studio mit ihrer persönlichen Verantwortung umgehen. Das ist unserer Gegenwart gar nicht unähnlich: Wir sitzen gerade alle in unserem halbwegs noch sicheren Leben und sehen, was in der Welt so an Dingen passiert, können uns dem aber nicht entziehen und müssen irgendwann Stellung beziehen.
Tim Fehlbaum: Ich sehe vor allem den Aspekt, dass alle drei nominierten Filme ein großes Thema aus einer intimen Perspektive heraus behandeln.
Für Sie war „September 5“ ja auch Neuland. Ihre beiden Vorgängerfilme, „Hell“ und „Tides“, waren angelegt als große Dystopien, die Leinwand so groß aufgezogen wie möglich. Jetzt ist der Fokus so eng wie er nur sein kann. War das eine bewusste Entscheidung, diesen Weg zu gehen?
Tim Fehlbaum: Das ist ein wenig aus einer Not heraus geboren. „September 5“ war insofern auch Neuland, weil ich erstmals eine Geschichte nach einer wahren Begebenheit erzählt habe. Weil es ein Thema von so großem tragischen Ausmaß und leider immer noch hoher Relevanz ist, wollten wir dem mit dem größtmöglichen Respekt begegnen. Das Resultat aus diesen Überlegungen war, dass ich die Recherche so intensiv und groß wie möglich machen wollte. Mein Ko-Autor Moritz Binder kommt vom Dokumentarfilm und war es gewohnt, erst mal die Materie kennenzulernen, bevor man sich einen filmischen Ansatz überlegt. Genauso haben das auch meine Produzenten, Thomas Wöbke und Philipp Trauer, gesehen, die extrem kreative Produzenten sind und während des gesamten Prozesses sehr involviert waren. Erst mal haben wir in alle möglichen Richtungen recherchiert. Es gibt viele Aspekte von diesem Tag 5. September 1972, die ebenfalls relevant oder vielleicht sogar noch relevanter sind als unsere Perspektive, die Perspektive der Medien. Es gibt heute eine gesunde und richtige Diskussion darüber, wer kann welche Geschichte erzählen. Als Medienschaffende hatten wir zu unserer Perspektive einen Draht gefunden und eine Art Berechtigung gesehen, darüber eine Geschichte zu erzählen. Im Zuge der Recherche war unser Gespräch mit Geoffrey Mason, dem Menschen, der im Film von John Magaro gespielt wird, die Initialzündung. Durch ihn kamen wir auf die Idee, den Film rein aus der Perspektive dieses Kontrollraums zu erzählen. Auf der anderen Seite haben uns natürlich auch Fragen beschäftigt, wie man einen Film, der die Ereignisse aus einer größeren Sicht erzählt, hätte finanziert bekommen? Heute bin ich sehr froh, dass wir diesen anderen Weg gefunden haben. Für mich war eine der größten Lektionen, wie wichtig der Blickwinkel ist. Je spezifischer die Perspektive, desto präziser und tiefer kann man in die Materie gehen.
„Wir wollten dem Publikum von heute zeigen, was analoges Fernsehen für ein physischer Akt war.“
Tim Fehlbaum
Ihr Film ist so authentisch, dass wir froh sind, dass es kein Geruchskino gibt. Die Hemden der Journalisten können in dieser Situation nicht gut gerochen haben…
Tim Fehlbaum: Sicher. Bei Andreas‘ Film fand ich das auch so toll, dass sich ein historischer Film so überhaupt nicht historisch anfühlt, sondern so, wie das diese Figuren damals wahrscheinlich erlebt haben. Wir sehen die Dinge oft durch eine historische Filmbrille. Und bei „In Liebe, Eure Hilde“ hat sich das ganz anders, eben auch authentisch angefühlt. Bei uns war der technische Apparat zentral. Den haben wir so realistisch wie möglich nachgebaut, weil „September 5“ auch zeigen sollte, was für einen Einfluss technologische Entwicklungen auf Medien haben und in Folge auf unsere Wahrnehmung des politischen Weltgeschehens. Wir wussten auch von unseren Augenzeugen, wie anstrengend dieser 22-stündige Marathon in diesem Raum war. Wir wollten dem Publikum von heute zeigen, was analoges Fernsehen für ein physischer Akt war.
Andreas Dresen: Allein der Kraftakt, diese Kamera nach draußen zu bringen! Den technischen Aspekt fand ich total interessant bei deinem Film, weil man das komplett vergessen hat. Nicht minder spannend ist aber die moralische Fragestellung, die sich dahinter verbirgt. Gucken die Terroristen das nicht auch? Was macht das mit einem und beeinflusst das Medium, das über den Vorgang berichtet, nicht den Vorgang selbst? Das ist wie ein Perpetuum Mobile. Diese Fragen stellen sich auch in der heutigen Berichterstattung. Nämlich immer dann, wenn Journalisten die Grenzen überschreiten und Meinungsjournalismus betreiben. Das kann sehr fragwürdig werden.
Herr Dresen, wie war das bei „In Liebe, Eure Hilde“? Wussten Sie da sofort, was Ihr Blickwinkel sein würde? Inwiefern hat bei Ihnen die Recherche den Film geprägt?
Andreas Dresen: Sehr. Eine Initialzündung wie bei Tim gab es bei uns auch. Nur konnte ich das Ehepaar Coppi natürlich selbst nicht befragen, aber ihr Sohn, Hans Coppi Jr, hat uns begleitet. Als wir bei ihm waren, hatte er eine Handvoll Fotos wie einen Schatz vor uns auf dem Tisch ausgebreitet. Das hat mich total gerührt. Da waren junge Leute zu sehen, die an einer Badestelle sitzen, auf einem Segelboot sind. Es gab eines von Hilde, wo sie im Sommerkleid auf die Kamera zuläuft, und eines von Hans auf einem Motorrad. Ich dachte mir: Krass, die sind so jung und die machen genau das, was junge Leute tun. Ich bin im Osten mit einem Widerstandskämpferbild großgeworden, wo die in meiner Vorstellung das kommunistische Manifest gelesen haben und dann ideologisch gefestigt mit erhobener Faust auf die Barrikaden gestiegen sind. Diese Fotos haben eine ganz andere Geschichte erzählt. Das fand ich aufregend. Das war unser Ansatz. Wir wählen die Perspektive eines Liebespaars, das eine gemeinsame Zukunft hat. Es geht auch um ein Kind. Und trotzdem fühlen sie eine gesellschaftliche Verantwortung und tun etwas. Da war klar, dass wir den Film ohne diese sonst übliche historische Distanz erzählen wollen, die über Uniformen, Symbole und all das entsteht. Wir wollten die Figuren ranrücken an die Gegenwart, damit man sich besser mit ihnen identifizieren kann. Nicht nur mit den Widerstandskämpfern, sondern auch mit denen auf der anderen Seite, die für die Täter arbeiten, für sich Entscheidungen treffen müssen und in moralische Konflikte geraten.
Auf beide Filme trifft leider zu, dass sie jeden Tag ein bisschen heutiger werden. Was stellt das mit Ihnen an?
Andreas Dresen: Man macht einen Film nicht mit einem aktuell politischen Ansatz. Ein Film, den man dreht, muss auch in 10 oder 20 Jahren für die Zuschauer noch eine Nachricht haben. Und auch in anderen Teilen der Welt funktionieren. Ich suche deshalb nach etwas Universalerem im Erzählen. Man weiß ohnehin nie, auf welche Gegenwart ein Film trifft, wenn er rauskommt nach zwei oder drei Jahren der Arbeit. Bei uns traf er auf eine erstarkende Rechte, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Das macht ihn plötzlich aktuell. Das hätte ich mir nicht gewünscht. Aber wenn unser Film einen Beitrag zu konstruktiven Diskussionen leisten kann, ist es auch schön.
Tim Fehlbaum: Der meinem Film zugrundeliegende Konflikt war nie vorbei. Als der noch mal auf so schlimme Weise eskaliert ist, waren wir schon in der Postproduktion. Das führte bei uns natürlich zu regen Diskussionen, was das für unseren Film bedeutet. Wir sind immer zu dem Schluss gekommen, dass unser Film aus einer bestimmten Perspektive erzählt wird und eine Geschichte über die Medien an diesem Tag ist und die Menschen hoffentlich durch „die historische Linse“ dazu anregt, darüber zu reflektieren, wie wir heute Medien konsumieren.
Andreas Dresen: Ich fand das bei deinem Film auch so toll: Es läuft ein gewalttätiger Akt, eine Geiselnahme, und durch die Medien ist die Welt plötzlich live dabei. Wie verhält sie sich dazu? Das ist im übertragenen Sinne, auf den großen Konflikt, den du da miterzählst, auch Thema. Wir sind alle aufgerufen, uns zu der Situation eine Meinung zu bilden. Dein Film denkt natürlich über Verantwortung von Journalisten nach, aber eben auch von einem selber als Zuschauer. Wir erleben gerade große weltpolitsche Konflikte. Nicht nur in Israel, beispielsweise auch in der Ukraine. Und da sind wir aufgerufen, uns dazu zu verhalten. Manchmal ist es schwer, sich nicht verbittert zu zerstreiten. Dein Film zeigt, wie Menschen versuchen, verantwortlich mit einem Konflikt umzugehen, der nicht ihrer ist und sie trotzdem Beteiligte sei lässt. Wir sind alle Menschen und können uns gewissen Dingen nicht entziehen. Das hat mich sehr aufgewühlt.
„Der aufregende Vorgang beim Kino ist die Begegnung, der kommunikative Moment.“
Andreas Dresen
Insofern leisten Ihre beiden Filme das, was der Kern des Kinos ist: Das man Anteil an einer Situation nimmt und beginnt sie intellektuell wie auch emotional zu durchdringen. Das ist das Tollste, was Kino leisten kann. Kann Kino das heute mit derselben Relevanz leisten wie das vielleicht früher mal war?
Andreas Dresen: Menschen begeistern sich ja vor allem für Filme im Konkreten. Wenn sie etwas interessiert, gehen sie auch ins Kino, und ich hoffe, dass der Film dann auch eine Nachricht für sie hat. Ich bin in der DDR großgeworden und wir haben im Kino auch die Filme aus dem Westen gesehen. Das war dann wie ein Fenster zu einer Welt, die wir nicht bereisen konnten. Es ist paradox: Man sitzt in einem dunklen Raum und lernt die Welt kennen. Mohammad Rasoulofs Film spielt ja fast zur Hälfte nur in einer Wohnung, man sieht diese Videos von den Demonstrationen, die auch ein Fenster zur Welt sind. Natürlich ist das sicherlich auch den Drehumständen geschuldet, es ist aber trotzdem ein toller Kniff. Denn in dieser Familie spiegelt sich genau dieser äußere Konflikt. Sowohl in „September 5“ als auch in „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ spielt Kino eine Rolle. Weil Bilder von der Welt darin vorkommen. Das ging in den 40er-Jahren, wo unser Film spielt, natürlich noch nicht. Die Außenwelt streut in beiden Filmen hinein in die Situation der Figuren und macht etwas mit ihnen. So funktioniert auch Kino. Wir setzen uns rein, und im günstigsten Fall macht das was mit uns. Als Regisseure können wir am Ende nur versuchen, so verantwortlich und ehrlich wie möglich zu arbeiten. Ob dann jemand reingeht, darüber denke ich nicht so viel nach, das hat wenig Sinn. Was mag ein Publikum? Keine Ahnung. Ich muss es erst mal selbst mögen und hoffe dann, dass es Anklang findet. Der aufregende Vorgang beim Kino ist die Begegnung, der kommunikative Moment. Ob das weitergeht? Ich hoffe und wünsche es.
Tim Fehlbaum: Das hätte ich besser nicht sagen können. Ich liebe Kino über alles. Ich liebe diesen Raum, in den man sich begibt und in dem man in eine komplett andere Welt entführt wird. Für mich gibt es nichts anderes. Außerdem habe auch nichts anderes gelernt in meinem Leben.
Andreas Dresen: Genau. Sonst können wir ja nichts.
Das Gespräch führten Barbara Schuster & Thomas Schultze