Mit Hafsia Herzis Bestseller-Adaption „Die jüngste Tochter“ schafft es die Berliner Katuh Studio erstmals in den Wettbewerb nach Cannes. Für THE SPOT berichtet CEO Vanessa Ciszewski, wie das Projekt realisiert und für das größte Filmfestival der Welt flottgemacht wird.

Für eine schönere Welt. Steht als Claim direkt unter dem Logo von Katuh Studio, das von der französischen Produzentin Vanessa Ciszewski 2011 zwei Jahre nach ihrem Umzug nach Berlin gegründet worden war. Seither hat die engagierte Produktionsfirma als Koproduktionspartner eine ganze Reihe anspruchsvoller Filmstoffe realisiert, darunter „Dieses Sommergefühl“ von Mikaël Hers, „Félicité“ von Alain Gomis, der 2017 bei der 67. Berlinale den Großen Preis der Jury gewinnen konnte, Gaya Jijis 2018 in Un Certain Regard präsentierter „Mein liebster Stoff“, „Auf der Suche nach Zion“ von Tamara Erde aus dem gleichen Jahr, „The Lost Souls of Syria“, der Panorama-Eröffnungsfilm „Die Sirene“ von Sepideh Farsi und der Dokumentarfilm „Kulissen der Macht“, allesamt aus dem Jahr 2023. Und jetzt der endgültige Adelsschlag: die französisch-deutsche Koproduktion „Die jüngste Tochter“ von Regisseurin Hafsia Herzi, eine Adaption des passioniert debattierten Erfolgsromans von Fatima Daas, mit dem die Berliner Firma nunmehr erstmals im Wettbewerb von Cannes antritt.
„Im Dezember 2021 habe ich den Roman auf Französisch gelesen und auf meinem Instagram gepostet, weil ich so begeistert war“, erinnert sich Vanessa Ciszewski an die Anfänge des Projekts. Den Post sah auch die französische Produzentin Julie Billy, mit der Ciszewski vor knapp 20 Jahren in der Produktionsabteilung von Celluloid Dreams gearbeitet hatte. „Sie ließ mich wissen, dass sie gerade in dem Prozess war, sich die Verfilmungsrechte zu sichern, und ob ich nicht Lust hätte, gemeinsam mit ihr eine französisch-deutsche Koproduktion daraus zu machen.“ Billy hatte damals gerade ihre Firma June Films gegründet, „Die jüngste Tochter“ war das erste Projekt, das sie anschob, auch wenn sie seither schon weitere Projekte verwirklichen konnte, unter anderem die HBO-Max-Serie „Une confidante dévouée“. „Die jüngste Tochter“ wurde einfach später fertig.
„Das Vertrauen war groß“
„Man kann aber nicht sagen, dass es bei uns langsam gegangen wäre“, sagt Vanessa Ciszewski bestimmt. „Das Projekt kam ins Laufen, als wir die deutsch-französische Entwicklungsförderung und danach MEDIA erhielten.“ Die große Herausforderung bestand im Anschluss darin, die richtige Regisseurin zu finden. Wie Romanautorin Fatima Daas hat auch Hafsia Herzi algerische Wurzeln. „Hafsia wird in Frankreich sehr geschätzt, und Fatima war sofort begeistert von der Idee, dass sie den Film inszenieren könnte“, merkt die Katuh-Studio-Produzentin an. „Das Vertrauen war groß, und Hafsia Herzi konnte den Roman so umsetzen, dass hundertprozentig ihr Film dabei herausgekommen ist.“
2023 nahm das Projekt endgültig an Fahrt auf, als die Produktion sich den FFA Minitraité sichern konnte. Vor exakt einem Jahr, während des 77. Festival de Cannes, gab es die Zusage von ZDF/ARTE. Und schließlich kam noch der Minoritäre Koproduktionsfonds der FFA. „Das war eine großartige Überraschung, denn wir dachten, dass diese Unterstützung in erster Linie den arrivierten Regisseuren, sozusagen den „üblichen Verdächtigen“, zukommen würde. Aber das Gremium der FFA entschied sich für eher junge Filmschaffende, die Hälfte davon sogar Frauen. Und wir waren mit dabei.“
„Eine universale Qualität“
„Die jüngste Tochter“ erzählt von der 17-jährigen Fatima, jüngste von drei Töchtern, die bei der Suche nach einem eigenen Weg zwischen Tradition und Selbstbestimmung mit aufkommenden Wünschen ringt, ihrer Anziehung zu Frauen und der Loyalität zu ihrer französisch-algerischen Familie. Bei ihrem Studium macht sie zunehmend neue Erfahrungen und steht schließlich vor dem Scheideweg: Wie kann man sich selbst treu bleiben, wenn es unmöglich erscheint, verschiedene Teile der eigenen Identität miteinander zu vereinbaren? Ein französischer Stoff, der eine Geschichte aus Frankreich erzählt. „Aber uns war es wichtig, dass er eine universale Qualität hat, dass er auch bei einem Publikum in Deutschland auf Widerhall stößt“, erklärt Vanessa Ciszewski ihre Rolle als deutsche Koproduzentin. „Wir haben uns viele Gedanken darüber gemacht, wie man diesen Stoff relevant umsetzt. Wir haben uns immer wieder gefragt: Wie entwickeln wir dieses Projekt, dass es auch ein Potenzial für ein Publikum in Deutschland hat?“
Auch sonst versuchte man bei Katuh Studio, so nah wie möglich bei der Umsetzung des Stoffs dabei zu sein, wobei nicht alle Anstrengungen von Erfolg gekrönt waren. In der Finanzierung gab es keine Zusagen bei der Regionalförderung, was Vanessa Ciszewski als „Enttäuschung“ empfand, aber auch als Möglichkeit: „Wir haben es auch als Chance gesehen, weil uns das eine größere Freiheit gab, wir weniger eingeengt waren.“ Bei der langwierigen Suche nach einer Hauptdarstellerin fanden auch in Deutschland Castings statt. „Es gibt eine Community von maghrebischen Französinnen in Deutschland, bei der wir gesucht haben“, berichtet Ciszewski und erzählt von einem aufwändigen Prozess, der auch Streetcastings in der LGBTQIA*-Szene umfasste. „Wir haben immer versucht, uns ganz organisch in den Prozess zu involvieren und konnten schließlich aus Deutschland Maskenbildnerin Hanka Thot beisteuern.“ Nach dem Dreh wurde Katuh Studio dann wieder bei der Postproduktion aktiv. „Wir konnten mit Martin Langenbach in Hamburg arbeiten, dem Foley-Artist von Fatih Akin, und in Köln war Dirk Meier als Colorist mit an Bord“, sagt Vanessa Ciszewski, die von einer „sehr schönen Erfahrung“ spricht und darauf verweist, dass sich der deutsche Anteil bei der Koproduktion lediglich auf 20 Prozent belaufe.
„Das größte Schaufenster der Welt“
Ohne sich allzu sicher sein zu wollen, waren die Produzentinnen von „Die jüngste Tochter“ zuversichtlich, als sie ihren Film beim Festival de Cannes einreichten. „Hafsia Herzi verbindet eine lange Geschichte mit Cannes“, meint die Produzentin. Ihr Regiedebüt „Du verdienst eine Liebe“ war 2019 in der Semaine de la Critique, „Eine gute Mutter“ lief 2021 dann bereits in Un Certain Regard und erhielt einen Ensemblepreis. „Wir wissen, dass sie von Thierry Frémaux und Christian Jeune sehr geschätzt wird, hatten also eine gewisse Hoffnung, dass wir es in den Wettbewerb schaffen könnten“, erklärt Vanessa Ciszewski, die allerdings auch einräumt: „Der Wettbewerb in Cannes ist das größte Schaufenster der Welt, das ein Film haben kann. Man muss mit den größten Filmen des Jahres mithalten.“ Umso erleichterter war sie, als die Produktion um 23 Uhr den erlösenden Anruf erhielt, der Film war in den Wettbewerb aufgenommen. Es war der erste französische Film, der in diesem Jahr bestätigt worden war. „Dass wir in dieses Feld aufgenommen wurden, macht mich sehr glücklich. Selbstverständlich ist das nicht. Aber ich bin sehr stolz auf ,Die jüngste Tochter‘: Hafsia ist als Filmemacherin unheimlich gewachsen, und Julie und ich haben als Produzentinnen immer versucht, ein Umfeld für sie zu schaffen, in dem sie die bestmögliche Arbeit abliefern konnte.“
Jetzt ist die Vorfreude groß, wenn der Film am 16. Mai endlich vom Stapel läuft. „Ich bin wahnsinnig neugierig, wie unsere Arbeit ankommen wird“, meint Vanessa Ciczewski abschließend. „Aber ebenso neugierig bin ich auf all die anderen Filme, insbesondere ,In die Sonne schauen‘ von Mascha Schilinski. Den will ich auf jeden Fall sehen, unbedingt im Salle Lumière.“ Und sie sagt: „Wir leben in düsteren Zeiten. Den Wettbewerb empfinde ich als Gegenangebot, das für Hoffnung steht und hoffentlich auch für Aufbruch. Das haben wir alle dringend nötig.“
Thomas Schultze