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REVIEW BERLINALE: „Paternal Leave“


Einfühlsames Annäherungsdrama über eine 15-Jährige, die nach Italien reist, um den Vater zu treffen, den sie nie kennengelernt hat.

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„Paternal Leave“ von Alissa Jung (Credit: Match Factory Productions, Wildside)

CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland, Italien 2025; Regie/Drehbuch: Alissa Jung; Cast: Juli Grabenhenrich, Luca Marinelli, Arturo Gabbriellini, Joy Falletti Cardillo, Gaia Rinaldi; Produktion: The Match Factory, Wildside; Weltpremiere: Berlinale 2025/Generation

REVIEW:
Flamingos sind Superväter. Sie teilen sich die Aufzucht der Jungen 50:50 mit den Weibchen, helfen beim Nestbau, kümmern sich um die Fütterung. Das kann man von Paolo (Luca Marinelli) nicht behaupten. Der Italiener, der sich als Surflehrer durchschlägt, eine kleine Strandbar irgendwo an der norditalienischen Küste betreibt und einen blauen Camper sein Zuhause nennt, lebt das ewige Aussteigerleben. Als plötzlich die 15-jährige Leo (Juli Grabenhenrich) vor ihm steht und sich als seine Tochter vorstellt, vollzieht sein Leben eine 180-Grad-Wendung. Vollkommen überfordert steht er vor der Teenagerin, die von zuhause in Deutschland ausgebüchst ist, nachdem ihr die Mutter verraten hat, wer ihr Vater ist, den sie nie kennenlernte. Jetzt will Leo Antworten. „Über ein Interview lernst du niemanden kennen“, sagt Paolo. Die Situation ist ihm unangenehm, zumal er noch eine kleine Tochter hat, die am Abend von Leos Auftauchen bei ihm übernachtet. „Nach langer Zeit mal wieder“, sagt er. Mit der Mutter ist er auch nicht mehr zusammen. Aber wie liebevoll er sich um die kleine Emilia kümmert, ihr Gute-Nacht-Lieder auf der Gitarre vorspielt, versetzt Leo gleich mal einen Stich ins Herz. Und doch lässt sie nicht locker, so schnell kommt ihr Paolo nicht davon, der alles tut, um ja niemandem im Dorf erklären zu müssen, wer das Mädchen ist. Sie beschließt kurzerhand, bei ihm zu bleiben. 

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„Paternal Leave“ von Alissa Jung (Credit: Match Factory Productions, Wildside)

Alissa Jung gibt mit „Paternal Leave“ ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin. Auch das Drehbuch hat sie selbst geschrieben. Erfahrung sammelte Jung bereits am Kinder- und Jugendtheater Murkelbühne Berlin und mit diversen Kurzfilmen (ihr Kurzfilm „Farah“ wurde beim Deutschen Kinder Medien Festival Goldener Spatz ausgezeichnet). Der junge Blick, ein Erzählen auf Augenhöhe für ein junges Publikum ist ihr offenbar eine Herzensangelegenheit. Mit „Paternal Leave“ ist ihr eine zarte Annäherungsgeschichte zwischen Vater und Tochter gelungen, die viele tolle Momente hat. Wenn Leo und Paolo etwa Flamingos beobachten, wenn er ihr erzählt, dass das einzige deutsche Wort, an das er sich erinnert, „Besserwisser“ ist, sie zusammen im eiskalten Wasser surfen. Aber der tollste Moment ist wohl, als Paolo und Leo auf der Düne am Strand stehen, im eisigen Wind, die Kamera von hinten. Und Paolo anfängt, Leo mit seinem Körper ganz leicht zu tangieren, immer wieder leicht zu ihr wippt, und Leo schließlich das erste Mal den Kopf an seine Schulter schmiegt. Ein ganz kurzer, inniger Moment ist das zwischen diesen sich fremden und doch irgendwie auch vertrauten Seelen, dass einem als Zuschauer das Herz zerspringt. Und es zerspringt tatsächlich, als Paolo diesen Moment zerstört und Leo wieder von sich weist. Es sei einfach der falsche Moment, er müsse sich auf Emilia konzentrieren, wolle nicht den gleichen Fehler noch einmal machen. Der Konflikt könnte nicht größer sein.

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„Paternal Leave“ von Alissa Jung (Credit: Match Factory Productions, Wildside)

Die Einsamkeit, das Ausgeschlossensein von Leo spiegelt der Schauplatz ganz wunderbar wider, dieses gottverlassene Stranddorf, in dem nur zur Sommersaison Badegäste kommen, jetzt, im Winter, Nebel und Wind und die raue See den Ton angeben. Und die einzige Attraktion die Flamingos sind, die im Binnengewässer umherstolzieren. Ein starkes Spiel liefert Nachwuchsdarstellerin Juli Grabenhenrich als Leo, zwischen Trotz, Wut, bereits sehr erwachsener Bestimmtheit, aber auch Unsicherheit und Angst vor Zurückweisung. Als Vaterfigur zwischen kompletter Überforderung und Versagensängsten überzeugt Luca Marinelli, der 2019 für „Martin Eden“ in Venedig die Coppa Volpi als Bester Schauspieler erhielt. Mit „Paternal Leave“ ist Alissa Jung eine sensible Beobachtung einer Einsamkeit der Herzen gelungen, in der die Figuren um Akzeptanz und Ehrlichkeit ringen, ein unter die Haut gehender Film, der eine klare Sprache spricht, die auch beim jugendlichen Publikum Widerhall finden sollte.

Barbara Schuster