THE SPOT hat Serienwerft-Geschäftsführer Jan Diepers und Julia Katz während Series Mania 2025 getroffen, wo die Serienwerft-Projekte „Anaon – Hüter der Nacht“ und die vierte „Parlament“-Staffel Premiere feierten. Im Interview geht es auch um die Zukunft der Telenovela „Rote Rosen“.

Die Produktionsschmiede Serienwerft verbindet man vor allem mit dem ARD-Format „Rote Rosen“. Würden Sie sagen, dass das immer noch Ihr Aushängeschild ist?
Jan Diepers: Ich bin seit vier Jahren Geschäftsführer der Serienwerft, einem Unternehmen der Studio Hamburg Gruppe. „Rote Rosen“ war und ist ein wichtiges Format für uns, doch wir haben es gezielt weiterentwickelt, um es insbesondere für die ARD-Mediathek attraktiver zu machen. Inzwischen zählt die Serie zu den erfolgreichsten Streaming-Formaten Deutschlands – das war auch ein entscheidender Faktor für die jüngste Verlängerung. Insgesamt haben wir die Serienwerft strategisch neu ausgerichtet, um stärker für den non-linearen Bereich zu produzieren. Das erfordert ein anderes Denken: Bei digitalen Formaten müssen Aspekte wie IP-Entwicklung und Vermarktung von Beginn an mitgedacht werden. Deshalb haben wir auch eine eigene kleine Marketing- und Presse-Unit unter der Leitung von Kara von Viebahn-Braun aufgebaut. Heute reicht es nicht mehr aus, einfach nur ein fertiges Produkt abzuliefern. Von Anfang an müssen Experten bei der Produktion die richtigen Weichen stellen. So kann zum Beispiel direkt ein Making-of mitgedreht werden.
„Rote Rosen“ wurde in der gewohnten Sendelänge bis 2027 verlängert. Wie sehr hilft Ihnen das in der Planung?
Jan Diepers: Die Entscheidung, „Rote Rosen“ um zwei weitere Jahre zu verlängern, hat uns die Möglichkeit gegeben, wieder langfristig zu investieren. Aktuell ist unser Studio leer, weil die gesamte Technik modernisiert wird – ein Schritt, mit dem wir führend bei der CO₂-Reduktion sein werden. Solche Investitionen sind nur mit einer gewissen Planungssicherheit möglich. Auch im Bereich Postproduktion setzen wir zunehmend auf KI-gestützte Workflows. Wir werden weltweit die erste tägliche Serie sein, die ihre komplette Postproduktion sowie das Autorenteam vollständig in die Cloud verlagert.
Half die Umstellung bei „Rote Rosen“ mit einem stärkeren Fokus auf das Non-Lineare auch bei der Konzipierung anderer Formate?
Jan Diepers: Mit der stärkeren non-linearen Ausrichtung von „Rote Rosen“ ging auch die Überlegung einher, was darüber hinaus für die Mediathek und andere interessant sein könnte. So entstand zum Beispiel die Comedy-Serie „Parlament“, die direkt mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Für die zweite Staffel gab es dann die Rose d’Or. Dass wir mit einem politischen Format bereits vier Staffeln realisieren konnten, ist durchaus bemerkenswert. „Parlament“ wurde für die Mediathek konzipiert und ist nicht das klassische Quotenformat. Die Comedy ist kein klassisches Lean-Back-Format, sondern fordert das Publikum heraus, über den ein oder anderen Witz nachzudenken. Bei Series Mania 2025 feierte die vierte „Parlament“-Staffel gerade ihre Frankreich-Premiere auf dem roten Teppich. Mit „Anaon – Hüter der Nacht“ lief eine zweite Koproduktion von uns sogar im Wettbewerb bei diesem Serienfestival.
Julia Katz: „Anaon“ startet in Deutschland in der ARD-Mediathek passend zur Walpurgisnacht ab dem 28. April und läuft am selben Tag auch auf One abends im Fernsehen an.
Welches Feedback haben Sie in Lille auf beide Formate erhalten?
Jan Diepers: Die Kinos bei beiden Serien waren voll. „Parlament“ ist als deutsch-französische Produktion ein Format, das die Menschen vor Ort schon kannten. Die Fragen des Publikums im Anschluss waren kenntnisreich und intensiv. 45 Minuten nach der Vorführung standen wir noch immer auf der Bühne und beantworteten die Fragen.
Julia Katz: Bei „Parlament“ kann man schon von einer richtigen Fan-Community sprechen, die im Kino dabei war. Das war unglaublich. Jeder, der eine Frage stellte, kannte alle Staffeln und brachte eine klare Meinung mit. Ein junger Politikstudent erwähnte in seiner Frage, dass er mit dem Beginn seines Kurses zu europäischer Politik von seinem Professor empfohlen bekam, sich unsere Serie anzuschauen, weil sie lehrreich sei. Zum Glück hätte er sich die Serie angesehen – denn da hätte er deutlich mehr gelernt als im Kurs des Professors.
Jan Diepers: Tendenziell wurde „Parlament“ mit jeder Staffel deutscher. In der ersten Staffel war nur Christiane Paul von deutscher Seite aus dabei. In der zweiten Staffel waren es dann schon drei deutsche Protagonisten und in der dritten Staffel fünf deutsche Schauspieler. Auch die finanzielle Beteiligung aus Deutschland wuchs entsprechend: Während Frankreich anfangs dominierte, lagen die Anteile ab Staffel zwei etwa gleichauf bei jeweils 30 Prozent, der Rest kam aus Fördermitteln.
Aber „Parlament“ läuft in Frankreich erfolgreicher?
Jan Diepers: Ja, das liegt unter anderem an der Art der Vermarktung. In Frankreich läuft die Serie bei Slash, dem Streaming-Angebot von France Télévisions. Franzosen gehen generell etwas lockerer mit politischen Themen um – was der Serie zusätzliches Publikum bringt.
„Es gibt drei konkrete Koproduktionen, die aktuell anstehen, um in den kommenden zwei Jahren umgesetzt zu werden.“
Welche Rolle, Frau Katz, haben Sie genau bei der Serienwerft?
Julia Katz: Ich bin für internationale Akquisitionen zuständig. Ich entdecke neue Formate für die Serienwerft, repräsentiere nach außen und entwickle auch selbst neue Formate.
Jan Diepers: Es gibt drei konkrete Koproduktionen, die aktuell anstehen, um in den kommenden zwei Jahren umgesetzt zu werden. Es gibt verschiedene Modelle, mit denen die Serienwerft arbeitet. Es gibt Stoffe, die wir im Inland entwickeln und in die Koproduktion einbringen. Es gibt aber auch Stoffe, die wir im Ausland entwickeln und dann nach Deutschland bringen.
Was kann man von Ihrer zweiten Koproduktion „Anaon“ als Serie erwarten?
Julia Katz: „Anaon“ ist eine Mystery-Krimi-Serie, die uns von französischer Seite vorgestellt wurde. Ich finde, es ist ein spannendes Genre. Die ersten visuellen Konzepte, aber auch die Drehbücher waren vielversprechend. Ich habe dann Jan davon erzählt. Wir befanden es zusammen für gut und machten uns in einer sehr kurz bemessenen Zeit auf die Suche nach einem deutschen Sendepartner, was uns gelang.
Jan Diepers: Wir suchen gezielt nach Stoffen mit Relevanz für das deutsche Publikum. Bei „Anaon“ ist das zum Beispiel der Aspekt, wie mit dem Thema Mystik umgegangen wird. Zusätzlich ist der Handlungsort – die Bretagne – aus deutscher Perspektive ein interessanter Ort. Nicht umsonst spielt dort bereits eine erfolgreiche deutsche Krimi-Reihe. Auch das Genre „Young Adult“ bietet viele Möglichkeiten. Da ist es nicht so wichtig, dass wir keine deutsche Besetzung haben. Für mich hat „Anaon“ einen Touch der Netflix-Serie „Stranger Things“. Solche Stoffe sind im deutschen Markt noch unterrepräsentiert.
Wie stark ist die Serienwerft in das Projekt investiert?
Jan Diepers: Wir halten die deutschen Rechte an „Anaon“, die wir z.T. an den WDR übertragen haben. Diese Rechte ermöglichen uns auch eine potenzielle Zweitverwertung mit einem anderen Partner. „Anaon“ ist eine hochwertige 9-Millionen Euro-Produktion – unser deutscher Anteil daran ist im Verhältnis gering.
Wie ist Prime Video in die Serie involviert?
Julia Katz: Auf französischer Seite ist „Anaon“ in erster Linie ein Prime-Video-Projekt, die das erste Fenster haben. France Télévision zeigt das Format dann sechs Monate später.
Wollen Sie sonst noch ein kommendes Projekt erwähnen?
Jan Diepers: Einiges ist noch nicht spruchreif, aber in der Entwicklung wählen wir auch ungewöhnliche Wege. Für eine deutsche TV-Reihe haben wir von einem französischen Autoren das Konzept entwickeln lassen, um den leichten Ton der französischen Komödien zu treffen. In der weiteren Entwicklung wird er mit deutschen Autor*innen im Writers-Room zusammenarbeiten. Der kreative Austausch auf internationaler Ebene hilft uns, neue Perspektiven zu entwickeln und sich von bekannten Mustern zu lösen.
Das Interview führte Michael Müller