In „Das geheime Stockwerk“ von Norbert Lechner und Amour Fou Vienna & Luxembourg geht es um eine Zeitreise in die Vergangenheit. Die Reise ans Set nach Bad Gastein fühlte sich ebenso an. Im kleinen Kur- und Wintersportort weht nämlich durchaus noch die mondäne Luft von einst, frei nach dem Motto: „Something you did not expect“. Ein Drehbericht samt Einblick in das neue Kindeswohlkonzept, das hier bereits zum Einsatz kam.
Was man nicht alles erlebt beim Bahnfahren. München – Bad Gastein, Umstieg in Salzburg. Auf dem Weg zum Dreh von „Das geheime Stockwerk“ von Norbert Lechner, einer Koproduktion zwischen Lechners Kevin Lee Film und Amour Fou Vienna sowie Amour Fou Luxembourg. Bad Gastein ist schön, herrlich morbid, aus der Zeit gefallen. Kenne es vom Snowboarden mit der Family, auch von ein, zwei Aufenthalten im Sommer. Leerstehende Grandhotels, Immobilienspekulanten, ein Gezerre zwischen Abriss und Erhalt der eindrucksvollen in brutalistischer Bauweise errichteten Einkaufspassage direkt am berühmten Wasserfall. Auf alle Fälle: Umstieg in Salzburg ist das Stichwort. Man erlebt ja so einiges. Dieses Mal: Personalmangel. Der eigentlich gebuchte IC Richtung Klagenfurt fährt nicht, keine Leute da. Also werden wir alle in eine Art Bimmelbahn gesteckt, 60 Minuten später als gedacht, schön voll, schön warm. Wie man es gern hat. Dicht an dicht, immerhin sitze ich neben gut gelaunten Pensionisten, deren Gespräche von verschiedenen Mähmethoden über die Vergünstigungen bei Zugtickets hin zu den neuen Angeboten im Hofer-Werbeblattl gehen. Ok, mit Arbeiten wird das hier nichts. Laptop zu, aus dem Fenster schauen. Schon schön hier. Hinter ins Tal, Bischofshofen, St. Johann im Pongau, Schwarzach-St. Veit, Dorfgastein, Bad Hofgastein. Endlich, endlich die Durchsage: Verehrte Fahrgäste, nächster Halt, Bad Gastein im weltberühmten Gasteiner Tal, jawohl, auch noch mal auf Englisch: Next stop, Bad Gastein, in the worldfamous Gasteiner Tal. Hier liebt aber jemand sein Land. Leiwand.
Irene holt mich ab. Ok, ich hätte auch laufen können, die Ortschaft mit ihren in den Berg gehauenen imposanten Jugendstilgebäuden kenne ich, wie gesagt, ganz gut. Aber wenn der Shuttle schon mal dasteht, lasse ich mich gerne ins Grand Hotel de l’Europe kutschieren. Hat ja was. Endlich auch mal in einem schwarzen Mercedes SUV sitzen, wie sie so gar nicht in die Landschaft passen, aber (leider) ganz schön häufig anzutreffen sind mit dem entsprechenden Touristenklientel im Innern. Gut aussehen tun diese modernen Kutschen dann schon, vor so einem altehrwürdigen Bau von um die Jahrhundertwende.
Das Grand Hotel de l’Europe ist das größte Gebäude Gasteins und wurde 1911 fertiggestellt. Bauherr war Kommerzialrat Victor Sedlacek aus Linz. Das Hotel war seinerzeit das modernste Gebäude der Monarchie. Alle Zimmer hatten elektrisches Licht, Zimmertelefone und eine Warm- und Kaltwasserleitung – sensationell für die damaligen Verhältnisse! Ein Hotel ist es heute nicht mehr, die oberen Etagen sind als Wohnungen vermietet. Das hochherrschaftliche Entrée, die Bel Étage und die ersten beiden Stockwerke werden gerne von Filmteams okkupiert. Verständlich. Es hat schon was. Man kann sich gut vorstellen, wie die Haute Volée hier ein- und ausging, in den Thermal-Badekabinen schwitzte, um anschließend im Damen- bzw. Herrensalon einen Cognac zu nippen. Alles ist supergut erhalten, Originaleinrichtung, wie aus der Zeit gefallen, muffiger Geruch gehört dazu. Im Keller ein Notausgangschild aus jüngerer Zeit, zu sehen die Persiflage eines Monarchen, dem der Spruch „Something You Did Not Expect“ auf der Schärpe prangt. Für Drehs von historischen Stoffen ist die Location ideal. So auch von Amour Fou Vienna & Luxembourg und Kevin Lee Filmproduktion, die hier Teile ihrer Gemeinschaftsproduktion „Das geheime Stockwerk“ drehen. Produzent:innen sind Norbert Lechner, Alexander Dumreicher-Ivanceanu, Bady Minck und André Fetzer.
Begonnen haben die Dreharbeiten am 6. Juni im Südbahnhotel am Semmering. Nach der Zwischenstation in Bad Gastein wird ein letzter Teil, der Studioteil, in Luxembourg entstehen. Die letzte Klappe fällt, nach 40 Tagen, am 1. August. Die Geschichte aus der Feder von Antonia Rothe-Liermann und Katrin Milhahn, mit denen Regisseur Norbert Lechner schon öfters zusammengearbeitet hat, erzählt vom zwölfjährigen Karli, der den Sommer im Hotel seiner Eltern verbringen muss und entdeckt, dass er dort mit Hilfe eines Fahrstuhls in der Zeit reisen kann, direkt in ein geheimes Stockwerk im Jahr 1938. Dort freundet er sich mit dem jüdischen Mädchen Hannah und dem Schuhputzer Georg an. Gemeinsam lösen sie einen Kriminalfall, und Karli begreift, dass der Schatten des Nationalsozialismus und der Verfolgung über der Welt seiner neuen Freunde liegt. „Als wir mit der Entwicklung begonnen haben, dachte ich nicht, dass der Stoff so aktuell sein würde“, sagt Alexander Dumreicher-Ivanceanu von der Amour Fou Vienna & Luxembourg. „Die Idee, die wir mit dem Film haben, ist, Kindern und jungen Menschen zu erzählen, was passiert, wenn der Faschismus um sich greift, wenn die Diktatur konkret wird.“ Regisseur und Mitproduzent Norbert Lechner ergänzt: „Wir wollen den Kindern von heute die Zeit von damals erzählen, ohne schreckliche Bilder zu zeigen. Aber trotzdem so, dass sie eine Empathie entwickeln können, die Möglichkeit erhalten, sich da hineinzudenken.“ Inhaltlich und von den Bildern her ist die Story in Bad Gastein verankert, „in diesem genialen Winter/Sommer-Nobelsportort in den Salzburger Bergen. Wir haben die perfekten Locations gefunden“, freut sich Dumreicher-Ivanceanu, der mit der von ihm und Bady Minck gegründeten Amour Fou seit jeher für anspruchsvolles europäisches Autorenkino auf höchstem Niveau steht.
Von Seiten Amour Fous (die seit 2023 übrigens neben Wien und Luxemburg auch eine Niederlassung in Deutschland hat) ist André Fetzer im Lead bei „Das geheime Stockwerk“. Fetzer leitet das bei der Luxemburger Niederlassung angedockte Kinderfilmlabel Petit Fou, das hinter hochwertigen Beiträgen wie „Himbeeren mit Senf“, „Invisible Sue“ oder „Die Mucklas“ steht. Der Münchner Filmemacher Norbert Lechner und André Fetzer haben schon seit vielen Jahren immer wieder über gemeinsame Projekte nachgedacht. Bei „Das geheime Stockwerk“ hat es nun gepasst. War es erst eine Koproduktion zwischen Deutschland und Luxemburg, mit Film Fund Luxembourg, BKM und MDM als Partnern, kam im Zuge der Implementierung des Österreichischen Anreizmodells im Januar 2023 auch noch die Wiener Amour-Fou-Firma dazu, die die Kino-Finanzierung durch ÖFI+ und dazu das Land Salzburg an Bord brachte. Senderpartner sind der ORF sowie MDR/KiKa. „Es ist eine schöne Konstellation, eine gute Zusammenarbeit“, so Dumreicher-Ivanceanu. An Norbert Lechner schätzt er die große Erfahrung im Kinderfilmbereich, sein Einfühlungsvermögen und seine Begeisterung für das Thema: „Uns allen ist es ein Anliegen, ein sehr politisches Thema für Kinder aufzubereiten. Das hat Norbert bereits in seinem wunderbaren ‚Zwischen uns die Mauer‘ bewiesen“, so der Produzent weiter.
„Die hohe künstlerische Qualität in Verbindung mit einem gesellschaftspolitischen Aspekt ist das, was wir suchen, was zu uns passt.”
Alexander Dumreicher-Ivanceanu, Produzent
Dem stimmt Kollege André Fetzer zu und setzt auch noch zum Hohelied auf das gesamte Team an: „Es hat sich ein super Team zusammengefunden. Wenn Heads-of-Department aus drei Ländern ihre Leute mitbringen, kann es auch mal knirschen. Das tut es im Falle von ‚Das geheime Stockwerk‘ zum Glück nicht. Norbert ist superhappy mit der Truppe über alle Gewerke hinweg und ist mit der Arbeit mit den Kindern sehr glücklich. Die sind toll und motiviert, obwohl ein Dreh mit 40 Tagen durchaus eine Herausforderung ist!“ Lechner setzt noch eins drauf und sagt, dass es das tollste Team sei, das er in seiner langen Karriere jemals hatte. Das Team hinter der Kamera bilden die österreichische Kamerafrau Daniela Knapp, die regelmäßig mit Julia von Heinz arbeitet, die in Luxemburg lebende Kostümbildnerin Uli Simon (u.a. „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“, „Hinterland“), die Luxemburger Szenenbildnerin Christina Schaffer (u.a. „Tel Aviv On Fire“, „Mission Ulja Funk“) oder der deutsche Editor Andreas Baltschun („Der Greif“, „Hagen“). Die meisten haben bereits mit Amour Fou zusammengearbeitet. Vor der Kamera spielen die Entdeckungen Silas John, Annika Benzin und Ben Winkler (der Junge aus Adrian Goigingers „Rickerl“), die aus einem umfangreichen Casting mit 1500 Bewerber:innen herausgefischt wurden, sowie bekannte Gesichter wie Marie Jung, Tobias Resch, Marc Limpach, Maximilian Reinwald, Oliver Rosskopf, Konstantin Horn, Dominik Warta, Maximilian Simonischek, Fanny Altenburger oder Marlene Hauser sowie als Gast André Jung.
Über seine Herangehensweise bei einem Kinderfilm und die Arbeit mit den jungen Darsteller:innen sagt Norbert Lechner: „Ein umfangreiches Casting bei einem Kinderfilm ist deshalb wichtig, weil man unbedingt talentierte Kinder braucht. Wir sind auf tolle Naturtalente gestoßen. Die meisten standen noch nie vor der Kamera. Wir haben deshalb viel geprobt. Man muss viel mehr arbeiten mit Kindern. Ein erwachsener Schauspieler liefert einfach, den muss man eventuell nur um verschiedene Varianten bitten. Mit Kindern muss man das von Grund auf erarbeiten.“ Für Lechner liegt die besondere Herausforderung bei diesem Film darin, „dass wir über ein Welt erzählen, die den Kids von heute völlig fremd ist, in der andere Regeln galten. Es gab eine Etikette im Hotel, es war vorgeschrieben, wie sich Mädchen zu benehmen haben – alles Dinge, die Kindern heute völlig abstrus und fremd sind. Unsere junge Darstellerin Annika Benzin, die das jüdische Mädchen Hannah spielt, musste Sütterlin schreiben lernen und einen Knicks üben. Das sind Kleinigkeiten, die wichtig waren, die sie nicht kannte.“ Der Regisseur ist froh, dass alles so gut geklappt hat, es keine größeren Probleme bei den Dreharbeiten gab („nur die üblichen Kleinigkeiten“). „Ich freue mich jetzt schon auf die Kinoauswertung im nächsten Jahr, und hoffe, dass ihn viele Familien anschauen.“
Das hofft auch André Fetzer. Für ihn passt „Das geheime Stockwerk“ perfekt zur gesamteditorialen Linie der Amour Fou. „Der Film ist kein Feelgood-Family-Entertainment-Kinderfilm, sondern ein Kinderfilm mit ernstem Thema, verpackt in eine spannende und abenteuerliche Geschichte; ein Film mit bildungspolitischem Ansatz, den wir uns bei Amour Fou auf die Fahnen geschrieben haben. Ich mag Filme, die einen zum Nachdenken bringen nach dem Kinobesuch, über die man Tage später noch spricht, die einen beschäftigen. Ich bin sicher, dass uns das bei ‚Das geheime Stockwerk‘ gelingen wird.“ Dem pflichtet Alexander Dumreicher-Ivanceanu bei: „Die Muster sprechen für sich. Die hohe künstlerische Qualität in Verbindung mit einem gesellschaftspolitischen Aspekt ist das, was wir suchen, was zu uns passt. Natürlich wollen wir mit dem Film ein Publikum erreichen. Die Herausbringung im Jahr 2025 erfolgt 80 Jahre nach der Befreiung Europas, hat also eine durchaus politische Komponente. Wir wünschen uns, dass er generationsübergreifend funktioniert und zum Gespräch einlädt, von den Großeltern über die Eltern hin zu den Kindern.“
Ina Ivanceanu über das neue Kindeswohlkonzept (KiwoK) in Österreich: „Ein riesiges sensibles Lernfeld“
Ina Ivanceanu ist die Schwester von Alexander Dumreicher-Ivanceanu und ebenso Teil der Amour-Fou-Family. Sie kümmert sich innerhalb der Firma um die Dokumentarfilmprojekte und den Bereich Kinderschutz bei Dreharbeiten. Bei „Das geheime Stockwerk” wurden die Vorgaben, die ab Januar 2025 verpflichtend sind, schon mal getestet: Wir haben bei ihr nachgefragt.
Österreich hat im Mai das Kindeswohlkonzept vorgestellt, das ab 1. Januar 2025 verpflichtend für alle Produktionsfirmen wird. Bei „Im geheimen Stockwerk“ wird es schon mal getestet…
Ina Ivanceanu: Genau. Wir versuchen, alle Maßnahmen, die darin vorgesehen sind, schon jetzt umzusetzen. Im Verlauf der Dreharbeiten in den letzten Wochen konnten wir im positiven Sinn sehen, was das ausmacht und welche positiven Auswirkungen es für die Arbeit und die Stimmung am Set hat. Wir finden es sehr spannend und sehr richtig.
Was ist hervorzuheben?
Ina Ivanceanu: Es gibt künftig verpflichtend zwei neue Positionen bei Kinderfilmprojekten. Eine ist die Position einer/eines Kinderschutzverantwortliche/n innerhalb der Produktionsfirma, die bzw. der dort mit einem unbefristeten Vertrag angestellt ist. Das bin in diesem Falle ich. Die oder der Kinderschutzverantwortliche achtet darauf, dass die im Kindeswohlkonzept festgeschriebenen Maßnahmen umgesetzt und eingehalten werden. Er bzw. sie vermittelt im Konfliktfall und kümmert sich darum, dass es den nicht Volljährigen während der gesamten Produktion gut geht.
Wann beginnt die Arbeit des/der Kinderschutzverantwortlichen?
Ina Ivanceanu: Sie fängt beim Drehbuch an. Es gibt ein Sensitivity Reading, bei dem mit dem speziellen Blick eines Kindes oder einer jugendlichen Person auf die Rolle/n geschaut wird. Wo sind sensible Punkte, welche Szenen sind schwierig, und wie können schwierige Szenen so gedreht werden, dass sie leicht und gut für die Kinder/Jugendlichen sind, wie gehen die Kids mit schwierigen Themen um, wie und wo können wir die Kinder und Jugendlichen unterstützen. Auf Basis dieses Sensitivity Readings wird ein Plan erstellt, der sogenannte Kindermitwirkplan. Der umfasst am Beispiel „Das geheime Stockwerk“ mithilfe eigener Workshops auch die gute Vorbereitung der Kinderdarsteller:innen auf die erzählte schwierige Zeit des Nationalsozialismus und die Themen, die damit zusammenhängen.
Sie sprachen von zwei verpflichtenden Positionen…
Ina Invanceanu: Neben der/des Kinderschutzverantwortlichen bei der Produktionsfirma muss es auch eine/n Kindeswohlbeauftragte beim Dreh geben. In unserem Fall ist das Christine Hartenthaler, die auch Schauspielcoach ist. Sie ist mit ihrer Assistentin die ganze Zeit am Set, in der Arbeitszeit immer mit den Kindern zusammen, und sorgt für eine hochqualifizierte Betreuung. Zusätzlich geht es darum, zu überlegen, was die Kinder in der Freizeit machen, wie sie die gut gestalten können. Auch der Umgang und die Kommunikation mit den Eltern ist wichtig. Die Arbeitszeiten von den Kindern sind natürlich geregelt. Rundherum ist die Arbeit mit Kindern beim Film ein riesiges sensibles Lernfeld. Es geht darum, eine Art Antennen-System zu entwickeln, dass man früh merkt, wenn irgendetwas nicht in Ordnung ist, stressig ist, hakt. Dass man das möglichst schnell abfängt und eine gute Lösung für die Kinder und Jugendlichen findet.
Die Produktion von „Das geheime Stockwerk“ ist eine Art Testballon für das KiwoK. Werden Sie Ihre Erfahrungen mit den Branchenkolleg:innen teilen?
Ina Ivanceanu: Wenn der Dreh vorbei ist, würde ich gerne eine Art Reflexionspapier schreiben, weil wir anhand des Maßnahmen- und Empfehlungskatalogs viele Erfahrungen machen, dabei lernen können und Dinge deutlicher sehen. Als Selbstevaluation, orientiert an den im KiwoK festgehaltenen Punkten, wollen wir schauen, wo es uns hingebracht hat, und was wir beim nächsten Mal noch besser machen können. Es ist einfach ein sensibler Bereich: Wir wollen uns einfühlen in die Psyche der Kinder und Jugendlichen.
Barbara Schuster