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REVIEW KINO: „Neuigkeiten aus Lappland“

Bezaubernde Ballade mit verschmitztem finnischen Humor über eine am Leben verzweifelnde junge Mutter in den Achtzigerjahren, die eine zweite Chance erhält, als sie zufällig für das Tagblatt der Gemeinde zu schreiben beginnt. 

CREDITS: 
O-Titel: Ohjus; Land / Jahr: Finnland, Estland 2024; Laufzeit: 119 Minuten; Regie & Besetzung: Miia Tervo; Besetzung: Oona Airola, Pyry Kähkönen, Hannu-Pekka Björkman, Tommi Korpela, Emma Kilpimaa, Tonni Eronen; Verleih: Neue Visionen; Start: 14. November 2024

REVIEW:
Mit ein bisschen Gewurschtel im Netz findet man die nötigen Hintergrundinfos: Stimmt alles, was Miia Tervo da erzählt in ihrer bezaubernden Ballade mit verschmitztem Humor, ein finnischer Schenkelklopfer mit einem Spritzer eisiger Realität: Am 28. Dezember 1984 drang tatsächlich ein russischer Marschflugkörper ein in den norwegischen Luftraum südöstlich von Kirkenes und ging wahrscheinlich im Bereich des Inarijärvi Sees in Finnland nieder, ein Irrgänger vermutlich und nie richtig offiziell bestätigt, abgefeuert während eines Manövers von einem sowjetischen U-Boot. Überspitzt lässt sich daran die gesamte Paranoia des späten Kalten Krieges ablesen, als die Welt einem Dritten Weltkrieg so nah war wie seit der Kubakrise nicht mehr. Dass im Film einmal die gesamte, trunkene Gemeinde wie verrückt zu „Enola Gay“ von Orchestral Maneuvres in the Dark tanzt, unterstreicht die schicksalergebene Stimmung der Zeit: Soundtracks zum Untergang, lachend in die Kreissäge.

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„Neuigkeiten aus Lappland“ von Miia Tervo (Credit: Neue Visionen)

Aber auch sonst ist „Neuigkeiten aus Lappland“ so sehr Achtzigerjahre, dass es wehtut: der ungelenke Synthiepop der Zeit, die unerhörten Frisuren, monströse Schulterpolster, Vokuhilas, das ganze Programm, das hier noch ein bisschen absurder wirkt, weil sich der Film im nördlichsten Zipfel Finnlands bewegt und Mensch wie Tier in den letzten Ausläufern der Zivilisation naturgemäß eigen sind. Für Regisseurin Tervo ist es eine unmittelbare Verlängerung ihres ebenfalls in Lappland angesiedelten Debüts von 2019, „Aurora“, ausgezeichnet mit sieben Jussis, erfüllt mit demselben lakonischen Humor und einer Heldin wider Willen, die in einer Ausnahmesituation eine innere Kraft findet, die sie niemals vermutet hätte. In dem neuen Film ist der Blick noch genauer, die Erzählung noch feiner, und die Hauptfigur eine noch größere Chaoskönigin, der das Leben bei jedem Schlenker zu entgleiten droht wie der Anhänger ihres Autos, mit dem eigentlich ein im Wald abgesägter Weihnachtsbaum nach Hause gebracht werden sollte, der nun aber im Panoramafenster der örtlichen Postille landet.

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„Neuigkeiten aus Lappland“ von Miia Tervo (Credit: Neue Visionen)

Das ist für Niina, gespielt von Oona Airola aus „Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki“, eine geerdetere Brie Larson, nur eine von vielen Katastrophen in einem Leben, das sie als alleinerziehende Mama in ständiger Angst, ihr ehemaliger Lebensgefährte könne aus dem Gefängnis entlassen werden, führt, aber tatsächlich auch ein Glücksfall für sie – und den Film -, weil sie von dem äußerlich bärbeißigen, innerlich aber teddybärigen Herausgeber der Lappland News die Chance hält, ihre Schulden mit Beiträgen abzuarbeiten. Eigentlich soll sie nur Positives berichten, aber als ein ohrenbetäubender Knall sie aus ihrem Alltag schreckt, ahnt sie eine größere Geschichte und beginnt zu recherchieren, ob es sich um eine entglittene russische Rakete mit Atomsprengkopf handeln könnte. Dass eine größere Militäreinheit Einzug in die kleine Gemeinde hält, scheint Niinas Ahnungen zu bestätigen, macht sie aber auch bekannt mit einem jungen Offizier, der sie auf ganz andere Weise zu interessieren beginnt.

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„Neuigkeiten aus Lappland“ von Miia Tervo (Credit: Neue Visionen)

Geschickt hält „Neuigkeiten aus Lappland“ die Schwebe zwischen Drama mit geopolitischen Auswirkungen und der ganz persönlichen Reise der Protagonistin, beides auf seine Weise existenziell bedrohlich. Und doch verliert der Film nie seine Leichtigkeit und seinen immer leicht amüsierten Blick. Die nordische Melancholie eines Kaurismäki oder Kuosmanen schimmert durch, aber Miia Tervo erzählt mit mehr Verve, einer unbändigen Lebenslust, die sich letztlich auch in Niina äußert, der es nun beim besten Willen nicht leicht gemacht wird, die sich aber dennoch nicht unterkriegen lässt. So ergibt sich eine Entdeckungsreise immer am Abgrund entlang, die einem den Boden unter den Füßen wegzieht, kälter wird als die 47 Grad Minus draußen in Lappland. Und damit immer noch besser. Weil sie nicht weglächelt, was nicht weggelächelt werden kann. Und doch eine Tür offenlässt: Diese Chance auf Erneuerung hat sich Niina verdient.

Thomas Schultze