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REVIEW KINO: „Heretic“

Pechschwarzer Thriller über zwei mormonische Missionarinnen, die sich von einem undurchschaubaren Mann in dessen entlegenes Haus locken lassen.

CREDITS:
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 110 Minuten; Regie & Drehbuch: Scott Beck, Bryan Woods; Besetzung: Hugh Grant, Sophie Thatcher, Chlore East, Topher Grace; Verleih: Plaion Pictures; Start: 26. Dezember 2024

REVIEW:
Es gibt diverse gute Gründe und einen SEHR guten Grund, sich „Heretic“ anzusehen. Um diesen SEHR guten Grund dreht sich der gesamte Film, ohne ihn würde das Narrativ nicht funktionieren, ohne ihn hätte die neue Arbeit des Filmemacherduos Scott Beck und Bryan Woods, die Autoren des originalen „A Quiet Place“ und Regisseure der gescheiterten Science-Fiction-Extravaganz „65“, kein Geheimnis, keinen Schmiss, keinen Puls. Gewiss, auch Sophie Thatcher aus „Yellowjackets“ und Chloe East aus „Die Fabelmans“ geben eine gute Figur ab, tragen unbedingt zum Gelingen des Films bei als junge mormonische Missionarinnen, die sich unvermittelt in einer Situation wiederfinden, über die sie keinerlei Kontrolle haben. 

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„Heretic“ mit Hugh Grant (Credit: Plaion)

Aber „Heretic“ gehört Hugh Grant, der seit „Paddington 2“ eine erstaunliche Transformation als Schauspieler hingelegt, sich komplett neu erfunden hat, vom britischen Everybody’s Darling mit flatternden Augenlidern und charmantem Gestotter zum souveränen Charakterdarsteller mit Autorität und Größe, genussvoll mit seiner einstigen Persona spielend, grandiose Gastauftritte bei Guy Ritchies „The Gentlemen“ und „Operation Fortune“ sowie jüngst als Oompa Loompa in Paul Kings „Wonka“ hatte (plus ein Wink-Wink-Nudge-Nudge-Moment in „Glass Onion“) und neuerdings mit Gusto und unerschrocken ungeahnte charakterliche Untiefen auslotend wie in „A Very English Scandal“, „The Undoing“ und „Dungeons & Dragons“ (Scherz). Aber so weit wie in „Heretic“ ist der einstige Charmeur von „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ und „Notting Hill“ noch nie gegangen. 

Hugh Grant spielt Mister Reed. Dass etwas mit diesem freundlichen, unverbindlichen Herren nicht stimmen könnte, ahnen Sister Barnes und Sister Paxton eigentlich gleich, als sie bei ihm an der Tür klopfen in seinem entlegenen Häuschen im Wald und von ihm etwas zu jovial empfangen werden. Aber ist der Mann gefährlich oder einfach nur schrullig, will er von den Besucherinnen nur ein gutes Gespräch über das Wesen des mormonischen Glaubens oder steckt mehr hinter seiner zuvorkommenden Art, die immer etwas zu viel wirkt, zu interessiert? Diese Frage stellt man sich als Zuschauer gemeinsam mit den beiden jungen Frauen ungefähr die kommende Stunde, während der Film sich alle erdenkliche Mühe gibt, die Dinge in der Schwebe zu halten, mit extremen Perspektiven und Schwenks eine Bedrohlichkeit zu forcieren, die vielleicht ja auch nur Ausdruck einer überschäumenden Fantasie sein könnte. Aber wie wir wissen: Nur weil man paranoid ist, heißt es nicht, dass sie nicht hinter einem her sind. 

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Horrorhit „Heretic“ (Credit: TIFF)

Natürlich kippt an einem gewissen Punkt die Stimmung, reißt einen „Heretic“ buchstäblich in den Abgrund, lässt die geschwätzige Plauderlaune hinter sich, die für eine besonders effektive Anspannung gesorgt hat, und öffnet die Falltür zu durchaus auch handfester Gewalt. Das Wie und Wo, das Was und Warum, das Wer und Wem soll hier nicht weiter erörtert werden. Außer dass der Hinweis gestattet werden darf, dass der Film sich zu keinem Zeitpunkt verrät, die Erörterung über das intrinsische Wesen des Glaubens und der Religion dann nur mit anderen, handfesten Mitteln fortsetzt. Schöner ist indes der Anfang, wenn man sich auf ungewissem Terrain befindet, die Möglichkeiten noch unbegrenzt erscheinen, wohin sich die Handlung bewegen wird und vor allem: wes Geistes Kind dieser undurchschaubare Mister Reed ist, was seine Motivation sein könnte, was für ein Spiel er spielt in diesem „Hänsel und Gretel“-Szenario, in seinem Lebkuchenhaus der vielleicht 1000 Schrecken. Wenn der Film noch mehr hat von „Sleuth / Mord mit kleinen Fehlern“ als von „Barbarian“, wenn er noch ein Katz-und-Mausspiel mit unklarem Regelwerk ist und nicht einfach nur ein entschlossener Schocker, den nicht alle lebend verlassen werden.

Vor allem eine Szene ist es, die in Erinnerung bleiben wird. Mister Reed ist es gelungen, die Sisters Barnes und Paxton wider ihre besseren Überzeugungen etwas weiter hineinzulocken in seinen Spiegelsaal voller Anspielungen auf Altäre, Gebetsstätten und Kirchen. Minimale Mittel hat „Heretic“ bisher gebraucht, eine ungute Atmosphäre und höchste Spannung zu erzeugen. Unvermittelt legt Mister Reed eine Schallplatte auf, „The Air That I Breathe“ von den Hollies, dieser harmloseste, sehnsüchtigste aller harmlosen und sehnsüchtigen Lovesongs, holt ein „Monopoly“-Spiel hervor und beginnt einen langen Monolog über Fassungen und Iterationen bekannter Texte und Ideen: warum Radiohead einen Prozess verloren haben, weil ihr Song „Creep“ zu sehr „The Air That I Breathe“ ähnelt, warum „Monopoly“ Erfolg haben konnte, obwohl das Brettspiel doch nur die fast identische Kopie eines anderen Spiels war, das nie über lokale Bekanntheit hinauskam. 

Hier ist der Film deshalb so gut, weil er völlig erratisch und zusammenhanglos wirkt, sich einfach nur an einem schamlosen Moment zu ergötzen scheint, dabei aber doch unmerklich alle Figuren in Stellung bringt, um sein Thema zu verdichten und in aller gebotener Konsequenz durchspielen zu können. Hugh Grant ist fabelhaft. Wem würde man sonst durch diese Tour de Force folgen, ähnlich treudoof und elektrisiert von diesem bizarren Auftritt wie die beiden jungen Frauen, die längst in die Falle gegangen sind. Weil der beste Grund für „Heretic“ sein hinreißender Hauptdarsteller ist, der alle anderen guten Gründe für diesen filmischen Taschenspielertrick erst richtig zum Vorschein bringt: Nur wenn man ihm glaubt, funktioniert der Film. Nur wenn man glaubt, dass die beiden Hauptdarstellerinnen ihm glauben, funktioniert der Film. Und er funktioniert.

Thomas Schultze