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REVIEW KINO: „Münter & Kandinsky“

Faszinierendes Porträt zweier Künstler, Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, die gemeinsam den Lauf der Kunstgeschichte verändern, aber privat aneinander scheitern.

CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 125 Minuten; Regie: Marcus O. Rosenmüller; Drehbuch: Alice Brauner; Besetzung: Vanessa Loibl, Vladimir Burlakov, Julian Koechlin, Felix Klare, Alexey Ekimov, Monika Gossmann, Lena Kalisch, Marianne Sägebrecht; Verleih: Camino Filmverleih; Start: 24. Oktober 2024

REVIEW:
Münter. Und Kandinsky. Es gibt einen Grund für diese Reihenfolge: Der neue Film von Marcus O. Rosenmüller befreit Gabriele Münter von der Umklammerung ihres langjährigen Lebensgefährten Wassily Kandinsky, lässt die Malerin, die wie Kandinsky zu den Gründungsmitgliedern und treibenden Kräften des Blauen Reiters zählte und heute als eine der bedeutsamsten Künstlerinnen des Expressionismus gewertet wird, aus dem Schatten seines Genius treten. Lässt sie wirken, leben, fühlen. Und ihre Arbeit eine eigene Kraft entfalten, eine Kraft, die ihr zusteht und doch so lange verweigert wurde. Eine Frau, die ihren Weg geht, ihre Entwicklung durchmacht, ihre Entscheidungen trifft. Und sich dabei doch auch in dem Mann spiegelt, den sie über alles geliebt hat und von dessen Trennung sie sich nie so recht erholen konnte. Das aber eben mit einem anderen Blick: Es sind ihre Gefühle, nicht die Gefühle, die ihr aufoktroyiert werden. Diese Perspektive ist entscheidend. Für den Film. Und für Gabriele Münter selbst, die schließlich eine Art Patronin Kandinskys wird, im Dritten Reich eine Vielzahl seiner Gemälde, gemeinsam mit ihren Bildern und anderen Arbeiten des Blauen Reiter vor dem Zugriff der Nazis schützt, in einem geheimen Kämmerchen im Keller ihres abgelegenen Hauses außerhalb des oberbayerischen Murnau am Staffelsee, heute bekannt als Münter-Haus, damals aber gerne auch abschätzig als „Russenhaus“ bezeichnet. 

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Marcus O. Rosenmüllers „Münter & Kandinsky“ mit Vanessa Loibl und Vladimir Burlakov, produziert und geschrieben von Alice Brauner (Credit: Stephanie Kulbach ©CCC Cinema und Television)

Dort beginnt auch „Münter & Kandinsky“, Rosenmüllers erste Kinoarbeit seit „Tödliche Gefühle“ aus dem Jahr 2016 und überhaupt erst der fünfte Kinostoff des Fernsehroutiniers in rund 25 Jahren, darunter „Der tote Taucher im Wald“, „Wunderkinder“ und „Nick Knatterton“ (in Ko-Regie mit Niki List). Im Münter-Haus, und mit einem Besuch der Reichskunstkammer, auf der Suche nach „entarteter Kunst“, Arbeiten, die „gegen das gesunde deutsche Volksempfinden verstoßen“, denn, wie der Beamte Hitler zitiert, „Werke, die man nicht versteht und für die man eine schwulstige Gebrauchsanweisung braucht, die werden den Weg zum deutschen Volk nicht mehr finden“. Dass sie schon wieder ihr Leben für Kandinsky riskiere, habe er nicht verdient, sagt Gabriele Münter seufzend zu sich selbst, als sie wieder allein ist. Und lässt den Film an den Anfang seiner Geschichte schwenken, 42 Jahre zurück, ins Jahr 1900, als die 23-jährige Ella, wie sie genannt wird, ihren Weg beginnt, gegen alle beschwerlichen Widerstände. Es ist dann die Geschichte einer Selbstfindung, einer Selbstbestimmung. Wie es auch eine große und schließlich tragische Liebesgeschichte ist zwischen Lehrer und Schülerin, Kandinsky und Münter, die mehr auf Augenhöhe stattfindet, wie er der russische Maler selbst erkennen will, auch wenn er seine Geliebte stets auch auf Armeslänge hält, weil er ihr die versprochene Hochzeit verweigert: Er ist verheiratet, mit seiner Cousine obendrein. Und schließlich ist es auch eine Geschichte über Kunst, die Entwicklung und das Entstehen von Kunst, die verstehen und miterleben lässt, ohne jemals eine „schwulstige Gebrauchsanweisung“ zu sein. 

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Marcus O. Rosenmüllers „Münter & Kandinsky“ mit Vanessa Loibl, produziert und geschrieben von Alice Brauner (Credit: Stephanie Kulbach ©CCC Cinema und Television)

Produziert von Alice Brauner, offenkundig ein Herzensprojekt, für das die Produzentin erstmals auch als alleinige Drehbuchautorin in Erscheinung tritt, ist „Münter & Kandinsky“ in Erzählung und Gestaltung weniger radikal wie beispielsweise „Alma & Oskar“, ein weiterer Film jüngerer Provenienz über die flammende Liebesbeziehung eines Künstlerpaares (Alma Mahler, Oskar Kokoschka) zu Beginn des 20 Jahrhunderts. Aber gerade die Gediegenheit und Sorgfalt des Narrativs erweist sich als ureigene Qualität des Films, der keine filmische Entsprechung für die künstlerische Entwicklung seiner Hauptfiguren anstrebt, sondern mit einem fast leichten, jazzigen Gefühl (Score: Martin Stock, der für Produzentin Brauner schon bei „Crescendo“ die Musik komponiert hatte) durch die Jahre geht und dabei nie wirkt, als würde man nur wichtige biographische Eckdaten abhaken. Es ist ein Film, der seinen Figuren gerecht werden, etwas über sie und ihre schwierige Beziehung und ihre künstlerische Inspiration erzählen will. Er bricht den Stab über eine muffige, miefige Zeit, wo selbst im angeblich so progressiven München mit seiner Vielzahl an Kunstschulen und -akademien Sexismus und Xenophobie an der Tagesordnung einer strikt patriarchalischen Gesellschaft sind, aus der sich auch die Künstler nicht befreien können. Er bricht den Stab allerdings nicht über seine Figuren, die hier schwierig sein dürfen, widersprüchlich und auch nicht immer sympathisch, die mit sich ringen und ihren persönlichen Limitierungen. Woher sonst könnte ihr künstlerischer Impetus kommen? 

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Marcus O. Rosenmüllers „Münter & Kandinsky“ mit Vanessa Loibl und Vladimir Burlakov, produziert und geschrieben von Alice Brauner (Credit: Stephanie Kulbach ©CCC Cinema und Television)

„Münter & Kandinsky“ ist auch ein Film über Vanessa Loibl. Die 32-Jährige spielt ihre erste Kinohauptrolle und ist eine Wucht. Ihr Gesicht, mit unendlicher Neugier eingefangen von Kameramann Namche Okon, der die Kamera manchmal regelrecht um die Schauspielerin wirbeln lässt, ist die Welt. Ihre Augen erzählen den Film, lassen das Publikum miterleben, was es bedeutet, in Gesellschaft eines Genies zu sein und zu erkennen, dass ein solches Genie auch in einem selbst schlummert und sich nach und nach Bahn bricht, im eigenen Rhythmus, in der eigenen Entwicklung. An ihrer Seite hat Vladimir Burlakov die weniger beneidenswerte Rolle als Kandinsky, den man eben aus der Sicht Münters erlebt. Aber weil es doch ein so liebender und bewundernder Blick ist, geht es auf, wie in dem großen Moment bei der Aufführung einer Klavierkomposition Arnold Schönbergs, die Atonalität des Stücks seinen Körper förmlich zu elektrisieren und ihn neue Farben erleben lässt. Aber es ist eben so, dass Münter Kandinsky liebt. Und der Film Münter. Und deshalb treu an ihrer Seite bleibt. Das hat sie verdient, diese große Künstlerin und ihre wunderbare Arbeit, die gegen das Volksempfinden verstößt und uns die Augen öffnet, wie sich die Welt auch wahrnehmen und erleben lässt.

Thomas Schultze