„Home is the Ocean“ über die Schweizer Familie Schwörer, die seit über 25 Jahren auf einem Segelboot lebt, feierte im Dokumentarfilmwettbewerb des 20. ZFF Weltpremiere. Wir sprachen mit Regisseurin Livia Vonaesch, Produzentin Mirjam von Arx und der Familie Schwörer über dieses ganz besondere Abenteuer.
Im Segelschiff der Familie Schwörer hängt der Spruch „Life begins at the end of your comfort zone“. War das auch Leitspruch für Sie, Livia, sich in dieses Projekt zu werfen?
Livia Vonaesch: Mir ist tatsächlich beim Drehen erst aufgefallen, dass wir alle unterschiedliche Komfortzonen haben. Was für die Familie Segel-Alltag war, lag für mich ausserhalb der Komfortzone. An Land, zB. in New York, war es genau umgekehrt: Der Vater äussert sich im Film dazu, „wir fühlen uns sicherer mit der ganzen Familie Mitten auf dem Ozean als in einer Stadt“. Dass ich meine Komfortzone verlassen muss, war mir gar nicht so bewusst, weil ich das Mitsegeln auf einem Segelboot anfangs romantisiert habe, vor allem in den Breitengraden, in denen sich die Familie meist aufhält.
Was gab den Ausschlag, dass Sie sich auf diese doch recht abenteuerliche Reise begeben haben?
Livia Vonaesch: Indem die Familie einen ganz eigenen Lebensstil gewählt hat, werfen sie Fragen auf bezüglich Erziehung, Bildung, Beziehung zur Natur und sozialen Strukturen. Was bedeutet dieses Leben für das Aufwachsen der Kinder? Ist es möglich, auf dem Ozean Wurzeln zu schlagen? Ich möchte mit diesem Film keine Antworten liefern, sondern vielmehr zu Diskussionen über diese Themen inspirieren. Und es waren die Kinder, die mich von Anfang an faszinierten. Ich wollte sie beim Aufwachsen begleiten und beobachten, was sich bei ihnen für Fragen stellen und wie sie ihr Leben anpacken.
Livia Vonaesch hat Sie als Familie ab 2016 über mehrere Jahre begleitet. Was gab Ihnen das Vertrauen, dass das mit Livia klappt? Sicherlich hatten schon mehrere Filmemacher Interesse daran, ihr Leben filmisch zu verarbeiten.
Dario Schwörer: Es waren bereits andere Filmemacher für Kurzepisoden bei uns auf dem Schiff. Als wir als erstes Schiff von Westen (Alaska) her kommend die Passage durch die Fury und Hecla Strasse und Hudson Bay bewältigten, war die Medienpräsenz enorm. Wir sind sogar in den Explorer’s Club aufgenommen worden, weil wir damit die kürzeste Route nach China gefunden haben. Das war leider nur aufgrund der Klimaerwärmung und der Abschmelzung des Packeises möglich. Livia kam auf uns zu mit der Idee, uns zu begleiten und einen Film zu machen. Als wir Livia getroffen haben, haben wir sofort gemerkt, dass die Chemie stimmt. Das war das Wichtigste.
Sabine Schwörer: Für uns war interessant, dass wir durch Livia einen Einblick ins Filmemachen bekommen haben. Sie führte uns quasi in die Filmwelt ein, zeigte uns, wie was gemacht wird. Das war toll.
Der Slogan Ihrer gemeinnützigen Organisation TOPtoTOP, die sich für den Klimaschutz einsetzt, lautet „Explore, Inspire, Act“. Sie kennen alle Ecken der Erde, liefern auch wichtige Daten für die Klimaforschung. Ist denn überhaupt noch Hoffnung gegeben?
Dario Schwörer: In unserem Projekt haben wir das Privileg, gute Beispiele zu sammeln, positive Projekte mit Menschen, die zukunftsgerichtet gute Dinge tun, anzupacken. Wir gehen vor allem in die Schulen, weil jungen Menschen die Zukunft sind. Sie repräsentieren die Zukunft, shapen unseren Planeten. Die beste Investition ist in junge Leute. An sie tragen wir gute Beispiele heran, Top-Beispiele – deshalb TOP-to-TOP – und versuchen zu inspirieren, selbst auch aktiv zu werden. Wir sehen die Welt differenzierter als jemand in Zürich, der täglich die Tagesschau guckt und nur von Krieg und Umweltkatastrophen hört. Ich werde jedes Jahr optimistischer, was unsere Erde angeht, weil ich sehr viele Projekte für den Umwelt- und Klimaschutz sehe. Klar, es gibt Probleme und Herausforderungen. Aber wenn man schaut, wie auf diese reagiert wird, ist das höchst motivierend. Das Kredo unserer Expedition war von Anfang an, auf das Positive zu setzen. Damit helfen wir unserem Planeten mehr, als nur zu jammern, wie schlimm alles ist. Es ist wichtig, den Menschen zu zeigen, wie schön unsere Erde noch ist, und es ist schön zu sehen, wie viele Leute sich bereits jetzt und heute dafür einsetzen.
Salina, Du bist wie alle deine fünf Geschwister auf einem Segelschiff aufgewachsen. Was verbindest Du mit dem Begriff Heimat?
Salina Schwörer: Meine Kindheit ist mein Zuhause. Meine Wurzeln sind immer auf dem Schiff, werden es auch immer sein, egal, wo das Schiff ist und wo ich bin. Wenn man ein Zuhause definiert, gehört immer auch das Gefühl von Liebe und Vertrauen dazu. Heimat ist für mich bei den Leuten zu sein, die ich liebe, meine Familie. Egal, wo sie sind auf der Welt.
Was waren die größten Herausforderungen bei dem Projekt?
Livia Vonaesch: Der ganze Prozess war eine Herausforderung. Die Familie Schwörer lebt ja mit dem Wetter und es war eine Challenge überhaupt zu planen, wann sie wo sein würden. Und das Drehen auf einem Schiff, das sich ständig bewegt, war nicht minder herausfordernd. Ich musste mich entweder irgendwo einklemmen oder irgendwo festhalten mit der Kamera. Es ist ja ein beobachtender Film und entsprechend musste ich intuitiv entscheiden, wann ich filme, wie ich eine Szene baue. Um eine Szene bauen zu können, braucht man verschiedene Einstellungen und Perspektiven. Weil das Setting so eng war, konnte ich mich gar nicht richtig bewegen. Auf dem Segelschiff gab es keine räumliche Distanz und trotzdem war mir eine gewisse Distanz wichtig für die Realisierung des Filmes. Das war ein ständiger Balanceakt. Auch über unsere Beziehung mussten wir uns immer wieder austauschen.
Dario Schwörer: Wir als Familie leben nach dem Prinzip living light. Allen unnötigen Ballast weglassen, sich auf das Nötigste reduzieren. Unser Strom kommt von Solarzellen. Der ist nicht endlos und prioritär für die Navigation, damit wir wissen, wo wir sind. Einen Kamera Akku laden ist etwas Zweitrangiges. Das haben wir Livia auch so gesagt. Für sie war es durchaus eine Herausforderung, sich in ihrem Equipment so stark zu minimieren. Aber sie hat es gut geschafft.
Mirjam von Arx: Kein Filmprojekt ist logistisch und auch produktionell easy. Ich sage oft, wenn man am Anfang immer wüsste, was alles auf einen zukommt, würde man von vielen die Finger lassen. Aber im Falle von „Home is the Ocean“ war es schön, weil Livia und ich uns bereits kannten, sie mir sehr früh von dieser Idee erzählte und ich begeistert war. Es ist eine so inspirierende Geschichte, dass wir ohne größere Probleme die Fördermittel auftreiben konnten, weil alle wissen wollten, wie es weitergeht. Klar war für uns von Anfang an auch, dass es Kino sein soll, keine TV-Reportage. „Home is the Ocean“ ist großes Kino.
Wie viel Material mussten Sie am Schluss im Schneideraum bewältigen?
Livia Vonaesch: Äußere Einflüsse verlängerten den Drehzeitraum, was in Folge zu mehr Material geführt hat. Ich hatte am Schluss fast 250 Stunden Film. Sehr hiflreich dabei war der Außenblick meiner Editorinnen. Dank des vielen Materials und der Begleitung über mehrere Jahre wollte ich die Nuancen, die ein solches Leben beinhalten, in den Kinosaal bringen: wo man merkt, was es bedeutet, was die Familie macht und wie sie lebt. Und immer wieder haben wir uns die Frage gestellt: Wie können wir ihren Alltag erlebbar und die Natur wirklich spürbar machen.
„Home is the Ocean“ feierte im Programm des 20. ZFF Weltpremiere. Wie waren die Reaktionen des Publikums?
Sabine Schwörer: Die Reaktionen des Publikums haben mich extrem berührt. Bei der Premiere habe ich erst verstanden, dass der Film, dass unsere Geschichte etwas bewegt, etwas macht mit den Menschen. Das war mega schön.
Dario Schwörer: Ich bin eigentlich gegen Filme und Fernsehen, weil ich denke, man muss die Welt real, mit seinen eigenen Augen sehen, selbst raus in die Natur gehen und sie richtig spüren. Jetzt, wo ich die Weltpremiere miterlebt habe, muss ich zugeben, dass wie ein Lichtschalter gedrückt wurde. Es ist der erste Film, bei dem ich wirklich das Gefühl hatte, auf dem Meer, in der Natur zu sein. Das ist das Einzigartige, was Livia geschaffen hat.
Mirjam von Arx: Die Emotionalität war das Schönste zu erleben, dass die Leute so mitgegangen sind. Sie haben gelacht, sehr viele haben auch geweint.
Livia Vonaesch: Auch Männer!
Mirjam von Arx: Das hat uns extrem berührt. Wir haben bei der Premiere gespürt, dass der Film auch für ein größeres Publikum funktionieren kann. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, die mir sagten, dass sie ihn unbedingt mit ihren Kindern sehen wollen. „Home of the Ocean“ hat das Potenzial, ein erfolgreicher Familiendokumentarfilme zu werden, und eignet sich auch für Schulvorstellungen. Er funktioniert nicht nur auf einem Level, dass man etwas über Umweltschutz lernt, sondern auch übers Kino und über Menschlichkeit.
Das Gespräch führte Barbara Schuster
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