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REVIEW FILMFEST HAMBURG: „Marianengraben“ 

Bewegendes Road Movie nach Bestsellervorlage über zwei Sonderlinge, die als Zufallsbekanntschaft eine überraschende Schicksalsreise nach Italien antreten. 

CREDITS:
Land / Jahr: Luxemburg, Italien, Österreich 2024; Laufzeit: 82 Minuten; Regie & Drehbuch: Eileen Byrne; Besetzung: Edgar Selge, Luna Wedler; Verleih: Alamode; Start: 7. November 2024

REVIEW:
Mit 82 Minuten hat „Marianengraben“ keine übermäßig epische Laufzeit. Und doch sagt der Film in der Knappheit der Zeit alles, was gesagt werden muss, zeigt alles, was gezeigt werden muss. Die Adaption des Bestsellers von Jasmin Schreiber markiert das Langfilm-Regiedebüt der Luxemburgerin Eileen Byrne, die 2018 mit ihrem HFF-Abschlussfillm „Was bleibt“ nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht hatte. Es ist das, was man in Amerika so schön einen Two-Hander nennt, eine Geschichte, die mit zwei Figuren auskommt und ihnen auf ihrem Weg folgt. In Form eines Road-Movies hat Byrne ihre Arbeit angelegt, eine Reise von Deutschland nach Italien in einem Wohnmobil, in deren Verlauf sich die beiden Einzelgänger im Mittelpunkt der Geschichte aller Widerstände zum Trotz kennenlernen, annähern, Vertrauen fassen und ihre bisweilen drastischen Pläne vielleicht noch einmal überdenken. Eine Feier des Lebens im Angesicht großer Trauer und Verzweiflung.

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„Marianengraben“ mit Edgar Selge und Luna Wedler (Credit: Alamode)

Da ist zunächst einmal Paula, gespielt von Luna Wedler, die in den wenigen Jahren seit „Blue My Mind“ und „Das schönste Mädchen der Welt“ souverän den Sprung gemacht hat von der vielversprechenden Newcomerin zur gefragten Charakterschauspielerin, zum Jungstar. Hier unterstreicht die Schweizerin, warum Regisseure so gern mit ihr arbeiten und das Publikum ihr so gerne zusieht: Sie hat einfach ein untrügliches Gespür für junge Frauen, die mit Gefühlsabgründen zu kämpfen haben. Wie ihre Paula in „Marianengraben“, deren lyrische Erzählung aus dem Off, direkt dem Roman entnommen, dem Film seinen Rahmen geben, seine Struktur: Sie kann den Tod ihres kleinen Bruders durch Ertrinken nicht verwinden, gibt sich die Schuld dafür, hat jeglichen Lebensmut verloren und ringt mit der Planung einer Wahnsinnstat. Nur dass sie, reiner Zufall, am Jahrestag des Todes ihres Bruders auf dem Friedhof mitten in der Nacht den merkwürdigen Alten Helmut kennenlernt – Edgar Selge spielt ihn in einem seiner seltenen Auftritt im Kino, der einen innerlich immer wieder denken lässt: Selten? Nein! Viel zu selten!

Helmut ist auf dem Friedhof, um die Asche seiner verstorbenen Frau auszugraben und mitzunehmen nach Südtirol, wo sie gemeinsam in einer hübschen Berghütte in einer idyllischen Gemeinde gelebt haben. Kurzentschlossen schließt sich Paula dem griesgrämigen Mann in seinem Wohnmobil an. Die Richtung, in die er fährt, stimmt: Für die Durchsetzung ihres Plans muss sie nach Triest, wo ihr Bruder ertrunken war. Was folgt, ist eine widerstrebende Annäherung auf Raten. Beide haben ihr Päckchen zu tragen, wie wir erfahren werden, was sie zumindest zu Seelenverwandten werden lässt, die im Verlauf ihrer Fahrt schräge Dinge erleben, ein einsames Huhn auflesen und mitnehmen und irgendwie so etwas werden, was sich als Familie beschreiben lässt. Was die Dinge indes nicht leichter macht. Denn für beide kennt die Reise nur eine Richtung. Denken sie. 

„Marianengraben“ ist kein spektakulärer Film, der auf die Pauke hat und unentwegt auf sich aufmerksam macht. Er ist indes ein kleiner, feiner Film, sehr genau beobachtet und behutsam inszeniert, immer mit einem Blick auf seine beiden Darsteller:innen, die viel Raum zur Entfaltung erhalten. Und denen man entsprechend gerne zusieht, wie sie die Charaktere entwickeln, mit Empathie und immer wieder dem nötigen Sinn für leisen Humor, der schmunzeln lässt. Weil lautes Lachen auch völlig falsch wäre für diesen Stoff, produziert vonBernard Michaux von der Luxemburger Samsa Film in Koproduktion mit Albolina und der Film AG, der das Leben still und leise als Geschenk, das keine Selbstverständlichkeit ist.

Thomas Schultze