Zum dritten Mal in Folge arbeitet Shawn Levy mit Ryan Reynolds, erstmals jedoch an einer Actionkomödie mit R-Rating: Wie er an „Deadpool & Wolverine“ herangegangen ist, der am Mittwoch im Verleih von Disney startet, verrät er im SPOT-Interview.
Fallen wir mal mit der Tür ins Haus: Was macht „Deadpool & Wolverine“ besonders?
Shawn Levy: Das Fundament des „Deadpool“-Franchise ist seine einzigartige und ungewöhnlich subversive Tonalität. Für mich steht außer Frage, dass Ryan Reynolds das Genre des Superheldenfilms damit neu erfunden und mit neuem Leben erfüllt hat. Als der erste „Deadpool“ herauskam vor acht Jahren, war der Film ein Schock, völlig anders als das, was wir uns bisher unter einem Superheldenfilm vorgestellt hatten, so gnadenlos unterhaltsam. Damit hat Ryan die Latte hochgelegt. Wenn man einen „Deadpool“-Film macht, sollte man also sicherstellen, dass man gnadenlos lustig ist, auf intelligente Weise seiner Selbst bewusst, befriedigende Action und Gewalt bietet, aber dabei nie die Figur des Wade Wilson aus den Augen verliert. Er ist das Zentrum: Er hat Fehler, hat Mängel, aber er sehnt sich danach, gute Absichten zu haben und geliebt zu werden.
Sie machen Ihren dritten Film in Folge mit Ryan Reynolds…
Shawn Levy: Aber hallo! Dieses Liebesfest macht keine Anstalten, sein Tempo zu verringern.
„Ryan Reynolds ist die Maschine, der Motor, der Schöpfer.“
… aber anders als die beiden Filme davor, „Free Guy“ und „The Adam Project“, ist „Deadpool“ sein Baby, seine Erfindung, seine Vision. Ändert das die Dynamik der Zusammenarbeit?
Shawn Levy: Ich habe ganz am Anfang immer zu ihm gesagt: Ryan, was auch immer ansteht, ich weiß, das ist dein Baby. Und er schüttelte dann immer den Kopf und erklärte mir mit großer Bestimmtheit, dass er das überhaupt nicht so sähe. Er machte mir klar, dass er nur deshalb Ja zu dem dritten Film gesagt hatte, weil er wusste, dass ich Regie führen würde. Er wollte diesen Film ganz explizit zusammen mit mir machen. Sein Mantra war: „Ich weiß, dass wir einander besser machen.“ Ihm lag sehr am Herzen, einen neuen „Deapool“-Film zu machen, der tonal zwar auf einer Linie mit den ersten beiden Filmen sein sollte, aber noch wichtiger war ihm: Er sollte, er musste mehr als das sein. Wenn ich ihm also sagte, meine Arbeit stünde voll und ganz im Dienst seiner Vision, dann wischte er das einfach weg. Er sieht das einfach nicht so.
Wenn Sie nicht gut miteinander könnten, hätten Sie ja auch kaum drei Filme hintereinander miteinander gemacht.
Shawn Levy: Unsere Partnerschaft ist sehr stark. Unser gegenseitiger Respekt ist sehr groß. Das ist die Grundlage, deshalb arbeiten wir miteinander. Und wir arbeiten gern miteinander. Und doch muss ich sagen: Ryans Instinkt für Deadpool war immer der Leitstern. Es spürt diese Figur einfach. Das Blut, das durch Wade Wilson fließt, fließt auch durch Ryan Reynolds. Schauspieler und Figur sind in diesem Fall absolut untrennbar miteinander verbunden. Davor habe ich immens viel Respekt. Natürlich bin ich dankbar, dass er mir vertraut. Aber er ist die Maschine, der Motor, der Schöpfer. Für einen Regisseur ist das eine wunderbare Sache, weil es immer ein Regulativ gibt, auf das man vertrauen kann. Er weiß einfach, was richtig ist für Deadpool.
Wie inszeniert man jemand, der ohnehin schon alles über seine Figur weiß?
Shawn Levy: Ich hatte Glück. Und zwar weil die Dynamik diesmal völlig neu war. Dass Wolverine mit an Bord kam, änderte tatsächlich alles. Weil Wolverine dabei war, ist der Film nicht „Deadpool 3“, sondern mehr. Seine Beteiligung machte etwas Neues aus dem Stoff. Es ist durch und durch ein wahrhaftiger Two-Hander, eine Zwei-Personen-Geschichte. Es ist ein Odd-Couple-Questmovie. Ryan war es ein Anliegen, Seiten von Wade zu zeigen – und auch von Logan -, die man noch nicht gesehen hat. Er und Hugh waren so großzügig, beim Schreiben und Inszenieren mich in einer Form an Bord zu holen, dass wir zu Dritt völlig neue Facetten anfügen konnten. Dinge wie Selbstreflexion, Emotionalität. Es war eine Zusammenarbeit im Wortsinne. Wir steckten die Köpfe zusammen, wir umarmten uns, viel gegenseitige Zuneigung, aber auch gegenseitiger Respekt. Richtig, Ryan weiß alles über Wade. Aber Ryan will auch immer noch bessere Arbeit abliefern. Und er weiß, dass ihm das mit mir an seiner Seite möglich ist. Das ist mein Job.
Von den ersten 40 Minuten, die man der Presse für die Interviews gezeigt hat…
Shawn Levy: Ich sage Ihnen gleich: Das ist noch gar nichts, danach geht’s erst richtig los! Versprochen! Tut mir so leid, dass es nicht der ganze Film war. Wir haben nichts zu verstecken! Aber klar, man bekommt einen guten Eindruck, wie die Reise sich tonal gestaltet. Aber wohin die Geschichte sich bewegt, was wir alles erzählen, konnten Sie nicht sehen. Das ist diesmal auf eine ganz andere Art subversiv, weil die große Überraschung ist, wie emotional „Deadpool & Wolverine“ geworden ist.
„Ja zu Action, Ja zu Humor, Ja zu Unterhaltung, Ja zu Spektakel. Aber eben auch am Ende des Tages zutiefst humanistisch. Ungeniert unzynisch, ungeniert warmherzig.“
Ich nehme Sie beim Wort! Aber was man an den ersten 40 Minuten auch schon sieht: Ryan Reynolds muss sich an der Seite von Hugh Jackman mehr strecken, es ist keine One-Man-Show mehr.
Shawn Levy: Hugh ist als Schauspieler ein Tier. Es gibt Szenen, in denen Hugh eine Gravitas mitbringt, wie man es in einem „Deadpool“-Film definitiv noch nicht gesehen hat. Und klar, das hat auch mit Ryan etwas angestellt. Seine Darstellerleistung hat Tiefen und Farben, die einen zutiefst verblüffen, ohne dass er jemals aus der Rolle fallen würde. Er ist immer Deadpool, wie man ihn kennt und liebt. In der Pressekonferenz in Berlin hat Ryan etwas sehr Wahres gesagt: Die Trennlinie zwischen Wade/Logan und Ryan/Hugh war bisweilen verdammt dünn. Ich verrate Ihnen was: Einige der Zeilen im Drehbuch habe ich spezifisch geschrieben, um etwas Wahrhaftiges und Aufrichtiges in Ryan auszulösen. Wenn man einen Moment erschaffen kann, der einen Schauspieler bei seinem Ethos packt, dann hat man die Gelegenheit, etwas zu erschaffen, das authentisch und erinnerungswürdig ist.
Wir haben bereits über Ryan Reynolds gesprochen und über Hugh Jackman. Jetzt reden wir über Sie. Was haben Sie zu „Deadpool & Wolverine“ gebracht, was das Franchise vorher noch nicht hatte, von dem es profitieren konnte?
Shawn Levy: Keine Frage, ich habe es immer schon gemocht, Filme zu machen, die einem Publikum Freude bringen sollen. Dies war eine großartige Gelegenheit, meine Formel einmal an einem etwas riskanteren Stoff zu versuchen, mit R-Rating und subversivem Humor, ohne mein eigentliches Verständnis von mir als Filmemacher zu verraten. Ich mochte das. Gleichzeitig wollten Kevin Feige, Ryan und Hugh aber auch ganz gezielt einen Shawn-Levy-Film. Sie kamen mir entgegen. Also: Ja zu Action, Ja zu Humor, Ja zu Unterhaltung, Ja zu Spektakel. Aber eben auch am Ende des Tages zutiefst humanistisch. Ungeniert unzynisch, ungeniert warmherzig. Und wie im Grunde alle meine Filme eine Geschichte darüber, wie die richtige Verbindung einen Menschen in einer erlösenden Weise ändern und retten kann. Das trifft zu auf Ben Stiller mit Teddy Roosevelt in „Nachts im Museum“, auf Charlie und Max Kenton in „Real Steel“, auf die Altman-Familie in „Sieben verdammt lange Tage“, in dem die erwachsenen Geschwister einander wiederfinden, auf Blue Shirt Guy und Molotov Girl in „Free Guy“, auf Ryan und Ruffalo in „The Adam Project“.
Und es trifft zu auf Logan und Wade in „Deadpool & Wolverine“?
Shawn Levy: Ich habe mich lange für meine warmherzigen Instinkte ein bisschen geschämt. In den frühen Tagen meiner Karriere war es angesagter, sich cooler, düster und etwas abgefahrener zu geben. Ich habe lange gebraucht, für mich zu entdecken, dass ich meine Weltsicht nicht verstecken muss. Ich bin, wer ich bin. Und ich mache die Filme, die ich mache. Das ist meine Superkraft. Ich befinde mich mitten im Leben, mitten in meiner Karriere. Und auf einmal bin ich befreit. Ich mache meine Filme mit meinen Instinkten, ohne Ambivalenz und ohne dieses klemmige Bedürfnis, jemand zu sein, der ich nicht bin. Meine Karriere hat sich verändert, seitdem ich mich auf das verlasse, was ich kann und was ich wirklich erzählen will.
Ich würde Ihnen sofort zustimmen. Und würde „Sieben verdammt lange Tage“ als den Wendepunkt benennen, ein offenkundig zutiefst persönlicher Film, nach dem sie befreit schienen. In den letzten fünf Jahren sind Sie ein völlig anderer Filmemacher geworden, obwohl man den alten Shawn Levy jederzeit entdecken kann.
Shawn Levy: Niemand wird gerne älter. Aber wenn man merkt und spürt, dass man in einem Beruf, den man liebt, immer kompetenter wird, dann ist das ein ausgesprochen erfüllendes Gefühl. Genauso geht es mir. An genau diesem Moment befinde ich mich in meinem Leben, während wir uns unterhalten.
„Ich bin, wer ich bin. Und ich mache die Filme, die ich mache. Das ist meine Superkraft.“
Ihre Instinkte werden immer besser, das stimmt auf jeden Fall. Daran schließt sich auch die nächste Frage an. Sie selbst haben wiederholt erwähnt, wie subversiv „Deadpool“ ist. Aber gibt es auch Themen, die Sie als No-Go betrachten würden, selbst in einem „Deadpool“-Film?
Shawn Levy: Erst einmal: So gut wie nichts war tabu! Es gab nur eine Bitte, die Kevin Feige im Vorfeld geäußert hat: Haltet Euch ein bisschen zurück mit Wades Kokain-Missbrauch, wie man es in den früheren Filmen gesehen hatte. Was hat Ryan gemacht? Es ist buchstäblich der erste Witz im Film, in dem er Wade dazu Stellung nehmen lässt, dass Kevin Feige darum gebeten hatte, ihn kein Kokain in die Nase ziehen zu lassen. Peng. Die einzige Regel, an die wir uns halten sollten. Und schon wird ein subversiver, metatextueller Gag daraus. Einen einzigen Witz, den wir geschrieben und gefilmt hatten, haben wir auf den Boden des Schneideraums fallen lassen, nachdem wir uns wochenlang Gedanken darüber gemacht hatten. Und wir haben ihn mit einem Witz ersetzt, der mindestens ebenso schockierend, aber eben etwas anders ist. Mehr sage ich nicht dazu. Es soll ein Geheimnis bleiben. Bis Ryan es die ganze Welt wissen lässt.
Sie verbindet eine lange Geschichte mit 20th Century Fox. Fast alle Ihre großen Hits entstanden für das Studio – was übrigens auch für Ryan Reynolds und Hugh Jackman gilt. Was hat es mit Ihnen gemacht, jetzt an einem Stoff zu arbeiten, der einst ein Flaggschiff von Fox war, nun aber für Disney umgesetzt wurde?
Shawn Levy: Von mir stammt die Idee in „Deadpool & Wolverine“, in dem von Deadpool besuchten Ödland, einer Zwischenwelt zwischen Leben und Tod, das vom Winde verwehte Fox-Logo herumliegen zu lassen. Das geht zurück auf die Vorproduktion. Nicht nur verneigen wir uns dem Ende einer Ära, die von großer Bedeutung für mich und die beiden Jungs ist. Unsere definierenden Arbeiten haben wir bei Fox gemacht. Das Logo halb vergraben im Sand zu zeigen, war symbolisch, signifikant und bedeutsam. Aber wenn Sie den ganzen Film sehen, werden Sie erkennen, dass er ein Liebesbrief an die Hinterlassenschaft der Fox/Marvel-Filme ist. Ich verrate nichts. Aber es ist ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie wir etwas genommen haben, das uns beschäftigte und uns durch die Köpfe ging, und ohne Umschweife direkt in den Film gepackt haben.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.