Am 28. November kommt mit dem Musical „Wicked“ eines der filmischen Großereignisse im Verleih von Universal in die deutschen Kinos. Wir hatten die Gelegenheit, anlässlich der Veröffentlichung des ersten Trailers mit Regisseur Jon M. Chu zu sprechen.
Wann konnten Sie das Musical „Wicked“ entdecken? Und was dachten Sie?
Jon M. Chu: Ich hatte richtig Glück. Ich habe „Wicked“ zum ersten Mal gesehen, da hatte das Musical noch nicht einmal den Broadway erreicht. Damals wurde es in San Francisco noch geworkshoppt. Ich war zu der Zeit noch ein Freshman im College und kam gerade zurück in die Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Meine Mom war ganz aufgeregt, weil sie zwei Tickets ergattert hatte, und sagte zu mir: „Schau mal, ein neues Musical, das auf ,The Wizard of Oz’ basiert!“ Die Show haute mich um, obwohl es sich noch nicht einmal um die finale Fassung handelte, die dann am Broadway zu sehen war. Aber die Figuren waren da, die emotionale Wucht war da. Es fühlte sich für mich an, als hätte mein Lieblingskünstler gerade ein neues Album veröffentlicht. Es sprach mich ganz direkt an. Es waren nicht ganz einfache Zeiten damals 2002, vieles war in Bewegung, veränderte sich. Und genau darum geht es in dem Musical, das Chaos und das unbequeme Gefühl, wenn sich Dinge verändern. Ich dachte mir damals: Das könnte ein toller Film werden, würde ich mir sofort ansehen. Hoffentlich werde ich einmal Filmemacher und erzähle dann solche Geschichten.
Man könnte also sagen, dass es eine 20-jährige Reise für Sie war?
Jon M. Chu: Absolut. Als ich dann wirklich anfing, Filme zu machen, habe ich immer die Ohren offengehalten, ob jemand „Wicked“ machen wollte. Es war eine Jagd, die sich über viele Jahre erstreckte, mal intensiver, mal weniger intensiv. Während Covid setzte ich mich hin und überlegte mir: Wenn die Welt untergeht, was wäre der letzte Film, den ich machen wollte. Und klar, das war „Wicked“! Ich hatte gerade „Crazy Rich Asians“ und „In the Heights“ gemacht und hatte das Selbstvertrauen, Mark Platt bei Universal anzurufen. Der beste Anruf meines Lebens! Ich fühle mich sehr geehrt, Teil dieser unglaublichen Familie zu sein.
Da haben Sie sich jedenfalls ein ganz schönes Brett auf die Schultern geladen. Was waren für Sie die größten Herausforderungen? Gab es Hürden, die genommen werden mussten?
Jon M. Chu: Wichtig war es uns, dem Studio immer zu vermitteln, wie groß die Welt sein sollte, die wir für den Film bauen wollten. Wenn man das Stück auf der Bühne ansieht, fühlt es sich nur groß an, aber es ist natürlich durch den Umfang einer Bühne limitiert. Aber für uns war klar: das Land Oz! Darum geht es. Da gibt es filmische Wurzeln, literarische Wurzeln. Es ist ein Ort, an dem eines der berühmtesten Märchen aller Zeiten passiert. Bisher war er immer auf flachen Oberflächen oder Gemälden und Zeichnungen dargestellt worden. Wir aber wollten nicht, dass man einfach nur von draußen zusieht. Wir wollen das Publikum einbinden in diese Welt voller Wunder. Das musste allen bewusst sein!
Das kann man kaum allein schaffen…
Jon M. Chu: Wir haben über Wochen überlegt, wer die richtigen Mitstreiter für diese gewaltige Aufgabe sein würden. Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Alle waren sich ihrer Verantwortung bewusst, unsere Kamerafrau Alice Brooks, unser Szenenbildner Nathan Crowely, unser Kostümbildner Paul Tazewell. Dieser Film musste GROSS sein. Er sollte eine Welt zeigen, wie man sie noch nie zuvor gesehen hat. Aber schließlich kam es einfach nur darauf an, die richtigen Hauptdarstellerinnen zu finden für Elphaba und Glinda. Die Welt kann noch so toll und überwältigend sein, wenn sich darin nicht die richtigen Schauspielerinnen bewegen und den beiden Hauptfiguren Leben einhauchen, dann ist alles für die Katz.
Es gab bestimmt keinen großen Run auf diese Parts…
Jon M. Chu: Alle wollten diese Rollen haben. Wir hatten mehr oder weniger freie Wahl. Aber umso sorgfältiger mussten wir beim Casting sein. Als Cynthia (Erivo) zum Vorsprechen erschien, blieb uns die Luft weg. In ihrer Stimme ist eine Frequenz, die einem das Herz durchbohrt. Ich meine das gar nicht einmal spirituell. Es ist etwas Körperliches, etwas Greifbares. Es ist wie Wissenschaft. Man spürt es, man kann es aufzeichnen. Wir wussten sofort, und ich meine: SOFORT!, sie ist es! Bei Ariana war es ähnlich. Jeder weiß, dass sie singen kann. Und doch überraschte sie uns unentwegt. Wenn man einen solchen Superstar an Bord holt, macht man sich immer Sorgen, sie könnte den Film an sich reißen, sie könnte zu GROSS sein für eine Rolle. Aber so war sie nicht. Ich bin überzeugt, dass die Menschen schockiert sein werden, wenn man sie als Glinda sieht. Es ist eine völlig andere, eine völlig neue Ariana Grande!
Ihnen hat es nicht gereicht, einfach eine große Welt für einen Film zu entwerfen. Sie haben gleich zwei Filme draus gemacht und back to back gedreht…
Jon M. Chu: Wissen Sie, „Wicked“ wurde einfach nur deshalb nicht schon früher gedreht, weil man einfach keinen Weg fand, diese Geschichte in einen Film zu packen. Dieser Film wäre viel zu lang geworden, und irgendwie hätte es doch nicht gereicht. Als ich an Bord kam, war mir bewusst, dass es dieses Problem gibt. Deshalb kam von mir der Vorschlag, „Wicked“ in zwei Filmen zu erzählen. Das würde der Geschichte den nötigen Raum zum Atmen geben, man könnte die Welt viel intensiver erleben. Ich war überzeugt, dass das Publikum mitgehen wird. Aber eines war auch klar: Beide Filme müssten auf eigenen Beinen stehen können. Es sollte sich nicht anfühlen wie ein langer Film, den man in der Mitte auseinandergeschnitten hat. Das war hart, das gebe ich zu. Aber um diesen Dreh ging es: Der erste Film sollte einen mitreißen und zufriedenstellen, aber gleichzeitig sollte man sich noch mehr davon wünschen.
Hätte es einen Ausweg gegeben, wenn das nicht funktioniert hätte?
Jon M. Chu: Naja, man hätte immer versuchen können, einen Film aus den beiden Filmen zu machen. Diese Option bestand. Und das war gut so. Das ließ uns gut schlafen. Und gab uns den Auftrieb, zwei großartige Filme zu machen.
Wie weit sind Sie bei der Fertigstellung des ersten Films, der im November in die Kinos kommen wird?
Jon M. Chu: Wir sind relativ weit im Schnitt. Es fühlt sich schon an wie ein richtiger Film, und ich bin sehr stolz auf das, was wir geleistet haben. Jetzt geht es an die Feinarbeit. Ich habe jetzt aber den Luxus, einen Schritt zurückzutreten und mir genau anzusehen, ob das die perfekte Ausarbeitung der jeweiligen Szene ist. Wir sind fast am Ziel. Die visuellen Effekte sehen auch schon besser und besser aus. Wir können unser kleines Geheimnis mittlerweile schon anderen Leuten zeigen.
Können Sie sagen, was Ihnen selbst am besten gefällt an „Wicked“?
Jon M. Chu: Am besten hat mir die Arbeit mit den Schauspielern gefallen. Alle sind so toll. Jeff Goldblum, Michelle Yeoh, Jonathan Bailey, Marissa Bode. Je mehr Schauspieler gleichzeitig dabei waren, desto besser war es. Es fühlte sich einfach gut an. Die Szenen, die mit am besten gefallen, sind die kleinen Momente, die Elphaba und Glinda miteinander haben. Wenn man in dieser riesigen Welt ist und ganz klein sein kann. Das sind wahrhaftige Momente, die uns alle zutiefst bewegt haben. Weil sie uns gesagt haben: Diese verrückte Unternehmung, auf die wir uns eingelassen haben – sie funktioniert. Das war Magie.
Das Gespräch führte Barbara Schuster